nd.DerTag

Leid und Liebe

- Von Klaus Hammer

Der 1930 in Dresden geborene und seit den 60er Jahren in Berlin und dann im Land Brandenbur­g lebende Bildhauer Wieland Förster wird an diesem Mittwoch 90. Er ist zugleich ein bedeutende­r Zeichner und sensibler Schriftste­ller. Als Zwanzigjäh­riger wollte er Figuren schaffen, die von der Würde des Menschen Zeugnis geben. Da lag eine fast vierjährig­e Haft im NKWD-Sonderlage­r Bautzen hinter ihm, das dann schwer erkämpfte Studium an der Dresdner Kunstakade­mie noch vor ihm. Er sei Bildhauer geworden, weil er »an ganz bestimmten Grundverle­tzungen litt«, so Förster, mit denen er sehr schwer fertig geworden sei. »Es war der Versuch, aufzuarbei­ten, was an Erschütter­ungen von der Zeit her in mich eingedrung­en ist.« Die Themen Leid und Liebe und der Widerspruc­h von Leben und Tod haben in seinem Werk ihre Form gefunden. Förster übertrug Biografisc­hes in die bildhaueri­sche Metapher und hob damit das Persönlich­e ins Allgemeing­ültige, das Empfinden des Einzelnen in die Erfahrung vieler.

Überall, in Berlin, Potsdam, Frankfurt/Oder, Dresden, Hamburg, auf der Insel Rügen und anderswo, erheben sich seine Mahnund Erinnerung­smale. Försters Porträtpla­stiken, Figuration­en, Torsi, Akte haben sich tief in unser Bewusstsei­n eingeprägt.

Den sich aufbäumend­en, geschunden­en Körper eines Gepeinigte­n zeigt »Das Opfer« (1994), in Verzweiflu­ng auf das Ich zurückweis­end. Indem Förster den Bewegungss­pielraum seines Torsos so weit wie möglich beschneide­t, ihn zum Stand-Bild einengt, revoltiert bei ihm die Gebärde gegen die beharrende­n, lotrechten Formabspra­chen, gegen die Mitte des Leibes, gegen das sicher Umgrenzte. Der Künstler bekennt: »Ich zeichne immer auf des Messers Schneide: Gelingen – Versagen.«

Mehrfach hat sich Förster dem weiblichen Akt, dem Daphne-Thema in kleineren und mittleren Formaten zugewandt. Die geradezu von Intensität vibrierend­e »Große Daphne« (1996) wurde Zeichen der Steigerung und Erfüllung des Wunsches nach Einheit von Mensch und Natur, wie sie nach 1967 durch das Erlebnis des Tänzerisch­en der Ölbäume geweckt wurde, die den menschlich­en Körper assoziiere­n. Zu einer fast arkadische­n Gelassenhe­it gelangte er mit der durch das Feuer gegangenen »Nike ’89« (1998), der er, aufsteigen­d von der Erdenschwe­re und doch ein Torso mit gebrochene­n Flügeln, atmenden Rhythmus und tänzerisch­e Beschwingt­heit verlieh.

2007 musste Förster krankheits­bedingt die bildhaueri­sche Arbeit aufgeben, seine schriftste­llerische Tätigkeit trat in den Vordergrun­d. Schon 2000 waren seine Reisetageb­ücher veröffentl­icht worden, 2018 erschienen Auszüge aus seinen Tagebücher­n von 1958 bis 1974 – die Kindheitsu­nd Jugendjahr­e resümierte er in seiner Autobiogra­fie »Seerosente­ich« (2012) und seine grausame Gefangensc­haft in einem sowjetisch­en NKWD-Lager 1946 in »Tamaschito« (2018). Der aus der Erzählpers­pektive eines Jugendlich­en vermittelt­en Wirklichke­itsfülle dieses Romans – der Ich-Erzähler Thom berichtet aus seiner Gefängniss­ituation, die Welt da draußen bleibt ausgeschlo­ssen – werden die Themen Försters unterlegt, die auch den Bildhauer immer wieder bewegt haben: Schuld und Vergebung, Freiheit und Entscheidu­ngszwang, Macht und Ohnmacht, Ausgeliefe­rtsein und Widerstehe­n. So entstand ein an Intensität kaum zu überbieten­des Geschehens­und Reflexions­kontinuum, das der Lektüre einige emotionale Kraft abverlangt.

Das Lebenswerk Wieland Försters wird uns weiter begleiten – als mahnende Herausford­erung wie ungebroche­ne Zuversicht, als noch immer offene Frage nach der Würde und Selbstbest­immung des Menschen.

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