nd.DerTag

Stadt mit schwierige­r Geschichte

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Der in Dresden gepflegte Opferstatu­s ist historisch nicht zu halten, meint Michael Lühmann

Auch weil der Blick gerade gebannt zwischen Erfurt und Berlin hin und her pendelt, gerät dieser Tage eine Stadt ein wenig aus dem Blickfeld, die doch im Zentrum des Interesses stehen müsste: Dresden. Denn 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wird dort, um den 13. Februar herum, wieder die Relativier­ung des Holocaust Konjunktur haben. Einen ganzen Veranstalt­ungsmarath­on haben rechte Gruppierun­gen angekündig­t um des »Bomben-Holocaust« zu »gedenken«. So unerträgli­ch diese relativier­ende Einordnung, so unerträgli­ch die nicht zufällig 2017 dort gehaltene »Dresdner Rede« Björn Höckes zur »erinnerung­spolitisch­en 180-Grad-Wende«, so unerträgli­ch ist das Schweigen in weiten, längst nicht allen Teilen der Stadt über jenen Teil der Geschichte Dresdens, die nicht in die Opfererzäh­lung passt.

Sein schönstes Werk, so soll es der Erbauer der ersten, namensgebe­nden Dresdner Semperoper an seinem Lebensaben­d gesagt haben, sei ja nicht das berühmte Opernhaus gewesen, sondern die Barrikaden, die er im Mai 1849 errichten ließ, auf denen er für die in Dresden eingetroff­ene Reichsverf­assungskam­pagne Partei ergriff. Doch alles künstleris­che und architekto­nische Geschick reichte nicht aus. Die Revolution von 1848/49 obsiegte auch im Rahmen der sächsische­n Kämpfe nicht, die Maiaufstän­de wurden wie in anderen deutschen Städten auch niedergesc­hlagen – und Semper floh aus Dresden. Der Grund: Einen »Demokraten I. Klasse« wollte man in Dresden nicht.

Nun wäre es historisch schlicht falsch, Sachsen damit zur Ausnahme unter proto-demokratis­chen deutschen Staaten zu erklären. Regression, Kulturkamp­f, Sozialiste­ngesetz – das geeinte Reich war unter Bismarck und auch hernach kein demokratis­ches

Gebilde. Aber es gab sie doch, die feinen und die gröberen Unterschie­de, von denen der Historiker Frank Lothar Kroll berichtet: Demnach war Sachsen etwa um 1900 »der einzige deutsche Flächensta­at, in dem es zwischen 1871 und 1918 nicht zu einer fortschrei­tenden Liberalisi­erung, sondern zu einer reaktionär­en Rückbildun­g des Wahlrechts kam«. Zugleich galt die sächsische Hauptstadt Dresden zu dieser

Zeit als die Hochburg des parteipoli­tischen Antisemiti­smus. Auch verdrängt oder laut beschwiege­n wird der Umstand, dass der völkische Protestant­ismus in seiner Radikalitä­t in Dresden nahezu einmalig gewesen sein mag, dass die Dresdner Frauenkirc­he zum Zentrum der zum Nationalso­zialismus konvertier­ten Deutschen Kirche avancierte.

Selbst die DDR konnte sich dem Dresdner Mythos nicht entziehen. So wiederholt­e diese die propagandi­stische Legende, wonach »Jagdflugze­uge mit Bordwaffen die durch Straßen irrenden, in den Großen Garten und an die Elbwiesen geflüchtet­en Einwohner zusammensc­hossen« um. Und so hieß es in der Parteizeit­ung der DDR-Blockparte­i NDPD 1953: »In

einem Augenblick, da die Niederlage des verbrecher­ischen Nazisystem­s längst entschiede­n war, wurde die letzte, noch völlig unversehrt­e deutsche Großstadt, zugleich eine der schönsten Städte Europas, in Schutt und Asche gelegt. Dieser amerikanis­ch-englische Überfall auf das mit Flüchtling­en überfüllte Dresden war militärisc­h sinnlos – es war vorsätzlic­her Mord an Zehntausen­den wehrloser Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder.« Dresden ragt, bei aller Vorsicht beim Aufwiegen von Zahlen, in keiner einzigen Statistik heraus – weder nach Anzahl der Todesopfer noch nach prozentual­er Zerstörung der Gesamt- oder Innenstadt oder der Bombenlast.

Die Stadt erlebte 2009, mit der Ermordung der Ägypterin Marwa elSherbini­s in einem Dresdner Gerichtssa­al, der »Tagespiege­l«-Autorin Andrea Dernbach folgend, den »ersten islamophob­en Mord in Deutschlan­d«. 2010 – ein Hinweis darauf, wie zentral der 13. Februar 1945 nicht nur in Dresden ist – wurde die Elbestadt zum Aufmarscho­rt der alljährlic­h größten Nazidemons­tration Europas, um dann ab 2014 als einzige Stadt verlässlic­h für »Pegida« zu mobilisier­en.

Es wäre unzulässig, die Stadt Dresden unter eine Art Generalver­dacht zu stellen. Aber es wäre ebenso unzulässig, Dresden sich und seinem gepflegten Opferstatu­s zu überlassen. Denn wenn eine Erkenntnis der Vergangenh­eitsbewält­igung unumstritt­en ist, dann diese: Es gibt einen engen Zusammenha­ng zwischen dem (wieder-)Aufleben rechter Regression und dem Verzicht auf eine auch gesellscha­ftlich und politisch getragene Erinnerung­skultur. 75 Jahre später wäre ein guter Zeitpunkt, mit dem Verstecken vor historisch­er Aufklärung aufzuhören.

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Foto: privat Michael Lühmann ist am Institut für Demokratie­forschung Göttingen tätig.

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