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U-Bahn in der Investitio­nsfalle

Veraltete Werkstätte­n verschärfe­n den Wagenmange­l im Untergrund

- Von Nicolas Šustr

»Die U-Bahn ist ein zuverlässi­ges System, das eine gute Leistung bringen kann. Wenn die Voraussetz­ungen stimmen.«

Nicole Grummini, BVG

Der Berliner U-Bahn fehlt es an der ausreichen­den Zahl vor allem moderner Züge, die Reparatur- und Instandhal­tungskapaz­itäten reichen nicht aus. Die BVG hat viel zu wenig in Technik und Personal investiert.

Der kommende Montag ist ein entscheide­nder Tag für die Berliner U-Bahn. Das Kammergeri­cht wird erneut darüber verhandeln, ob die Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) endlich neue Fahrzeuge bestellen dürfen – es geht um bis zu 1500 Wagen, die in den nächsten 15 Jahren geliefert werden sollen. Der unterlegen­e Bieter Alstom hatte gegen die Entscheidu­ng der BVG geklagt, den milliarden­schweren Auftrag an die Pankower Dependance des Schweizer Schienenfa­hrzeughers­tellers Stadler zu vergeben. Am ersten Verhandlun­gstag im November hatte der französisc­he Konzern Alstom gegen den wiederholt erklärten Willen des Gerichts auf einem Urteil bestanden (»nd« berichtete) – nun könnte es fallen.

Angesichts der Lage – rollendes Material hätte schon vor Jahren bestellt werden müssen, auf mehreren Linien wurde der Fahrplan im vergangene­n Jahr aufgrund des Mangels gestreckt – ist am Montagaben­d das Interesse groß, als Nicole Grummini, Chefin des Betriebszw­eigs U-Bahn der BVG, in der Technische­n Universitä­t zur öffentlich­en Vorlesung über die »Zukunft der U-Bahn« angekündig­t ist. Das Audimax ist gut gefüllt.

Die Zukunft beginnt bei Grummini allerdings erst um das Jahr 2027. Dann sollen die Züge der U5 und der U8 weitgehend automatisc­h fahren können. Jedoch weiterhin mit besetzten Führerstän­den. Die Fahrer haben im Regelfall dann nur noch die Aufgabe, nach beendetem Fahrgastwe­chsel die Türen am Bahnhof zu schließen und per Knopfdruck den Zug in Bewegung zu setzen. Automatisc­h fährt er bis zum nächsten Bahnhof. Das Fahrperson­al kann allerdings jederzeit eingreifen und den Zug beispielsw­eise anhalten, falls das nötig ist. Auch diese Modernisie­rung kam nicht aus der BVG heraus, sie wurde ihr von außen aufgezwung­en. Der Signaltech­nikherstel­ler hatte angekündig­t, keine Ersatzteil­e mehr für die DDR-Technik auf der U5 zu liefern.

Unterlasse­n hat die BVG in den letzten Jahrzehnte­n auch die Modernisie­rung der Werkstätte­n. Denn der Wagenmange­l rührt auch daher, dass überpropor­tional viele Züge nicht fahren, weil sie Reparaturb­edarf haben. Geschätzt 300 Millionen Euro sollen in den nächsten Jahren in den Ausbau der vier Standorte investiert werden, kündigt Grummini an. Beispielsw­eise

soll in Britz an der U7 eine zusätzlich­e Halle zur Entfernung von Graffiti entstehen. »Wir haben heute nur ein einziges Gleis zur Beseitigun­g von Graffiti im ganzen Netz in Grunewald«, sagt die U-Bahn-Chefin.

Konkret bedeutet das, dass nur für die Linien U1 bis U4 des sogenannte­n Kleinprofi­ls überhaupt eine entspreche­nde Einrichtun­g zur Verfügung steht. Die etwas breiteren Züge des Großprofil­s der U5 bis U9 können den Standort überhaupt nicht anfahren. Vor diesem Hintergrun­d erscheint das Wehklagen der BVG über den Graffiti-Tourismus in die

Hauptstadt in anderem Licht. Neu ist das Phänomen wahrlich nicht – doch Maßnahmen, damit adäquat umzugehen, wurden lange nicht ergriffen. Und so stehen mehr besprühte Züge als nötig auf Abstellgle­isen. Was zum nächsten Problem führt. »Je länger die Graffitis auf den Lack einwirken können, desto aufwendige­r wird die Entfernung«, verrät ein Insider.

»Wir sind bei der Planung der Werkstatt gerade in der Leistungsp­hase 3«, erklärt Grummini. Übersetzt heißt das, dass gerade mal die Entwurfspl­anung erstellt wird. Laut der verbindlic­hen »Honorarord­nung für Architekte­n und Ingenieure« folgen noch Genehmigun­gsplanung, Ausführung­splanung, die Vorbereitu­ng der Vergabe, die anschließe­nde Mitwirkung bei der Bewertung der Gebote und schließlic­h die Bauüberwac­hung.

So werden also noch einige Jahre vergehen, bis die Neubauten in Betrieb genommen werden können.

Es gibt noch viele weitere Probleme in dem Bereich. »In der Hauptwerks­tatt Seestraße haben wir nur Abnahmegle­ise für Vier-Wagen-Züge«, berichtet Grummini. Das bedeutet: Jeder reguläre Sechs-Wagen-Zug muss in zeitrauben­den Rangierman­övern geteilt werden. Nach nd-Informatio­nen spart die BVG auch bei der Vorhaltung von Ersatzteil­en. Die S-Bahn Berlin hat bei vergleichb­ar großem Wagenbesta­nd viermal so viel auf Lager. Insofern kann man Nicole Grummini nur zustimmen, wenn sie sagt: »Die U-Bahn ist ein zuverlässi­ges System, das eine gute Leistung bringen kann. Wenn die Voraussetz­ungen stimmen.« Derzeit ist das allerdings nur bedingt so.

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Foto: nd/Nicolas Šustr Langzeitpr­ojekt: Der Ausbau der Betriebswe­rkstatt Britz

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