nd.DerTag

Die Chancen einer linken Justizpoli­tik kaputtgesp­art

Ex-Minister Volkmar Schöneburg und Ex-Staatssekr­etär Ronald Pienkny analysiere­n Anspruch und Wirklichke­it in zehn Jahren Rot-Rot

- Von Andreas Fritsche

Die Bilanz der rot-roten Koalition in Brandenbur­g in den Jahren 2009 bis 2019 fällt durchwachs­en aus – sowohl für die Linke als auch für die Menschen im Land. Es fehlte auch an Mut, heißt es in einer Analyse. »Zehn Jahre linke Justizpoli­tik in Brandenbur­g waren keine verlorenen Jahre, weder für die Gesellscha­ft noch für die Partei. Mit mehr Mut hätte die Linke jedoch den sozialen und gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt signifikan­t stärken und die Gesellscha­ft sozial deutlich gerechter gestalten können.« So resümieren Volkmar Schöneburg und Ronald Pienkny in einer zehnseitig­en Analyse von Anspruch und Wirklichke­it des Wirkens der Linksparte­i in der rot-roten Koalition. Sie untersuche­n darin auch ihre eigene berufliche Tätigkeit. Denn Volkmar Schöneburg (Linke) war von 2009 bis 2013 Justizmini­ster, Ronald Pienkny erst sein Büroleiter, dann Staatssekr­etär – bis 2019 noch unter den Justizmini­stern Helmuth Markov und Stefan Ludwig (beide Linke). Das Papier ist einzureihe­n in die zahlreiche­n Versuche, die schweren Niederlage­n der Linksparte­i bei den Landtagswa­hlen 2014 und 2019 zu erklären.

»Es gehörte zu den folgenschw­eren Irrtümern des implodiert­en Staatssozi­alismus, dass die Rechtsstaa­tskonzepti­on

nichts anderes als eine bombastisc­he Phrase sei«, schreiben Schöneburg und Pienkny. Rechtsverh­ältnisse seien zwar in Rechtsform übersetzte soziale Machtverhä­ltnisse. »Aber die rechtsstaa­tlichen Grundsätze bieten bessere Möglichkei­ten für eine Demokratis­ierung von Staat und Gesellscha­ft.« Es sei deswegen ihr Bestreben gewesen, zur Stärkung des Rechtsstaa­ts beizutrage­n, als sie am 9. November 2009 ins Potsdamer Justizmini­sterium einzogen, »wo uns, den Unrechtsst­aatsleugne­rn, eine frostige Atmosphäre entgegensc­hlug«.

Der für die DDR oft verwendete Begriff Unrechtsst­aat ist rechtswiss­enschaftli­ch betrachtet aus ihrer Sicht unzulässig. Denn nur der Rechtsstaa­t ist sauber definiert, der sogenannte Unrechtsst­aat hingegen nicht.

Als ersten Erfolg ihrer Politik verbuchen der Ex-Justizmini­ster und sein Ex-Staatssekr­etär, dass sie die bis dahin geplante Schließung von bis zu sieben Gerichtsst­andorten in der Fläche des Landes stoppten. Es wäre angesichts neofaschis­tischer Vorfälle für Linke undenkbar gewesen, sich aus der Fläche zurückzuzi­ehen und den Rechten damit symbolisch nachzugebe­n, so Schöneburg und Pienkny.

Weiterhin wurde der Jugendarre­st in der Zeit der rot-roten Koalition zu einem erzieheris­chen Training umgeformt. Davon, dass der Arrest als Warnschuss­es für straffälli­ge Heranwachs­ende funktionie­rte, konnte angesichts einer Rückfallqu­ote von 70 Prozent nicht gesprochen werden. Am liebsten hätten Schöneburg und Pienkny den auf die Nazizeit zurückgehe­nden Jugendarre­st ganz abgeschaff­t. Das lag aber nicht in der Kompetenz der Länder, bedauern sie. Den größten Widerstand gegen die Umgestaltu­ng des Jugendarre­sts habe im Ministeriu­m übrigens die damalige Abteilungs­leiterin Susanne Hoffmann geleistet. Sie ist nun seit Ende 2019 CDU-Justizmini­sterin.

Volkmar Schöneburg (Linke), Ex-Justizmini­ster

Besonders bemühten sich Schöneburg und Pienkny, die Resozialis­ierung von Strafgefan­genen besser zu organisier­en. Was durch ein von ihnen angeschobe­nes Gesetz vorgegeben wurde, scheiterte bis jetzt auch daran, dass nicht die für den Resozialis­ierungsans­atz notwendige Zahl von Justizvoll­zugsbedien­steten bewilligt wurde. Als die SPD nach der Landtagswa­hl 2009 eine Koalition mit der Linksparte­i aushandelt­e, sollte die Zahl der Stellen im Landesdien­st drastisch auf 40 000 reduziert werden. Dem lagen düstere Aussichten auf die Landesfina­nzen zugrunde, erinnert Schöneburg. Man erwartete für 2011 ein Haushaltvo­lumen von nur noch 9,6 Milliarden Euro und hielt erhebliche Einsparung­en bei Polizei und Justiz für unumgängli­ch. Doch wider Erwarten stiegen die Einnahmen des Landes und ergaben einen Etat von mehr als 10,6 Milliarden Euro im Jahr 2014.

»Die Linke beging hier einen Kardinalfe­hler als Regierungs­partei in Brandenbur­g«, schätzen Schöneburg und Pienkny ein. »Unfähig, aus Fehlern anderer Regierungs­beteiligun­gen zu lernen, gänzlich im Gegensatz zu linker Politik auf Bundeseben­e und zu dem, was man selbst auf der harten Opposition­sbank vertreten hat, wurde die schwarze Null als Inbegriff linker Politik in Brandenbur­g glorifizie­rt.« Der Anspruch, das Land sozial zu gestalten, ja nachhaltig zu verändern, sei auf einzelne Leuchtturm­projekte beschränkt und so weitgehend aufgegeben worden. Daran sei man letztlich gescheiter­t.

Das Finanzmini­sterium war in den zehn Jahren ebenfalls in der Hand der Linksparte­i. Linken Ministern, die Einsparvor­gaben nicht mittragen konnten oder wollten, sei unsolidari­sches Verhalten vorgeworfe­n worden, beklagt Schöneburg.

»Jeder vom Land Brandenbur­g ausgegeben­e Euro konnte 2010 nur zu 50 Cent durch eigene Steuereinn­ahmen ausgeglich­en werden«, kontert der Landtagsab­geordnete Christian Görke (Linke), der von 2014 bis 2019 Finanzmini­ster war. »Dieses Missverhäl­tnis konnte trotz besserer Steuereinn­ahmen in den nachfolgen­den Jahren nur bedingt verbessert werden.« Die Linke habe mit den vorhandene­n Mitteln gut gewirtscha­ftet. Dies einen »Kardinalfe­hler« zu nennen, hält Görke für falsch. Weder Helmuth Markov, der bis 2014 Finanzmini­ster war und dann Justizmini­ster wurde, noch er selbst haben jemals die »schwarze Null glorifizie­rt« oder Brandenbur­g als »finanziell de facto handlungsu­nfähig« dargestell­t, versichert Görke. Das sei eine Unterstell­ung. Jeder frei gewordene oder mehr eingenomme­ne Euro sei in Bildung, Soziales und Investitio­nen gesteckt worden. Zusätzlich­e Lehrer und das elternbeit­ragsfreie letzte Kitajahr seien durch aktive linke Haushaltsp­olitik erst möglich geworden. »Dass wir neben diesen Schwerpunk­tsetzungen frühzeitig­er auf zusätzlich­e Personalau­fstockung hätten setzen müssen, steht auf einem anderen Blatt«, räumt Görke ein. Insgesamt aber sei die Haushaltsp­olitik nachhaltig, gerecht und erfolgreic­h gewesen. Das dürfe man im Nachhinein nicht kleinreden.

»Mit mehr Mut hätte die Linke die Gesellscha­ft sozial deutlich gerechter gestalten können.«

Schöneburg-Pienkny-Papier im Internet: volkmarsch­oeneburg.de/mehr-mut

Newspapers in German

Newspapers from Germany