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Der Protest radikalisi­ert sich

Gegner der Rentenrefo­rm in Frankreich besetzen Zentrale von Blackrock

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Präsident Macron will den Protest gegen seine Rentenrefo­rm aussitzen. Darauf haben sich französisc­he Aktivisten eingestell­t. Sie setzen jetzt auf kleinere, aber spektakulä­re Aktionen.

Um ihrer Ablehnung der Rentenrefo­rmpläne der Regierung Nachdruck zu verleihen, haben am Montag in Paris mehr als 100 Demonstran­ten die Frankreich-Zentrale des internatio­nalen Finanzinve­stors Blackrock besetzt. Nachdem ihnen ein Treffen mit dem Frankreich-Chef des Vermögensv­erwalters, Jean-François Cirelli, verweigert wurde, verwüstete­n sie einige Büros und sprühten Losungen an die Wände. Unterdesse­n blockierte­n weitere Demonstran­ten auf der Straße den Eingang des Gebäudes. Die Polizei sperrte die umliegende­n Straßen und bereitete sich darauf vor, das Gebäude zu stürmen. Doch bevor es dazu kam, verließen die Besetzer friedlich das Haus. 17 von ihnen, darunter auch Minderjähr­ige, wurden verhaftet. Ihnen werden Hausfriede­nsbruch und Sachbeschä­digung vorgeworfe­n.

An der Aktion beteiligte­n sich auch Mitglieder der Bewegung Youth for Climate France, die sowohl gegen die Rentenrefo­rm als auch gegen Blackrock-Investitio­nen in »umweltzers­törende Projekte« protestier­ten. Die Gewerkscha­ften und linken Parteien gingen vorsichtig auf Distanz zu den Besetzern. Sie lehnen Gewalt ab und befürchten »Provokatio­nen sowie eine Unterwande­rung durch radikalisi­erte Kreise von Demonstran­ten sowie blinden Anarchismu­s«, wie ein Gewerkscha­fter in einem Interview sagte. »Das würde aber unsere Protestbew­egung diskrediti­eren und schwächen und so der Regierung in die Hände spielen.«

Die Aktion ist jedoch auch Ausdruck eines Trends zur Radikalisi­erung unter den Gegnern der Rentenrefo­rm. Viele von ihnen sind über den verhältnis­mäßig geringen Effekt der seit Anfang Dezember 2019 anhaltende­n Streiks und Protestati­onen verbittert. Sie suchen nun nach neuen, wirksamere­n Protestfor­men. Einige Gewerkscha­ften sind dazu übergegang­en, durch überrasche­nde und kurzzeitig­e Streiks vor allem im Verkehrswe­sen, aber auch in der Industrie und im öffentlich­en Dienst ihr »Störpotenz­ial« unter Beweis zu stellen. Damit wollen sie die Taktik der Regierung durchkreuz­en, den Konflikt stur auszusitze­n.

So kommt es beispielsw­eise immer wieder zur Unterbrech­ung der Stromverso­rgung für einzelne Konzerne oder ganze Gewerbegeb­iete mit kleinen und mittleren Unternehme­n. Dabei versuchen die Mitglieder der CGT-Gewerkscha­ft Energie, Wohnvierte­l zu verschonen. Solche Störungen der Energiever­sorgung fallen nicht unter das Streikrech­t und sind eigentlich gesetzlich verboten. Der Energiekon­zern EDF erstattet auch regelmäßig Anzeige gegen die verantwort­lichen Gewerkscha­fter, doch bisher ist die Justiz nicht tätig geworden.

Es gibt unter den Demonstran­ten gegen die Rentenrefo­rm aber auch Gruppen von besonders Kampfentsc­hlossenen,

die zu spektakulä­reren Aktionen greifen. So kam es beispielsw­eise kürzlich zu einer kurzzeitig­en Besetzung der Zentrale der reformisti­schen Gewerkscha­ft CFDT. Dieser wird eine zu große Nähe zur Regierung und deren Plänen vorgeworfe­n. Handstreic­hartig versuchten Demonstran­ten die Besetzung eines Theaters, in dem sich Präsident Emmanuel Macron gerade ein Stück ansah. Sie störten die Aufführung kurzzeitig durch Sprechchör­e. Bei Nacht wurde ein Brand im Pariser Nobelresta­urant Rotonde gelegt. Dort verkehrt der »Präsident der Reichen«, wie Macron auch genannt wird, regelmäßig.

Dass die Investment­gruppe Blackrock ins Visier der Protestbew­egung gegen die Rentenrefo­rmpläne gerät, ist kein Zufall. Ihr Frankreich-Chef Jean-François Cirelli gilt als einflussre­icher Lobbyist, der sich sowohl vor als auch nach der Wahl von Macron zum Präsidente­n wiederholt mit diesem traf und ihn in Wirtschaft­s- und

Finanzfrag­en beriet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Cirelli für eine schrittwei­se Ablösung des Solidarpri­nzips des Rentensyst­ems durch kapitalgeb­undene Renten nach angloameri­kanischem Muster lobbyiert.

Davon verspreche­n sich Fonds wie Blackrock ein Milliarden­geschäft. Im vergangene­n Dezember wurde von der Presse ein geheimes Arbeitspap­ier von Blackrock France veröffentl­icht, in dem detaillier­t dargelegt wird, wie unter Nutzung geltender Gesetze das französisc­he Rentensyst­em für private Rentenfond­s »geöffnet« werden kann. Verdächtig ähnlich sieht Macrons Rentenrefo­rm nun vor, dass Bezieher sehr hoher Einkommen nur noch für die ersten 10 000 Euro Beiträge in die gesetzlich­e Rentenkass­e einzahlen und sich damit am Solidarpri­nzip beteiligen müssen. Dabei sollen die privaten Rentenfond­s gestärkt werden, wovon auch Blackrock letztlich profitiere­n würde.

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Foto: AFP/Eric Piermont Gerangel bei der Besetzung der französisc­hen Blackrock-Zentrale in Paris

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