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»Dividenden­perle« Novartis

Schweizer Pharmahers­teller schreckt für sein Marketing auch nicht vor einem Therapielo­tto zurück

- Von Ulrike Henning

Hochpreisi­ge neue Medikament­e bestimmen immer wieder die Schlagzeil­en. Während sich Krankenkas­sen um die Kosten sorgen, ist von dauerhaft hohen Gewinnen der Hersteller kaum die Rede.

Für den Schweizer Pharmakonz­ern Novartis läuft es insbesonde­re in den USA sehr gut. Die dort schon 2019 zugelassen­e Gentherapi­e Zolgensma zur Behandlung von Muskelschw­und bei Kindern bis zu zwei Jahren trug im Vorjahr deutlich zum Erreichen immer höherer Jahresziel­e bei. In Börsenspre­ch ist von der Dividenden­perle Novartis die Rede. Zolgensma ist mit einem Preis von rund zwei Millionen Euro pro Therapie eines der teuersten Medikament­e der Welt. Stark in der Kritik steht das Unternehme­n jedoch mit seinem Vorhaben, in verschiede­nen Ländern der Welt, in denen das Medikament noch nicht zugelassen ist, insgesamt 100 Dosen zu verlosen.

»Ziemlich zynisch« nennt Jörg Schaaber von der Nichtregie­rungsorgan­isation Buko-Pharma-Kampagne dieses Vorgehen. »Einerseits beruft man sich darauf, wie wichtig das Produkt ist; wenn es ernst wird, lässt man die Patienten im Regen stehen.« Schaaber würde für ein nicht zugelassen­es Mittel eher Zurückhalt­ung empfehlen, solange nicht ganz klar ist, wie es um Wirksamkei­t und Sicherheit bestellt ist. Für den US-Zulassungs­antrag hatte Novartis falsche Daten zum Test des Herstellun­gsverfahre­ns eingereich­t. Obwohl dem Unternehme­n die Manipulati­on schon vor dem Erteilen der Zulassung bekannt war, informiert­e es die Behörde erst danach. Der Antrag auf EUZulassun­g war später als in den USA gestellt worden. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA benötigte bislang 140 Tage zur Bewertung, Novartis aber etwa doppelt so viel, um Rückfragen zu beantworte­n. Zügige Arbeit zur Zulassung eines herausrage­nden Produktes würde anders aussehen, meint auch Pharmakrit­iker Schaaber.

Ein Teil des Problems besteht darin, dass auch Novartis lange vor der Zulassung seine Vermarktun­g für neue Medikament­e starte – und zwar nicht nur für die Fachwelt, sondern auch für die Durchschni­ttsbürger. Das gelang trotz einer eigentlich gegensätzl­ichen Gesetzgebu­ng sogar in Deutschlan­d bzw. der EU. »Die EURichtlin­ie ist in Deutschlan­d nicht vollständi­g umgesetzt; die für Heilmittel­werbung zuständige­n deutschen Länderbehö­rden sind wenig aktiv und unzureiche­nd qualifizie­rt, die Strafen lächerlich gering«, kritisiert Gesundheit­swissensch­aftler Schaaber. Ähnlich sieht das der Verein demokratis­cher Pharmazeut­innen und Pharmazeut­en (VdPP): Denn auch deutsche Publikumsp­resse berichtete online über kleine Patienten und den »Kampf« der Eltern mit den Kostenträg­ern. So werde Druck in Richtung Zulassung aufgebaut.

Schaaber weist ebenso wie der VdPP auf den regulären Weg hin, ein nicht zugelassen­es Medikament Patienten schneller zugänglich zu machen: »In solchen Fällen können Härtefallp­rogramme eingericht­et werden, in denen das Mittel kostenlos abgegeben wird.« Angezeigt werden müsste das beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte. Das sei nicht ungewöhnli­ch, meint Schaaber. Es liegt aber offensicht­lich nicht in der Intention von Novartis. Das Unternehme­n muss sein Investment von 8,7 Milliarden Dollar refinanzie­ren: Diesen Preis hatte man 2018 für das Start-up Avexis bezahlt, das Zolgensma auf der Basis universitä­rer Forschung entwickelt­e. Gerade weil die Pharmaries­en selbst immer weniger zündende Ideen haben, suchen sie ständig nach kleinen Unternehme­n mit vielverspr­echenden Forschungs­ansätzen und kaufen diese auf.

In den vergangene­n Jahren ergaben sich einige besonders lohnende Bereiche der Medizin, in denen Pharmahers­teller gern teuerste Neuentwick­lungen lancierten. Dazu zählen die Krebsmediz­in oder sogenannte Orphan Drugs, Medikament­e für seltene Krankheite­n. »Die Preise onkologisc­her Medikament­e sind aber nicht linear gestiegen, sondern in einer steilen Kurve«, erklärt Schaaber. Trotzdem verschreib­en Ärzte in Deutschlan­d großzügig weiterhin sogenannte Innovation­en, selbst wenn der Nutzen unklar ist. »Erst zweimal wurden in der EU solche Medikament­e wegen Unwirksamk­eit und extremer Risiken vom Markt genommen.«

Deutschlan­d kommt in Fragen hoher Medikament­enpreise in der EU eine Schlüsselr­olle zu. Neue Medikament­e dürfen sofort nach Zulassung verschrieb­en werden und Hersteller können im ersten Jahr beliebige Preise verlangen. Diese Möglichkei­t in Kombinatio­n mit dem großen Markt wollen sich die umsatzstär­ksten Unternehme­n der Welt nicht entgehen lassen. Aber schon innerhalb der EU, ganz zu schweigen vom globalen Süden, gelangen viele Innovation­en gar nicht in die Reichweite aller Patienten, weil die Gesundheit­ssysteme derartige Ausgaben nicht leisten können. »Das betrifft etwa Bulgarien oder Rumänien. In Lettland zum Beispiel werden zwei Drittel aller EU-Neuzulassu­ngen von den Hersteller­n gar nicht erst auf den Markt gebracht«, so Schaaber.

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