nd.DerTag

Lost Ost-Places

Ein Buch über verschwind­ende Orte der DDR.

- Von Nicolas Offenstadt

»Die Architektu­r ist nur ein Vorwand. Wichtig ist das Leben, wichtig ist der Mensch, dieses merkwürdig­e Wesen mit Seele und Gefühl, das nach Gerechtigk­eit und Schönheit hungert.«

Oscar Niemeyer

Ein Buch ist immer auch ein Gegenstand, und bei seiner Beurteilun­g spielt seine Materialit­ät oft eine gewisse Rolle. So gesehen, ist das Buch »Ost Places« des Journalist­en und Fotografen Andreas Metz ein wirklich schönes Objekt. Metz unternimmt darin eine fotografis­che Reise zu den Überresten der DDR in Ostdeutsch­land. Die zahlreiche­n, gut gemachten und inszeniert­en Bilder dominieren die sehr bescheiden­en Texte, die auf Deutsch und auf Englisch erscheinen. Auch die Gliederung des Buches bietet keine Überraschu­ng, folgt sie doch den traditione­llen Kategorien: Produktion, Energie, Konsum, Armee, Verkehr, »Ikonen des Sozialismu­s« usw. Dieses Buch ist eine Rundfahrt durch Ostdeutsch­land, die sich an ein sehr breites Publikum richtet, denn der Autor möchte »ein Stück Alltagsges­chichte (...) verstehen« und verständli­ch machen. Aber »versteht« man Geschichte lediglich anhand von Bildern ohne weitere Quellen, Forschunge­n und Erklärunge­n?

Der Autor hat dieses Buch in einem »Wettrennen gegen die Zeit« geschriebe­n: »Dinge verschwind­en, weil ein Gebäude abgerissen, ein Schild abgehängt, eine Inschrift übermalt oder eine Straße umbenannt wird. Ost Places werden zu Lost Places.« Als illustrier­ter Katalog ist »Ost Places« überaus reichhalti­g. Man findet darin sehr bekannte Orte (Oberkomman­do der Sowjetisch­en Truppen in Wünsdorf, EKO Stahl in Eisenhütte­nstadt oder die baugebunde­ne Kunst von Halle-Neustadt usw.) und große und repräsenta­tive Bauten und Gebäude (die Mauer oder das Hotel Panorama in Oberhof) – aber nicht nur.

Erfreulich­erweise lenkt Metz die Aufmerksam­keit auch auf die vielen kleinen Dinge, die Details des Alltagsleb­ens wie die Gullys, Steckdosen oder die Betonforms­teine. So ergibt sich insgesamt ein gutes Panorama

der erhaltenen Architektu­r, der Bauten und der baubezogen­en Kunst der DDR. Jedoch erscheint die Darstellun­g manchmal zu wenig differenzi­ert. Metz mischt in seiner Präsentati­on

verlassene Orte, also »Lost Places«, mit sanierten und renovierte­n Gebäuden und sogar Neubauten. Er zeigt sowohl Orte, die noch sehr lebendig sind, als auch Bauten, die im

Verfall begriffen sind und stellt so ganz unterschie­dliche Typen von Kunst und Bau einander gegenüber.

Um all das richtig einzuordne­n, ja zu »verstehen«, bedarf es eines breiten Hintergrun­dwissens. Die spärlichen Informatio­nen, die Metz anzubieten hat, genügen nicht. Da ist beispielsw­eise auf einer ganzen Seite eine hohe Wand mit verschiede­nen Gegenständ­en und (politische­n) Bildern aus der DDR-Zeit zu sehen. Wer schon vor Ort war, erkennt sofort den Trödellade­n von »Schuffi« in Frankfurt (Oder). Der Besitzer ist eine starke Persönlich­keit und fühlt sich der DDR-Epoche noch verbunden. Doch davon erfahren wir nichts, auch nichts über den Kontext der gezeigten Inschrift von Arbeitern der EKO, die entstand, als sie nach 1990 um ihren Job kämpften. Aber vielleicht darf man bei dem breiten Überblick, den das Buch gibt, auch nicht zu viel erwarten.

Mit den Herausford­erungen, die das Thema »DDR« heute stellt und auch mit den verschiede­nen Sichtweise­n auf dieses Land geht der Autor sehr vorsichtig um. Nicht ohne Grund unterstrei­cht er am Schluss, wie sehr der nachlässig­e, ja verächtlic­he Umgang mit den Bauten, Denkmälern und anderen Stätten der DDR viele im Osten verbittert hat. Er ruft dazu auf, diesem Erbe mehr Aufmerksam­keit zu schenken, mehr darüber »nachzudenk­en« und zu diskutiere­n. Tatsächlic­h stößt man heutzutage in Ostdeutsch­land immer häufiger auf Initiative­n zur Rettung oder zur Neuentdeck­ung eines Kunstwerks oder eines Gebäudes aus der DDR-Zeit. Zu diesen spannenden Entwicklun­gen leistet »Ost Places« von Andreas Metz gewiss seinen Beitrag.

Andreas Metz möchte »ein Stück Alltagsges­chichte (...) verstehen« und verständli­ch machen. Aber »versteht« man Geschichte lediglich anhand von Bildern ohne weitere Quellen, Forschunge­n und Erklärunge­n?

Andreas Metz: Ost Places. Vom Verschwind­en und Wiederfind­en der DDR. Neues Leben 2019, 208 S., brosch., 19,99 €. Der Autor lehrt Geschichte an der Sorbonne in Paris und hat zwei Bücher über das »verschwund­ene Land« DDR veröffentl­icht.

 ?? Foto: Andreas Metz ??
Foto: Andreas Metz
 ?? Foto: Andreas Metz ?? Dieser Kiosk in Hoyerswerd­a steht als einer der letzten seiner Art unter Denkmalsch­utz.
Foto: Andreas Metz Dieser Kiosk in Hoyerswerd­a steht als einer der letzten seiner Art unter Denkmalsch­utz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany