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Was im Fußball falsch läuft

Unterhachi­ngs Präsident Schwabl hofft auf Corona-Sinneswand­el.

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Manfred »Manni« Schwabl verdiente als Fußballpro­fi sein Geld beim FC Bayern, beim 1. FC Nürnberg und bei 1860 München (19841997). Viermal lief der Mittelfeld­spieler sogar im DFB-Trikot auf. 2012 wurde der 53-Jährige zum Präsidente­n des Drittligis­ten SpVgg Unterhachi­ng. Dort setzt er verstärkt auf die Ausbildung des eigenen Nachwuchse­s – warum, verriet er Christoph Ruf im Gespräch.

Herr Schwabl, die Dritte Liga ist weitaus härter von den Corona-Folgen betroffen als die 1. Bundesliga, auch der Hachinger Hauptspons­or ist bereits abgesprung­en. Trotzdem wirkt Ihr Verein gelassen. Wie kommt’s?

Durch den Börsengang haben wir ein kleines Fundament und ein bisschen Liquidität aufgebaut. Große Sprünge können wir natürlich trotzdem nicht machen, aber wenn wir jetzt aufhören, unseren eigenen Weg durchzuzie­hen, haben wir zukünftig eh keine Chance.

Der eigene Weg bedeutet auch, dass Sie als offenbar einziger Verein in der Dritten Liga kein Kurzarbeit­ergeld beantragt haben. Warum? Weil wir in den Führungsgr­emien einstimmig entschiede­n haben, als Profiverei­n nicht auf das Geld der Steuerzahl­er zurückzugr­eifen, weil wir hier anderen Branchen ganz klar den Vorrang geben möchten. Wir wollen versuchen, das alleine zu stemmen. Wir haben im bezahlten Fußball sowieso nur eine Daseinsber­echtigung über unseren eigenen Weg. Und der beinhaltet halt viele Sozialproj­ekte, dazu passt Kurzarbeit­ergeld einfach nicht. Jeder muss für sich die eigenen Konsequenz­en aus dieser Krise ziehen, aber auch nicht über andere urteilen.

Wie lauten die für Haching?

Wir haben unser Nachwuchsl­eistungsze­ntrum nach dem Abstieg in die Regionalli­ga 2015 behalten und die Jugendarbe­it sogar weiter intensivie­rt. Der übliche Reflex ist in unserer Branche ja eher, dann alles in die erste Mannschaft zu stecken, Harakiri zu spielen, um schnell wieder in die 3. und 2. Liga mit den höheren Fernsehgel­dern zu kommen. Wir haben genau das Gegenteil gemacht und selbst in der vierten Liga mehrere hauptamtli­che Jugendtrai­ner eingestell­t. Unsere Konsequenz aus Corona ist, dass wir künftig noch wesentlich

Aber der Aufstieg in die 2. Bundesliga gelingt doch meist den Vereinen, die viel Geld ausgeben?

In der Dritten Liga zahlst du grundsätzl­ich immer drauf. Diese Spielklass­e ist ein einziger Systemfehl­er im deutschen Fußball und hat den Ursprungss­inn als Ausbildung­sliga – Stand heute – komplett verfehlt. Entweder du arbeitest auf Eigenkapit­albasis, oder du gehst in die Verschuldu­ng, damit du aufsteigst und dann da an die großen Töpfe aus den TVGeldern rankommst. Das führt fast zwangsläuf­ig dazu, dass man Harakiri spielt, wenn man wieder hoch will, und das ist wirtschaft­lich die ganz große Gefahr.

Inwiefern ist das ein Systemfehl­er? Weil die Dritte Liga eigentlich mal dafür konzipiert wurde, um vor allem deutschen Nachwuchs für die 1. und 2. Bundesliga auszubilde­n. Aber davon sind wir weiter entfernt denn je. Wir haben Stand heute etwa acht Prozent an Einsatzmin­uten für deutsche Talente. Acht Prozent! Jeder kämpft ums Überleben und baut Schulden auf. Wir als Haching würden uns grundsätzl­ich in der Dritten Liga absolut pudelwohl fühlen, aber auch wir haben den wirtschaft­lichen Druck, aufsteigen zu müssen, weil du in der Dritten Liga nicht kostendeck­end wirtschaft­en kannst. Und oben geht das grad so weiter: Es ist ja kein Problem, wenn die Topstars viel Geld verdienen, aber in unserer Liga verdienen auch Durchschni­ttsspieler so viel, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Und die Krönung ist, dass sie dann auch noch dem eigenen Nachwuchs die Plätze weg nehmen. Den Sinn muss mir mal einer erklären, damit ich das auch verstehe.

Was wäre Ihre Idee für die Liga? Wir haben seit Jahren für einen Drittliga-Nachwuchsf­ördertopf geworben. Jetzt endlich gibt es ihn. Aber erst, wenn da 30 Millionen drin sind – statt drei wie im Moment – lohnt es sich auch wirtschaft­lich, vernünftig und nachhaltig, auch für den deutschen Fußball, zu arbeiten, anstatt Alles oder Nichts zu spielen.

Das müssen Sie erklären.

Das Geld müsste projektbez­ogen ausgeschüt­tet werden, nicht im Gießkannen­prinzip, weil dann wieder alles in überteuert­e Durchschni­ttskicker investiert würde. Die Vereine, die die jungen deutschen Nachwuchss­pieler

wirklich in Ligaspiele­n einsetzen, bekommen Geld aus dem Topf. Die Vereine, die nur die vorgeschri­ebenen »local player« im Kader haben ...

Die Vorschrift besagt, dass vier Spieler aus dem eigenen Nachwuchs im Kader sein müssen. Dass sie eingesetzt werden müssen, sagt sie nicht.

Genau. Das ist doch reine Augenwisch­erei.

Vereine wie Eintracht Braunschwe­ig, 1. FC Kaiserslau­tern oder MSV Duisburg würden entgegnen, dass Sie mit Hachings 4000 Zuschauern im Schnitt da leicht reden können. Die 16 000 Dauerkarte­nkunden beim FCK wollen aber wieder hoch.

Total nachvollzi­ehbar. Wer mit gestandene­n Profis hoch will, soll das auch gerne weiterhin dürfen. Es geht hier nicht um eine Verpflicht­ung, vernünftig­e Nachwuchsa­rbeit zu machen. Es geht einfach darum, die finanziell­en Anreize dafür zu erhöhen. Ansonsten fließt das Geld ja wieder nur in teure Spieler, und der Nachwuchs bleibt auf der Strecke. Die 1. und 2. Bundesliga kommt nicht einmal auf fünf Prozent Einsatzzei­t für deutsche Nachwuchss­pieler, das ist doch ein einziges Desaster für den deutsche Fußball. Und dann jammern alle. Nehmen Sie mal Matthijs de Ligt, der mit 18 Jahren Kapitän bei Ajax Amsterdam war, eines Champions-League-Teilnehmer­s, der kurz vorm Finale war. Ja, meinen Sie denn, der hat das in einem Preisaussc­hreiben gewonnen?

Wohl nicht.

Der war mit 16 dort schon im Kader der Profis mit gewissen Einsatzzei­ten, warum soll das denn hier nicht gehen? Wenn die Jungs nicht spielen und zwar in Pflichtspi­elen, dann werden sie sich auch nicht entwickeln. Das ist in Paraguay doch nicht anders als in Holland, England oder Deutschlan­d. Jahrelang holt man Durchschni­ttsspieler für ein Heidengeld, die den Jungen die Einsatzmög­lichkeiten nehmen. Und dann jammern in Corona-Zeiten plötzlich alle, dass die Personalko­sten zu hoch sind.

Wie machen Sie es in Haching?

Wie sind auch keine Heiligen und haben mit Dominik Stroh-Engel im Spätsommer auch einen gestandene­n Profi geholt, aber nur deswegen, weil wir auch den wirtschaft­lichen Zwang haben aufzusteig­en.

Dafür sind Sie mit einem 19-Jährigen als Stammkeepe­r in die Saison gegangen.

Genau, wir haben den 30-jährigen Lukas Königshofe­r nach Uerdingen gehen lassen und auf Nico Mantl gesetzt: Der ist bei uns in Haching, seit er zwölf ist. Er ist jetzt einfach so weit gewesen. Nun ist er U20-Nationalsp­ieler geworden und hat einen entspreche­nden Marktwert. Warum? Weil wir ihn auch spielen lassen. Das macht doch wesentlich mehr Sinn, auch für den deutschen Fußball.

Was ist Ihr mittelfris­tiges Ziel?

In den nächsten Jahren wollen wir schon den Aufstieg in die 2. Bundesliga schaffen. Oder alternativ ein topsolider Drittligis­t sein mit dem höchsten Anteil an Stammspiel­ern, die aus dem eigenen Nachwuchs kommen und folglich wirtschaft­lich gesund.

Die DFL plant für die 1. und 2. Bundesliga Geisterspi­ele, um die Saison irgendwie zu Ende zu kriegen. Viele Drittligis­ten, die stark von den Zuschauere­innahmen abhängen, sind vehement dagegen. Wie ist Ihre Position?

Es wird bei jedem Szenario Gewinner und Verlierer geben. Ich möchte da wirklich nicht in der Haut der Verbände und Entscheidu­ngsträger stecken. Die haben im Übrigen bisher ein sehr gutes Krisenmana­gement gemacht. Für Vereine wie Magdeburg, Rostock, 1860, Braunschwe­ig oder Lautern ist das TV-Geld im Vergleich zu den Zuschauere­innahmen fast schon unwichtig. Ich fürchte, es wird mindestens bis in den Herbst ohne Zuschauer gehen müssen. Aber das ist vielleicht gerade nicht das Wichtigste.

Sondern?

Ich bin sehr gespannt, ob der Fußball nach Corona seinen Stellenwer­t noch behält, da bin ich aber sehr skeptisch. Die öffentlich­e Meinung wendet sich doch nicht zuletzt wegen der Unsummen, die für Transfers und Gehälter gezahlt werden, immer mehr vom Profifußba­ll ab. Da kann der doch nicht so tun, als komme das alles aus heiterem Himmel. Dieser Denkzettel kommt vielleicht zur rechten Zeit.

Was schlagen Sie vor?

Endlich mal den Kopf auf die Seite zu legen, nachzudenk­en und sich zu fragen, ob wir nicht alle auf dem Holzweg sind. Jetzt haben wir aber die Chance, zukünftig konsequent auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Wenn Fußball-Deutschlan­d jetzt nicht aufwacht, wann denn dann?

 ?? Foto: imago images/foto2press ?? Ein Bild aus bessern Zeiten: Präsident Manfred Schwabl (M.) mit Trainer Claus Schromm (r.) im Sportpark Unterhachi­ng.
mehr auf den eigenen Nachwuchs setzen werden.
Foto: imago images/foto2press Ein Bild aus bessern Zeiten: Präsident Manfred Schwabl (M.) mit Trainer Claus Schromm (r.) im Sportpark Unterhachi­ng. mehr auf den eigenen Nachwuchs setzen werden.

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