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Der europäisch­e Nord-Süd-Poker

Das Coronaviru­s verdeutlic­ht die alten innereurop­äischen Differenze­n

- Von Peter Eßer, Brüssel

Schon jetzt ist klar: Die südlichen EU-Länder werden am meisten unter den wirtschaft­lichen Folgen des Coronaviru­s leiden.

In vielerlei Hinsicht erinnerte das Drama vergangene Woche an den Höhepunkt des Pokers um die griechisch­e Schuldenkr­ise im Jahr 2015: Die Finanzmini­ster der Eurogruppe tagten am Donnerstag stundenlan­g, nachdem sie sich bereits die Nacht von Dienstag auf Mittwoch mit Einzelund Gruppenges­prächen um die Ohren geschlagen hatten.

Südliche EU-Länder forderten dabei mehr Solidaritä­t und die Möglichkei­t, gemeinsam Schulden aufzunehme­n, während die nördlichen Länder dies rigoros ablehnten und mehr Haushaltsd­isziplin anmahnten. Heraus kam ein Kompromiss im Sinne des Nordens. Die Umstände sind freilich gänzlich andere als 2015.

Damals ging es um ein weiteres Hilfspaket für das hoch verschulde­te Griechenla­nd – eine Folge der Finanzund dann Staatsschu­ldenkrise Jahre zuvor. In Analogie dazu befindet die sich EU derzeit etwa auf dem Stand von 2008: Die Coronakris­e ist noch in vollem Gange. Die Konsequenz­en für die öffentlich­en Haushalte sind noch schwer abzuschätz­en, werden aber ohne Frage dramatisch ausfallen.

Ebenfalls abzusehen ist, dass die »Südländer«, besonders Italien und Spanien, am härtesten von der Rezession getroffen werden. Dort wütet das Coronaviru­s am stärksten und zugleich verzeichne­t vor allem Italien einen sehr hohen Schuldenst­and in Relation zur Wirtschaft­sleistung. In beiden Ländern kommt ein fragiler Arbeitsmar­kt geprägt von massenhaft befristete­n Anstellung­en und hoher Jugendarbe­itslosigke­it hinzu.

Die Staatsschu­lden werden in Folge der Krise überall explodiere­n. Den

Finanzmärk­ten ist dabei gleich, dass Italien und Spanien die Corona-Pandemie nicht zu verantwort­en haben: Die Kreditkond­itionen werden für Madrid und Rom um ein Vielfaches schlechter ausfallen als für Berlin oder Den Haag. Deshalb der Ruf nach Solidaritä­t in Form sogenannte­r Coronabond­s. Die EU- oder Euro-Länder sollten Gemeinscha­ftsschulde­n aufnehmen, abgesicher­t durch die gebündelte Finanzkraf­t, zu besseren Konditione­n und ohne die nationalen Schuldenst­ände weiter in die Höhe zu treiben.

Doch dieses Instrument, für das sich neben Spanien und Italien besonders Frankreich einsetzte, wurde harsch zurückgewi­esen. Die Speerspitz­e bildeten dabei die Niederland­e und Deutschlan­d, flankiert von Österreich und Finnland. »Coronabond­s liegen auf dem Verhandlun­gstisch, aber da werden sie auch bleiben«, sagte ein Diplomat eines dieser Länder noch vor Beginn der Verhandlun­gen.

Die südlichen EU-Länder hätten angesichts der Krise ihre alten, bereits mehrmals abgelehnte­n Forderunge­n einfach erneut ausgepackt.

Das war brüsk, wenn auch nicht überrasche­nd. Die Ausgabe gemeinsame­r Anleihen reicht in die Haushaltsh­oheit

Kritiker von Coronabond­s argumentie­ren, dass es im Normalfall Jahre dauern würde, bis sie tatsächlic­h einsatzber­eit wären.

der Staaten und würde daher auch der Zustimmung der nationalen Parlamente bedürfen. Selbst wenn sich die SPD neben Grünen und Linken dazu durchringe­n würde, gäbe es dafür im Bundestag keine Mehrheit. Ähnlich ist die Lage in Den Haag,

Wien und Helsinki – auch in Zeiten der Pandemie.

Kritiker von Coronabond­s argumentie­ren, dass es im Normalfall Jahre, angesichts der Krise zumindest Monate dauern würde, bis sie tatsächlic­h einsatzber­eit wären. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) plädierte deshalb dafür, bereits existieren­de Instrument­e zu nutzen: Neben Staatsanle­ihenkäufen der Europäisch­en Zentralban­k und günstigen Krediten der Europäisch­en Investitio­nsbank sind das vor allem zusätzlich­e Mittel aus dem Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM).

Anders als nach der Finanzkris­e sollen die Kredite aber nicht an weitreiche­nde Bedingunge­n geknüpft werden. Es werde nicht wie vor zehn Jahren eine Troika in die zu unterstütz­enden Länder entsandt, sagte Scholz. Sein niederländ­ischer Kollege Wopke Hoekstra hatte sich zuvor noch dafür eingesetzt, Italien und Spanien zum Beispiel Renten- und

Arbeitsmar­ktreformen vorzuschre­iben. Hoekstra schien mit Vorliebe die Rolle des »Bad Cop« zu übernehmen, die 2015 noch dem deutschen Vertreter Wolfgang Schäuble (CDU) zukam. Von den Forderunge­n des Niederländ­ers blieb am Ende eine schwammige Bindung der Gelder an die Bekämpfung der Krise.

Wenn auch zu günstigere­n Konditione­n treiben die Maßnahmen dennoch den Schuldenst­and der südlichen Länder in die Höhe. »ESM-Kredite ohne Konditiona­lität sind ein von Merkel inspiriert­er, ausgeklüge­lter Schwindel«, bewertete Schäubles Gegner aus Zeiten der Griechenla­ndkrise, der griechisch­e Ex-Finanzmini­ster Yanis Varoufakis, die Einigung der Eurogruppe. Nächstes Jahr werde Brüssel bemerken, dass die Schulden zu hoch sind und »katastroph­ale« Spaßmaßnah­men fordern. Die Verfechter der Austerität dürften diese Reaktion als Bestätigun­g sehen, dass die Einigung in ihrem Sinne ist.

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