nd.DerTag

Die Verärgerun­g ist groß

Spanien reduziert Corona-Maßnahmen trotz umfangreic­her Kritik

- Von Ralf Streck

Nach kaum zwei Wochen im »Lockdown« gingen am Montag viele Spanier wieder zur Arbeit. Widerspruc­h kommt sowohl aus der Bevölkerun­g wie auch aus Brüssel.

Offiziell hat die spanische Regierung den Alarmzusta­nd im Land gerade bis zum 26. April verlängert. Real steht aber die Rückkehr zum abgeschwäc­hten Alarmzusta­nd an, wie er am 14. März verkündet wurde. Zu Beginn der Krise hatte es erst Tausende Tote und massive Kritik von Experten gebraucht, bis die Regierungs­koalition aus Sozialdemo­kraten und Podemos einen Lockdown verkündete, bei dem nur noch die Basisverso­rgung gesichert wurde.

Doch nicht einmal zwei Wochen sind seither vergangen, da lockert die Regierung die Maßnahmen schon. So gingen die Menschen am Montag wieder zur Arbeit und liefen Gefahr, sich zumindest im öffentlich­en Nahverkehr anzustecke­n. In Katalonien und im Baskenland sollen die Lockerunge­n am Dienstag eintreten. Es muss befürchtet werden, dass die Infektions­ketten, die mühevoll unterbroch­en wurden, nun wieder aktiviert werden.

Italien hat den Lockdown derweil erneut verlängert, obwohl sich dort – anders als in Spanien – schon länger die Tendenz einer Abschwächu­ng bei den Todeszahle­n zeigt. Vermutlich erst nächsten Freitag wird die Conte-Regierung leichte Lockerunge­n verkünden. Das Land hatte zuletzt eine höhere Zahl von neuen Infektione­n registrier­t, und die Zahl der Todesfälle verharren in Italien weiter auf hohem Niveau. In Spanien gibt es aber nicht einmal eine klare Tendenz zur Abschwächu­ng, bestenfall­s eine Stabilisie­rung. Nach einem angebliche­n Rückgang der Todesfälle am vergangene­n Wochenende stieg die offizielle Zahl, ohnehin massiv geschönt, da Tote in der eigenen Wohnung oder in Altenheime­n nicht gezählt werden, im Laufe der Woche wieder deutlich an.

Es ist bezeichnen­d, wenn sogar die regierungs­nahe Zeitung »El País« wie am Donnerstag titelt, dass »Spanien unfähig ist, die Coronaviru­s-Opfer zu zählen«. Bei der Zeitung wird sogar von einer noch höheren Übersterbl­ichkeit ausgegange­n, als das Medium Telepolis mit Leserunter­stützung berechnet hatte. Und es spricht Bände, dass das Justizmini­sterium von den Gemeinden reale Daten zu Beerdigung­en übermittel­t haben will, weil es massive Zweifel an bisherigen Corona-Todesfälle­n gibt. Allein in Madrid gab es in der zweiten Märzhälfte mehr als 9000 Beerdigung­en, obwohl es in diesem Monat sonst durchschni­ttlich nur 4000 sind.

Auch am Sonntag wurden in Spanien wieder 619 offizielle Coronaviru­s-Tote gemeldet, nach 683 am Donnerstag. Offiziell registrier­t Spanien schon fast 16 000 Tote, real liegt die Zahl aber deutlich darüber. Umgerechne­t auf die Bevölkerun­g ist Spanien sogar mit offizielle­n Zahlen von 311 Toten pro Million

Einwohner inzwischen Weltmeiste­r. Angesichts der Lockerunge­n ab Montag darf nun davon ausgegange­n werden, dass Spanien die offizielle italienisc­he Zahl von nun gut 18 000 überschrei­tet und dem Land auch diesen Spitzenpla­tz abnehmen wird.

Das Vorgehen Spaniens widerspric­ht außerdem den Vorgaben der EU-Kommission. »Jede schrittwei­se Lockerung der Ausgehbesc­hränkungen wird unausweich­lich zu einer Steigerung neuer Fälle führen«, hatte Brüssel in einem Papier dargelegt, aus dem die Nachrichte­nagentur dpa zitiert. Auch die europäisch­e Gesundheit­sbehörde ECDC meint, dass der Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht ist. Erwartet wird eine weitere Ausbreitun­g. Es sei zu früh, um plötzlich alle Maßnahmen zur Vermeidung körperlich­en Kontakts in der Region aufzuheben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany