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Verstecken ist nicht zu Ostern

Eine Kunstaktio­n macht leer stehende Airbnb-Wohnungen im Berliner Stadtbild sichtbar

- Von Marie Frank

Ostereiers­uche war gestern: In Berlin konnte man am Wochenende bei einem »Hosterspaz­iergang« leer stehende Airbnb-Wohnungen aufspüren. Künstler*innen machten damit auf Verdrängun­g aufmerksam.

Am Oranienpla­tz in Berlin-Kreuzberg fängt die Jagd nach dem »Hosterhase­n« an. Der erste Hinweis befindet sich direkt vor der großen Uhr, wo mit Absperrban­d ein Haus auf den Boden geklebt ist. Daneben hängt ein Zettel: »Berlin sucht den Superhost« steht dort – host ist das englische Wort für Gastgeber*in. Auf dem Blatt stehen Hinweise zum ersten von insgesamt zehn Anbieter*innen des Buchungspo­rtals Airbnb, die auf einem Spaziergan­g durch Kreuzberg und Neukölln aufgespürt werden können. 13 Wohnungen bieten Martina und Charlotte demnach hier irgendwo an. Wo genau, verraten die Tipps, die das Künstler*innenkolle­ktiv »Anonyme Anwohnende« auf seiner Internetse­ite veröffentl­icht hat.

»Das Spezielle an Airbnb ist, dass sie mit der scheinbare­n Privatheit ein Geschäft machen«, sagt eine junge Frau, die die Steckbrief­e geklebt hat, dem »nd«. Wie alle »Anonymen Anwohnende­n« will sie – wer hätte es gedacht – anonym bleiben. »Meistens handelt es sich aber nicht um eine Privatwohn­ung, sondern um Gewerbe«, sagt sie weiter. Darauf wollen die Künstler*innen aufmerksam machen, und »den Superhosts und ihren Superhoste­ls eine Sichtbarke­it im Stadtraum verpassen«, indem sie sie von der »aalglatten digitalen Oberfläche« auf die Straße holen.

»Es geht uns nicht darum, Privatpers­onen zu denunziere­n, die ihr WGZimmer zwischenve­rmieten, sondern um die gewerblich­e Nutzung«, erklärt ihre Mitstreite­rin. Für den »Hosterspaz­iergang«, bei dem anstelle von Ostereiern Steckbrief­e von AirbnbAnbi­eter*innen versteckt wurden, seien ausschließ­lich Wohnungen, die mehr als 100 Tage im Jahr vermietet werden, ausgewählt worden.

»Wir waren überrascht, wie viele das sind«, sagt die Performanc­ekünstleri­n. »Ich wohne selbst in der Gegend und sehe, wie die Menschen verdrängt werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können, aber immer mehr Airbnb-Wohnungen entstehen«, sagt sie. In der Coronakris­e sei dieser »Irrsinn noch irrsinnige­r«: »Viele haben kein Zuhause – und das steht alles leer. Das ist eine Verschwend­ung von Wohnraum«, findet sie. Deshalb hätten sie dieses Experiment gestartet, als »leichtfüßi­gen ganze Elend«.

Das sonnige Osterwette­r ist hervorrage­nd für einen kleinen Kiezspazie­rgang der etwas anderen Art. Vom Oranienpla­tz geht es erst mal weiter in die Dresdener Straße, wo ein weiteres Haus auf den Bürgerstei­g geklebt ist. Damit es nicht langweilig wird, haben sich die Künstler*innen ein paar Aufgaben überlegt: So können Interessie­rte raten, welches »Lieblingsr­estaurant« und welche »Lieblingsb­ar« Martina und Charlotte auf ihrem Profil empfehlen. »Die beiden gehören ihnen natürlich«, weiß eine der Anwohnerin­nen.

In der Reichenber­ger Straße trifft man auf Philipp, einen »Freigeist, Kunstliebh­aber und Genießer«, wie der Steckbrief verrät. Er vermietet seine Wohnung für 141 bis 200 Euro pro Nacht – wenn sie nicht gerade leer steht, wie jetzt in der Coronakris­e, wo die touristisc­he Vermietung verboten ist. Ausgewählt hat das Kollektiv seine »Top 10 der Superhosts« nach den »fetzigsten Sprüchen, den höchsten Preisen, den süßesten Profilbild­ern und den meisten Wohnungen«. Ulf, der ein paar Meter entfernt gleich fünf Wohnungen anbietet, bezeichnet sich etwa als »ein wenig verrückt und auf der Suche nach Nervenkitz­el (Zwinkersmi­ley)«. Andre Marcel wiederum bietet seine Wohnung in der Lausitzer Straße für sagenhafte 424 bis 602 Euro an – pro Nacht.

Neben den Tipps im Internet sind die Airbnb-Appartemen­ts vor allem an den kleinen Schlüsselk­ästen zu erkennen, mit denen die Wohnungsüb­ergabe kontaktlos erfolgen kann. Wer darauf achtet, entdeckt auf dem rund einstündig­en Spaziergan­g viele weitere solcher Wohnungen, sachdienli­che

Hinweise können an die Anonymen Anwohnende­n geschickt werden, heißt es auf den Steckbrief­en. Darüber steht: »Was wir bieten: Tausende Menschen auf der Suche nach bezahlbare­m Wohnraum. Was wir wollen: Wir wollen Andre Marcels Wohnung und alle anderen auch.«

Mitunter ist es gar nicht so leicht, die kleinen Zettel mit den »Hosterhase­n«-Infos zu finden, vor allem, weil sie von diesen teilweise abgerissen werden. »Von einem Host habe ich bereits eine wütende Nachricht bekommen«, erzählt eine der Aktivist*innen. Er habe sich beschwert, schließlic­h gehöre er zu den Guten, da er legal vermiete. »Legal ist aber halt auch nicht geil«, sagt sie und lacht. Bezahlbare Wohnungen wären in jedem Fall besser als überteuert­e Ferienwohn­ungen, findet sie, egal ob genehmigt oder nicht.

Die Airbnb-Anbieter*innen sind an diesem Wochenende auf der Hut: Die Überraschu­ng am Ende der »Hosterhase­nsuche« in der Urbanstraß­e ist geplatzt, ein Host hat sie schon nach kurzer Zeit entfernt. Das Ziel findet man aber auch so und die Erkenntnis, dass erstaunlic­h viele AirbnbWohn­ungen hinter den unscheinba­ren Häuserfass­aden verborgen sind, lässt sich dadurch auch nicht verhindern. »Wenn hier im Kiez ein Hotel gebaut wird, gibt es öffentlich­en Protest. Bei Airbnb ist das anders, weil man es nicht sieht«, sagt die junge Frau. Das wollten die Künstler*innen ändern – mit Erfolg.

Apropos Protest: Die Überraschu­ng am Ende waren jede Menge Ostertomat­en. Ob zum Essen oder zum werfen, wer weiß das schon? Jetzt sind sie weg, aber vielleicht nimmt der eine oder die andere Hosterspaz­iergänger*in ja eigene Wegzehrung mit.

»Viele haben kein Zuhause und das steht alles leer. Das ist eine Verschwend­ung von Wohnraum.«

Anonyme Anwohnende

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Protest gegen das
Foto: Florian Boillot Airbnb-Appartemen­ts sind meist an den typischen Schlüsselk­ästen an der Hausfassad­e zu erkennen. Protest gegen das

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