nd.DerTag

Mundschutz ist kein Maulkorb

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Man kann den rund 180 Menschen, die am Sonntag vor einer Bäckerei in Potsdam eine als Warteschla­nge getarnte Menschenke­tte gebildet haben, nicht vorwerfen, dass sie die Coronakris­e auf die leichte Schulter nehmen. Gerade die Sorge um die Folgen einer Epidemie in den beengten Verhältnis­sen von Asylheimen und unter den unhygienis­chen Bedingunge­n griechisch­er Flüchtling­slager trieb sie auf die Straße.

Die Bevölkerun­g sieht die Notwendigk­eit von Kontaktbes­chränkunge­n überwiegen­d ein. Widerspruc­h regt sich gegen Maßnahmen, deren Sinn nicht erkennbar ist. Warum soll eine Menschenke­tte mit Abständen nicht möglich sein, wie sie zwischen den Regalen der Lebensmitt­elläden schwer einzuhalte­n sind? Warum werden Parks mit weiten Wiesen abgesperrt, wenn sich Menschen, die mal frische Luft schnappen müssen, dann auf engen Bürgerstei­gen kaum ausweichen können? Warum werden Besuche im Hospiz eingeschrä­nkt, wenn die unheilbar kranken Patienten dort sowieso bald sterben müssen – und dies nun ohne den Trost der Angehörige­n? Was soll die Begründung dafür sein?

Dass aber in Brandenbur­g einerseits Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) Bußgelder androht und anderersei­ts Gesundheit­sministeri­n Ursula Nonnemache­r (Grüne) laut über Lockerunge­n der Bestimmung­en nachdenkt, sorgt nicht für die nötige Klarheit. So vertrauens­erweckend der Regierungs­chef sonst sein mag, in dieser Frage glaubt man der Ärztin Nonnemache­r eher als dem Agraringen­ieur Woidke.

Vom Gefühl her fangen schon wieder mehr Unvernünft­ige an, es mit den Abstandsre­geln nicht so genau zu nehmen. Dabei sollten wir noch Vorsicht walten lassen. Die Wartenden vor der Bäckerei in Potsdam waren übrigens vorsichtig­er als die Polizisten, die ohne Mundschutz anrückten, vorsichtig­er insbesonde­re als der eine Beamte, der sich unvermitte­lt vor einem vorbeilauf­enden Aktivisten aufbaute und ihm ein Bein stellte.

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Foto: nd/Ulli Winkler Andreas Fritsche über schwer zu begreifend­e Vorschrift­en

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