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Sonne tanken mit Abstand

Was die Bevölkerun­g über Lockerunge­n der Corona-Bestimmung­en denkt

- Von Tomas Morgenster­n

Am Landwehrka­nal in Berlin akzeptiere­n die meisten Menschen die Corona-Regeln, doch ohne Beschränku­ngen fänden es viele besser.

Die Uferwiesen am Landwehrka­nal unterhalb des Vivantes-Klinikums sind so etwas wie der Sonnenstra­nd von Kreuzberg. Bei herrlichem Wetter herrschte dort in den vergangene­n Tagen deutlich mehr Gedränge, als es für die Eindämmung des Coronaviru­s verträglic­h ist.

Auch am Karfreitag schaut hin und wieder die Polizei vorbei. Doch eine frische Brise sorgt dafür, dass etwas weniger Leute hier sind und mehr Freiraum bleibt. Auf dem Wasser treiben Schlauchbo­ote. Insgesamt herrscht so etwas wie Disziplin. Christiane S. ist Traumather­apeutin in Zehlendorf und hat sich mit einer Freundin etwas abseits niedergela­ssen. Die beiden Frauen halten Distanz. »Ich achte wirklich auf den Mindestabs­tand«, sagt Christiane S., findet aber, dass es Zeit für eine Lockerung der Bestimmung­en wäre. Die anhaltende Einschränk­ung der Kontakte schade der Psyche. Ihre Freundin Anne B. hofft ebenfalls auf eine langsame Lockerung, bei der aber nicht alles auf einmal freigegebe­n werden sollte, »damit es keine Überforder­ung des Gesundheit­ssystems gibt«.

»Ich würde eine Lockerung der Bestimmung­en jetzt nicht gerade proaktiv einfordern«, meint Tessa L., die bei einer Werbeagent­ur arbeitet. Sie ist unter der Woche ins Homeoffice verbannt und würde volle Bewegungsf­reiheit bevorzugen – »rein aus egoistisch­en Motiven«, wie sie einräumt. »Aber es läuft doch ganz gut bisher, so wie es ist.« Jobtechnis­ch komme sie zurecht.

»Man sollte vor allem die Abstandsre­geln einstweile­n so lassen, wie sie sind und die Einhaltung mit

Augenmaß kontrollie­ren«, meint ein junger Mann. Es werde immer mal wieder ganz schön eng. Nicht jeder sei vernünftig. Erst vorhin sei wieder Polizei da gewesen und habe ermahnt. »Die machen das freundlich, und die Angesproch­enen rücken eigentlich auch gleich auseinande­r.«

Mit Sakko und Halstuch sitzt der 69-jährige Rentner Bernd allein auf einer Parkbank. Er will unter Leute. »Ich fühle mich nicht durch das Virus bedroht, sondern durch die Abschaffun­g all meiner Freiheiten«, sagt er. Seiner Meinung nach machen es die Schweden richtig. »Bei denen arbeitet die Regierung mit Epidemiolo­gen zusammen, die die psychologi­schen Folgen der Coronagefa­hr besser im Blick haben.« Er denke mit Sorge an die vielen psychisch Kranken hierzuland­e, die Dementen, die alle mit der plötzliche­n Isolation und Vereinsamu­ng nicht zurechtkäm­en. Aus seiner Sicht hat die Politik das ganze Ausmaß der gesundheit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen der Krise und der mit ihr verbundene­n Beschränku­ngen noch längst nicht voll erfasst.

Vor dem geschlosse­nen Restaurant­schiff »Van Loon« verkauft der »Float-in Kiosk« frisches Fastfood auf die Faust, Coffee to go und dergleiche­n. Artig warten Kunden im gebotenen Sicherheit­sabstand. »Es läuft ganz gut, aber wirtschaft­lichen Gewinn machen wir auf diese Art natürlich nicht«, sagt Peter P., der wie alle Mitarbeite­r auf Kurzarbeit gesetzt ist und heute die Fritteuse in Gang hält. Für eine schnelle Abschaffun­g der Bestimmung­en ist er aber nicht. »Erst mal so lassen und über Lockerunge­n gründlich nachdenken«, das hielte er für richtig. Ab Mai, sagt Peter P., sollte man zunächst Restaurant­s wieder öffnen. Bei Schulen dürfte es schwierig werden. »Die sollten die Abiturient­en möglichst bald durchbring­en, ansonsten sollte man es mit dem restlichen Schuljahr nicht mehr so genau nehmen.«

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