Die zauberhafteste und die schmerzhafteste Erfahrung
Best of Menschheit, Folge 16: Kinder
Ganz sicher zum größten Versagen in der Historie der Menschenspezies gehört, fast immer und überall den Reproduktionsdruck und die dazugehörige Last den Frauen aufgebürdet, ihre Körper beherrscht, manipuliert und im Stich gelassen zu haben. Wenn die Menschheit in ihren letzten Jahrzehnten wenigstens ein Promille ihrer Fehler ausgleichen will, so als Zugabe, sollte sie intensiv danach forschen, wie Verhütung ausschließlich über den Männerkörper geregelt werden kann, und alle Fragen rund um Abtreibung ausschließlich die davon Betroffenen beantworten lassen. Und obendrein alle, die nicht der Überbevölkerung herfickenden heterosexuellen Norm entsprechen, so frei wie möglich entscheiden lassen, ob und wie viele Kinder sie haben wollen.
Denn so hehr es sein mag, angesichts der kommenden Katastrophen auf Kinder zu verzichten (oder aus Unlust; es ist ein Spektrum): Kinder sind schon fantastisch, eine Zierde der Spezies durch die Jahrtausende – und wer welche haben möchte, sollte keinesfalls von Pfaffen aller Art daran gehindert werden. Ja, Kinder, und das können Kinderlose tatsächlich nicht nachempfinden (so sehr sie diese Feststellung auch zu nerven vermag), sind elementar fürs Leben und lassen einen das auch herrlich spüren.
Ein kinderloses Dasein ist gewiss kein sinnloses, eines mit Kindern kann aber fast magisch Sinn ergeben. Da sind plötzlich Wesen, für die man garantiert das eigene Leben riskieren würde (was – sorry, Liebende! – bei all dem, was man sich erwachsenenseits so anlacht, nun wirklich selten passiert). Kinder zu haben, ist so ziemlich die anstrengendste, verrückteste, zauberhafteste, schmerzhafteste, erhebendste (da ginge noch mehr) Erfahrung, die man machen kann, und sie sind der einzige Trost für die ultimative Beleidigung, die der Tod darstellt.
Nun soll nicht verschwiegen sein, dass das kein Automatismus ist, dass
Eltern(teil) und Kind auch mal einander grundsätzlich nicht leiden können – aber es wäre die Aufgabe einer vernünftigen Gesellschaft, auch das ohne Verurteilung zuzulassen und auszugleichen. Ohnehin ist dieser biologisierte Kernfamilienquatsch nicht wirklich geeignet, aus Kindern glückliche Menschen zu machen. Was dadurch belegt sei, dass es fast keine glücklichen Menschen gibt. Und unglückliche Menschen tun mit Kindern oft Dummes: zum Beispiel sie überhaupt erst nur zum Zwecke der eigenen Sinnerfüllung zu zeugen oder sie als ein Statussymbol anzusehen, das dann stört, wenn es nicht so funktioniert, wie man dachte. Oder wie es einmal in der Zeitschrift »Titanic« ungefähr hieß: Kinder sind nicht unsere Zukunft. Sie sind ihre eigene Zukunft. Unsere Zukunft: Friedhof.
Die Menschheit hat lange gebraucht, um so etwas wie Kindheit zu entdecken bzw. zu erfinden, um sie dann gnadenlos zu fetischisieren – und dabei ist sie auf die verrücktesten Ideen gekommen, wie mit den
Kleinen umzugehen sei. Ich als launiger Chronist kann sicher nicht entscheiden, was Kinder sind und wie mit ihnen optimal umzugehen ist. Meine Erfahrung sagt: Sie sind ab dem ersten Tag eigenständige Persönlichkeiten, nicht ungleich Erwachsenen, aber eben deutlich ärmer an körperlichen und geistigen Erfahrungen.
Und alles, was man braucht, um ihre unbezwingbare Schönheit zu erkennen, um ihnen eine solche Gegenwart geben zu wollen, dass die Voraussetzungen für eine interessante und peinarme Zukunft geschaffen werden, ist das, was keine gesellschaftliche Ordnung bisher allen zu bieten vermochte, die sich um Kinder kümmern möchten oder müssen: die Zeit, sich auf diese Wesen einzulassen, ohne Sorge um die eigene Existenz oder den Druck, diese sichern zu müssen. Schon gar nicht die akut herrschende Ordnung. Selbst im Corona-Lockdown will sie vor allem Kinder zu dem schulen, was ihre Eltern sind: ständige Verkäufer ihrer selbst.