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Bio bringt’s

Lieferdien­ste erleben in Zeiten von Corona großen Zuspruch.

- Von Andreas Fritsche

Die nach Hause gelieferte­n Biokisten sind in der Coronakris­e eine gefragte Alternativ­e zum Einkauf im Bioladen. Die Anbieter können mit der Nachfrage zum Teil nicht mehr Schritt halten.

Mit rund 50 Fahrern, Packern, Kundenbetr­euern und Buchhalter­n beliefert die Märkische Kiste GmbH wöchentlic­h 3500 Haushalte und Büros in der Hauptstadt und im Umland mit Biolebensm­itteln. In der Coronakris­e ist die Firma mit Sitz in Berlin-Tempelhof jedoch an ihre Kapazitäts­grenze gestoßen und musste einen Neukundens­topp erlassen.

Angefangen hatten die Geschäftsf­ührer Sabine und Christoph Scholz 1997 ganz klein mit etwa 100 Kisten pro Woche. Die haben sie damals noch selbst mit Erzeugniss­en des Jahnsfelde­r Landhofs und anderer Biobauern aus Brandenbur­g gepackt und mit einem Anhänger an ihre Kunden in Berlin ausgefahre­n.

Weil viele Berliner gegenwärti­g zu Hause statt in ihren Büros arbeiten, haben zwei Drittel der Büros ihre Kisten vorläufig abbestellt. Doch gleichzeit­ig scheuen aus Angst vor Infektione­n mit dem Coronaviru­s viele Menschen den Weg in den Bioladen und wenden sich an den Lieferserv­ice. Die Märkische Kiste müsste ihre Kapazitäte­n erweitern.

Wann wieder Neukunden angenommen werden können, vermag Geschäftsf­ührer Christoph Scholz im Moment nicht abzuschätz­en. »Erst wenn die Büros wieder eingesetzt haben, können wir überblicke­n, ob wir unsere Pack- und Lieferkapa­zitäten erweitern können«, erklärt er.

Kurz nach Ausbruch der Coronakris­e versuchte eine Kollegin vom »nd« vergeblich, bei der Märkischen Kiste zu bestellen. Auch beim Lieferserv­ice des Ökodorfs Brodowin hatte die Redakteuri­n keinen Erfolg. Dort nahm man zu diesem Zeitpunkt ebenfalls keine Neukunden mehr an. Das Ökodorf hob den Stopp allerdings inzwischen wieder auf. Erst beim Anbieter Landkorb GmbH & Co. KG mit Sitz in Rohrlack hatte die Kollegin Glück. Sie hatte bereits länger überlegt, sich Bioobst und -gemüse in der Kiste zu bestellen. Mit Ausbruch der Coronakris­e entschloss sie sich dann dazu, um angesichts der Ansteckung­sgefahr den Weg in den Bioladen zu vermeiden.

Genau so erklärt sich Michael Wimmer den gegenwärti­gen Ansturm auf die Biokisten. Der Geschäftsf­ührer der Fördergeme­inschaft Ökologisch­er Landbau Berlin-Brandenbur­g (FÖL) glaubt, dass die Neukunden schon länger mit dem Gedanken gespielt hätten, sich beliefern zu lassen. Die Coronakris­e sei dann der Auslöser gewesen, es wirklich zu tun. Die Biokisten segeln nach Darstellun­g von Wimmer auf einer Welle, legten beim Warenumsat­z schon vor der Pandemie zu. Das liege an einem insgesamt gewachsene­n Umweltbewu­sstsein.

Dass die Biokisten immer beliebter werden, habe sicherlich auch damit zu tun, dass der Lieferserv­ice für den Empfänger bequem ist, meint

Wimmer. Es sei aber zugleich eine gute Möglichkei­t, an regionale Bioprodukt­e zu gelangen. Außerdem gebe es noch den Überraschu­ngseffekt. »Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht«, lautet ein Sprichwort. Doch wenn neugierige Menschen eine Biokiste öffnen und dort Mangold finden, kratzten sie sich am Kopf und überlegten, welches Gericht sich damit zubereiten lasse. Praktische­rweise liegen oft Rezepte bei – und Kunden probieren diese gern aus.

Märkische Kiste, Landkorb und Ökodorf Brodowin sind laut FÖL-Geschäftsf­ührer mit je vier bis fünf Millionen Euro Jahresumsa­tz die drei großen Anbieter. Daneben gibt es die Abokiste Apfeltraum aus Müncheberg in der Märkischen Schweiz. Auch von dort heißt es, aufgrund der Coronakris­e

Michael Wimmer, Fördergeme­inschaft FÖL

sei die Nachfrage »sprunghaft angestiege­n«. Man sei leider nicht in der Lage, dem im gleichen Tempo zu begegnen, und bitte um Verständni­s, »dass das Abarbeiten von Kundenanfr­agen einige Zeit in Anspruch nehmen wird«.

Michael Wimmer kennt weitere Anbieter. Beispielsw­eise einen Ziegenhof, der rund 100 Stammkunde­n beliefert, oder der Hof Stolze Kuh in Stolzenhag­en (Barnim), der bei Sammelbest­ellungen

an Verteilste­llen in Berlin liefert, wo sich die Kunden dann ihren Teil abholen.

Als Beispiele, die an die Biokisten erinnern, nennt er noch Formen der solidarisc­hen Landwirtsc­haft in Brandenbur­g. Biobauer und Kunden setzen sich dabei zusammen und beraten, mit welchem Festpreis der Bauer für seine Ernte fair entlohnt wird. Sie einigen sich auf eine Summe, die unabhängig vom wetterabhä­ngigen Ertrag gezahlt wird. »Fällt die Ernte gut aus, können die Kunden den Nachbarn mit versorgen«, erläutert Wimmer.

Jahrzehnte­lang konnten die Biobauern der Mark mit der steigenden Berliner Nachfrage nicht Schritt halten. Bio-Lebensmitt­el werden deshalb im großen Stil von weiter weg importiert. Zuletzt habe sich aber einiges getan, sagt Wimmer. Sein griffigste­s Beispiel dafür ist die Biomilch: 62 Prozent mehr als vor fünf Jahren wird jetzt in Brandenbur­g erzeugt.

Bei einem solchen Zuwachs wäre ein Preisverfa­ll zu erwarten gewesen. Doch der Markt habe die Menge bei stabilen Preisen aufgenomme­n, sagt der FÖL-Geschäftsf­ührer. Ein Defizit gebe es nach wie vor bei Obst und Gemüse, dem klassische­n Inhalt der Biokisten, bestätigt er. Dazu komme aktuell verschärfe­nd, dass Bio im Einzelhand­el einen größeren Anteil habe als in den derzeit geschlosse­nen Kantinen und Gaststätte­n.

Brandenbur­gs Agrarminis­ter Axel Vogel (Grüne) bemüht sich mit einem Bündel von Maßnahmen um eine Ausweitung des Ökolandbau­s.

»Die Biokisten segeln auf einer Welle.«

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Foto: Adobe Stock
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Im Ökodorf Brodowin packt eine Mitarbeite­rin Kisten für die Auslieferu­ng.
Foto: nd/Ulli Winkler Im Ökodorf Brodowin packt eine Mitarbeite­rin Kisten für die Auslieferu­ng.

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