Eigenes DDR-Bild
Laien konzipierten Ausstellungen im Kunstarchiv Beeskow.
Vor schier unendlichen Möglichkeiten zu stehen, hat nicht nur Vorteile. Das erlebten Teilnehmende des Projekts »Alle in die Kunst« bei ihrem Workshop im Kunstarchiv Beeskow. Zwölf Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher beruflicher Hintergründe kamen dort im Februar zusammen, um sich als Laien-Kurator*innen zu versuchen.
Unter den ausgewählten Teilnehmerinnen befindet sich auch die 62jährige Kristin Lemke. »Wir waren erschlagen, weil es so eine große Auswahl gab«, erzählt sie von dem Moment, als sie zum ersten Mal das Archiv betrat, das 17 000 Werke der bildenden Künste aus 40 Jahren DDR beherbergt. Hinzu kommen 1500 Werke der angewandten Kunst und des Laienschaffens.
Ziel des Projekts ist es, Laien die Möglichkeit zu geben, sich mit den Arbeiten im Archiv auseinanderzusetzen und eigene Ausstellungen zu gestalten. »Sie sind mit Entdeckergeist gekommen und wollten stöbern, stöbern, stöbern«, berichtet der Cottbuser Architekt Martin Maleschka, Projektleiter von »Alle in die Kunst«.
Zwei Tage sind nicht viel, um zu sichten, zu sortieren und auszuwählen. Die Laien-Kurator*innen arbeiteten in zwei Gruppen – eine mit Menschen über 60, die andere mit jüngeren Teilnehmenden.
Die Ausstellung des Ü60-Teams sollte Mitte März auf der Burg Beeskow eröffnet werden. Wegen Vorsichtsmaßnahmen aufgrund des Coronavirus wurde die Vernissage jedoch kurzfristig abgesagt. Das sei schade, aber keine Überraschung, sagt Kristin Lemke. »Wir haben das beim Aufbau schon fast erahnen können.« Die Kurator*innen haben ihre Schau so weit vorbereitet, dass sie bereit für Publikum ist.
Für Kristin Lemke war der ganze Prozess ein spannendes Erlebnis. »Wir waren anfangs sehr aufgeregt und neugierig, was wir zu sehen bekommen würden«, erzählt sie. Die
Arbeiten im Kunstarchiv waren vor 1990 im Besitz von Parteien, Massenorganisationen und staatlichen Einrichtungen der DDR. Die Werke der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern lagern in Beeskow. Darunter sei vieles, was man früher nicht zu Gesicht bekommen habe, weil es sich beispielsweise in Büros oder Ferienheimen befunden habe, erzählt Lemke. Viele Kunstwerke, die die DDR überdauert hätten, seien es auch heute wert, betrachtet zu werden, betont sie. Die gelernte Diplomingenieurin in der Lebensmitteltechnologie hat 20 Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet. Sie ist seit ihrer Kindheit an Kunst interessiert und arbeitet selbst künstlerisch mit Metall.
Das Beeskower Archiv will durch das Projekt die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit dem Bestand fördern. Im Mai 2019 wurde ein neues Depot eröffnet, das eine bessere Sichtbarkeit und Zugänglichkeit ermöglicht.
Die Ausstellung steht unter der Überschrift »Leben in einem Land, das es heute nicht mehr gibt«. Bei der Auswahl der Arbeiten spielte der kunsthistorische Wert eine Rolle, aber auch die Verbindung zur eigenen Biografie.
Regelmäßig werden Führungen angeboten.
Für die Laien-Kurator*innen bedeutet die Beschäftigung mit den künstlerischen Arbeiten auch eine Konfrontation mit der Vergangenheit. »Ich habe 30 Jahre in einer Gesellschaft verbracht und 30 Jahre in der anderen. Wir können unser Leben ja nicht abstreifen wie einen Mantel«, sagt Kristin Lemke.
Die Ausstellung ihrer Gruppe steht unter der Überschrift »Leben in einem Land, das es heute nicht mehr gibt«. Bei der Auswahl der Arbeiten spielte der kunsthistorische Wert eine Rolle, aber auch die Verbindung zur eigenen Biografie. Es sei darum gegangen, was das »bunte Leben« widerspiegele, erklärt Lemke.
Nach vielen Überlegungen und Diskussionen haben sich die fünf für eine Reihe von Ölbildern, Fotografien, Grafiken, Plastiken und textilen Arbeiten entschieden. »Klar, wir hatten auch kontroverse Diskussionen,
aber wir haben uns zusammengerauft«, berichtet Lemke. Die meisten Teammitglieder sind im Osten sozialisiert worden, eine Teilnehmerin im Westen. Gemeinsam ist allen ihr Interesse an Kunst – doch Vorlieben, Einschätzungen und Lebenserfahrungen sind bei allen verschiedenen. »Es ist ein Ziel des Projekts, dass Leute mit unterschiedlichen Ansichten zusammen eine Ausstellung machen«, sagt Martin Maleschka.
Nachdem die Arbeiten zur Burg Beeskow gebracht worden waren, mussten die Kurator*innen noch einmal aussieben. Denn sie merkten, dass nicht alles in die vier Räume passte. »Wir haben erst vor Ort gesehen, was untereinander harmoniert«, erzählt Kristin Lemke.
Entstanden ist eine Ausstellung, in der bekannte Namen wie Wolfgang Böttcher, Wolfgang Mattheuer oder Harald Metzkes zu finden sind. Aber auch viele unbekanntere Künstlerinnen
und Künstler seien vertreten – gerade im textilen Bereich, berichtet Maleschka.
Da die Eröffnung des ersten Teils des Projektes auf unbestimmte Zeit verschoben ist, kann man die Schau nun visuell besichtigen. Diese sollte noch bis zum 21. Juni dauern, bevor die Ausstellung der Jüngeren gezeigt wird.
Die U60-Gruppe sei anders an die Aufgabe herangegangen als die Älteren, berichtet Projektleiter Maleschka. Sie hätten entschieden, dass jede*r von ihnen für jeden Raum eine Arbeit aussuchen dürfe. Interessanterweise ist ein einziges Bild in beiden Ausstellungen vertreten: eine textile Arbeit von 1983 mit einer Stadtansicht von Berlin – »Berlin. Weltstadt des Friedens« von Cornelia Jäger-Brendel.
Die Ausstellung ist zu sehen unter: www.kunstarchiv-beeskow.de/virtuelle-sonderausstellung