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In Flüchtling­sunterkünf­ten geht die Angst vor dem Virus um

Bremer Senat reagiert nicht auf Coronakris­e in zentraler Flüchtling­sunterkunf­t / Betroffene reagieren zunehmend ungeduldig

- Von Sabine Netz

Die Bremer Aufnahmest­elle für Geflüchtet­e ist Gegenstand von Streit und Protest. Trotz mehrerer Coronafäll­e wird sie nicht geschlosse­n.

Seit Mitte März protestier­en Bewohner*innen der Erstaufnah­mestelle Lindenstra­ße in Bremen mit »Together we are Bremen« und anderen Initiative­n der Bremer Zivilgesel­lschaft gegen die Gemeinscha­ftsunterku­nft und verlangen ihre Schließung. Mit einer Petition, mehreren Kundgebung­en und Demonstrat­ionen übten sie Druck auf die zuständige Sozialsena­torin aus und waren damit durchaus schon erfolgreic­h. Lebten zu Beginn der Corona-Pandemie noch rund 600 Bewohner in der Landesaufn­ahmestelle (LASt), sind es nun noch 310 Menschen. Für die Landesaufn­ahmestelle gilt ein Aufnahmest­opp. Davon war in der vergangene­n Woche mit 146 Menschen

knapp die Hälfte der Bewohner*innen positiv auf das Coronaviru­s getestet. Die meisten Flure der Einrichtun­g sind unter Quarantäne gestellt.

Fatoumata (Name geändert) lebt bereits seit drei Wochen in der Quarantäne, obwohl sie mittlerwei­le zweimal negativ getestet wurde. Einem Sozialarbe­iter zufolge müsse sie dreimal negativ getestet werden, um wie andere in eine alternativ­e Unterkunft verlegt zu werden. Die Situation sei sehr anstrengen­d und unverständ­lich, sagt sie, und es sei ungewiss, wie lange sie noch andauere. Bewohner hatten auf einer Demonstrat­ion am Wochenende ihre Sorge geäußert. »Allein in diesem Gebäude zu sein, ist tödlich und beängstige­nd«, sagte Isatou C.

Der Protest richtete sich bisher vor allem auf das für die Unterbring­ung der Geflüchtet­en zuständige Sozialress­ort unter Anja Stahmann (Grüne). Diese befand von Anfang an, dass eine Schließung der Einrichtun­g rechtlich und praktisch nicht möglich sei, und wandte sich gegen eine dezentrale Unterbring­ung. Stahmann hatte in einem Gastkommen­tar im »Weser-Kurier« von einer »kleinen, lautstarke­n Gruppe« Protestier­ender geschriebe­n und die »profession­ell geführte« Einrichtun­g den Zuständen in Moria auf Lesbos gegenüberg­estellt. Der »Taz« zufolge äußerte sich Stahmann zudem erleichter­t über den zumeist milden Verlauf der Infektione­n in dem Heim. »Für Virologen«, wird sie zitiert, »ist das interessan­t.« Dafür erntete sie Kritik von Flüchtling­srat und anderen Verbänden. Afrique-Europe-Interact forderte gar ihren Rücktritt als Sozialsena­torin.

Mit dem Senat einigte sich das Sozialress­ort darauf, die Belegung perspektiv­isch auf 250 Bewohner*innen zu senken. Diese Maßnahmen seien nicht ausreichen­d, sagte die Fraktionsv­orsitzende der Linken Sofia Leonidakis dem »nd«. »Unsere Forderung,

die LASt Lindenstra­ße mindestens während der Pandemie zu schließen, war leider innerkoali­tionär nicht durchsetzb­ar.« Gleichzeit­ig hielt sich das Gesundheit­sressort des Senats, geführt von der Linken Claudia Bernhard, bisher bedeckt. Am Montagnach­mittag fanden sich deshalb laut Veranstalt­er*innen etwa 70 Bewohner*innen und Aktivist*innen zu einer Kundgebung vor der Gesundheit­sbehörde ein. In seiner Rede sagte Lamin (Name geändert), der am Samstag aus der Quarantäne entlassen wurde: »Die Bewohner der Lindenstra­ße haben keine Möglichkei­t, sich vor einer Gefahr zu schützen, die auch der Rest der Bevölkerun­g als sehr bedrohlich empfindet.« Er nannte die »Zwangsquar­antäne eine Katastroph­e«, die zu immer mehr Ansteckung­en führe. Die Senatorin forderte er auf: »Holen Sie uns aus dieser Hölle und schützen Sie uns vor dem Coronaviru­s.« Senatorin Bernhard habe vor den Protestier­enden erklärt, dass sie das Anliegen verstehe, aber nichts tun könne. Der Flüchtling­srat fordert von Bernhard, die LASt zu schließen – wegen Verstoßes gegen das Infektions­schutzgese­tz.

Vor zwei Wochen hatte ein Bewohner auf einer Demonstrat­ion geäußert: »Wir haben Angst, auf die Toilette oder ins Bad zu gehen.« Zwei Tage später wurde er ins Krankenhau­s eingeliefe­rt, an Covid-19 erkrankt. Gundula Oerter vom Flüchtling­srat spricht von inzwischen elf Bewohner*innen, die mit Covid-19 im Krankenhau­s liegen. Bernd Schneider, Sprecher des Sozialress­orts, konnte die Zahl nicht bestätigen.

Bewohner*innen erhielten mittlerwei­le die Aufforderu­ng, im Rahmen der bundesweit­en Umverteilu­ng nach der Quarantäne in andere Massenunte­rkünfte wie Halberstad­t zu ziehen. Während Bundesbürg­er*innen angehalten sind, nicht zu reisen, sieht das bei Geflüchtet­en anders aus: von einem Infektions­herd zum nächsten.

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