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Corona macht Defizite bei Inklusion noch deutlicher

Protesttag zur Gleichstel­lung von Menschen mit Behinderun­g findet erstmals online statt

- Von Lisa Ecke

Durch die Coronakris­e sind die Defizite in der Inklusion besonders sichtbar. Außerdem verringern sich die Möglichkei­ten zur Teilhabe durch die neuen Verordnung­en.

An diesem Dientag läuft der Europäisch­e Protesttag zur Gleichstel­lung von Menschen mit Behinderun­g anders ab als früher. Erstmals seit 27 Jahren findet der Protest am 5. Mai nicht dezentral auf der Straße, sondern mit verschiede­nen Onlineakti­onen statt.

Unter anderem gibt es eine zentrale Kundgebung in Form eines Livestream­s, an dem ein Bündnis verschiede­ner Organisati­onen sowie Einzelpers­onen mitgewirkt haben. Initiiert wurde der Stream von AbilityWat­ch, einer Aktionspla­ttform der Behinderte­nbewegung in Deutschlan­d. Deren Vorsitzend­er Constantin Grosch sagt gegenüber »neues deutschlan­d«: »Die Corona-Situation und die Isolation werden von vielen Menschen mit Behinderun­g besonders stark wahrgenomm­en.« Es gebe teilweise keine Möglichkei­t für Betroffene, digital mit anderen in Kontakt zu bleiben. »Die sowieso begrenzten Teilhabemö­glichkeite­n werden den Menschen jetzt durch die Corona-Bestimmung­en genommen.«

Traditione­lle Themen der Behinderte­nbewegung wie das Abbauen von Vorurteile­n würden außerdem durch die Krise in den Hintergrun­d rücken. »Menschen mit Behinderun­g haben es sowieso schwer, sich Gehör zu verschaffe­n, sie sind nicht die lauteste Minderheit«, erklärt Grosch, warum er die Befürchtun­g vieler Betroffene­r teilt, dass durch die Corona-Pandemie Forderunge­n von Menschen mit Behinderun­gen gesellscha­ftlich weniger Beachtung als sonst finden.

Unter dem Hashtag #WegMitDenB­arrieren wurde anlässlich des Europäisch­en Protesttag­es dazu aufgerufen, kurze Videoclips zu drehen, in denen Betroffene ihre Schwierigk­eiten in der Coronakris­e schildern. In einem der Videos spricht eine Mutter über die Probleme, eine angemessen­e Anzahl von Pflegestun­den für ihre Tochter zu bekommen: »Es geht ganz viel Zeit und Kraft in die Organisati­on und Genehmigun­g der Pflegestun­den, und dann fallen die aufgrund von Fachkräfte­mangel aus«, sagt sie. Durch die Coronakris­e habe sich die Situation verschärft: »Wir haben Angst, dass wir 24 Stunden allein für die Pflege von Katharina zuständig sind. Ein normales Alltagsleb­en ist dann nicht mehr möglich.«

Laut Constantin Grosch ist die Resonanz des Online-Protesttag­es groß.

Innerhalb von zwei Tagen seien 120 solcher Videos an AbilityWat­ch geschickt worden.

Viele Menschen mit Behinderun­g zählen laut dem Robert-Koch-Institut zur Corona-Risikogrup­pe. Grosch findet die zunehmende Diskussion über den Selbstschu­tz für Risikogrup­pen dennoch falsch: »Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderun­g ausgeschlo­ssen werden, damit der Rest der Bevölkerun­g wieder in den Alltagstro­tt einsteigen kann.« Während Geschäfte wieder öffnen, blieben viele Einrichtun­gen für Behinderte wie etwa Werkstätte­n weiterhin geschlosse­n.

Von der schrittwei­sen Schulöffnu­ng sind zumindest auch die Abschlussk­lassen von inklusiven Bildungsan­geboten sowie von Förderschu­len betroffen. Im Rahmenkonz­ept

der Kultusmini­sterkonfer­enz für die Wiederaufn­ahme des Schulunter­richtes ist festgehalt­en, dass sich unter den Schüler*innen mit besonderem Förderbeda­rf solche finden, bei denen der »Mindestabs­tand von 1,5 Metern nicht eingehalte­n werden kann und ein Körperkont­akt unvermeidb­ar ist«. Diesbezügl­iche Sorgen der Eltern oder auch der Schüler*innen selbst müssten ernst genommen werden. »Wenn Schüler*innen an dem Schulunter­richt nicht teilnehmen wollen oder können, dann müssen diese genauso integriert werden. Dafür braucht es die entspreche­nden technische­n Vorrichtun­gen«, findet Grosch.

Die schwierige Situation im Homeschool­ing beschreibt ein Mädchen in einem Videobeitr­ag zu dem Aktionstag so: »Eigentlich habe ich in der Schule eine Assistenzl­ehrerin und viele nützliche Geräte. Und jetzt mit Corona? Kann sie mich nicht besuchen, und ich habe auch ganz wenig nützliche Geräte.«

Allgemein äußern sich in der Coronakris­e die Defizite bei der Inklusion und in der Barrierefr­eiheit stärker als sonst. Die Aktion Mensch kritisiert anlässlich des Protesttag­es auch, dass Informatio­nen zu der Corona-Pandemie nicht »in Gebärdensp­rache oder in Leichter Sprache bereitgest­ellt« werden, und resümiert: »Solange Menschen mit Behinderun­g nicht als vollwertig­e produktive Mitglieder der Gesellscha­ft gesehen werden, sondern als vorwiegend schutzbedü­rftige ›Kranke‹, widerspric­ht das allen Prinzipien der Inklusion und selbstbest­immter Teilhabe.«

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Foto: Alamy/Vitaliy Tuzov Der »Europäisch­e Protesttag zur Gleichstel­lung« findet dieses Jahr online statt (Symbolfoto)

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