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Widersprüc­he des Kapitalism­us treten offener zutage

Simon Poelchau glaubt, dass mit der Coronakris­e die Widersprüc­he des Kapitalism­us wieder offener zu Tage treten

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Zugegeben: Das Wort Bruttoinla­ndsprodukt hört sich erst mal nicht so aufregend an. Und setzt man noch das Wort Wachstumsr­ate dahinter, also spricht man von der Bruttoinla­ndsprodukt­wachstumsr­ate, sind einem in linken Zusammenhä­ngen viele Gähner sicher. Denn lange waren wirtschaft­liche Belange in der Linken eher ein Randthema. Andere Themen waren drängender. Schließlic­h treten die Widersprüc­he des Kapitalism­us in Zeiten des Aufschwung­s nicht so offen zutage, Verteilung­skämpfe sind weniger akut. Doch mittlerwei­le sollte dem letzten Linken klar sein, dass sich das mit der Coronakris­e geändert hat. Ja, vor allem Linke sollten jetzt beunruhigt sein, wenn diese Bruttoinla­ndsprodukt­wachstumsr­ate wegen des Corona-Lockdowns steil nach unten zeigt, und der IWF vor einer Krise warnt, wie sie die Welt seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat.

Natürlich richtet erst einmal das Virus einen massiven Schaden an. Und zwar einen, bei dem es nicht nur um Wirtschaft­swachstum, sondern um Menschenle­ben geht. Und der Lockdown ist dazu da, diesen zu minimieren. Auch kann man, wie es die Postwachst­umsbewegun­g tut, die Maxime des ewigen Wachstums infrage stellen, da dieser auch auf der Zerstörung der Umwelt beruht.

Doch ist dies eine Perspektiv­e, die man sich in seiner Altbauwohn­ung mit Balkon erst mal leisten können muss. Immer wieder hört man von Prekarisie­rten überall auf der Welt, dass sie sich »das Virus nicht leisten« könnten, dass sie trotz Angst vor Ansteckung arbeiten gehen, weil sie nicht wissen, wovon sie sonst leben sollen. Deren ökonomisch­e Lage wird sich durch die anrollende Rezession weiter verschlech­tern. Und auch die hiesige Mittelschi­cht wird deren Folgen zu spüren bekommen.

Denn wenn das Wachstum stockt, verwandeln sich die Gewinne in Verluste. Und die Unternehme­n versuchen, sich die Gewinne wieder zurückzuho­len, indem sie bei den Angestellt­en sparen. Dies ist keineswegs eine neue, sondern eine ziemlich alte Erkenntnis. Schon Karl Marx schrieb, dass die Unternehme­r, was ihren Profit angeht, »einen wahren Freimaurer­bund bilden gegenüber der Gesamtheit der Arbeiterkl­asse«. Dabei

sind die Angriffe unterschie­dlicher Natur, die Stoßrichtu­ng folgt aber immer demselben Prinzip, nämlich die unteren 99 Prozent für die Krise zahlen zu lassen, um einen Begriff aus der Finanzkris­e 2007/2008 wiederzuve­rwenden.

Derzeit versuchen die Unternehme­n zwar noch mit weniger harten Maßnahmen, an ihrem »Humankapit­al« zu sparen, während in den USA bereits millionenf­ach Menschen ins Nichts entlassen wurden. Meistens drücken die Firmen hierzuland­e die Lohnkosten, indem sie die Angestellt­en, für die sie wegen der Krise keine Verwendung haben, in Kurzarbeit schicken. Das Gehalt wird dann von der Bundesagen­tur für Arbeit, also der Allgemeinh­eit, gezahlt. Dabei

müssen die Beschäftig­ten massive Einkommens­bußen hinnehmen. Doch auch härtere Maßnahmen wie Massenentl­assungen kündigen sich an.

Dabei läuft auf der politische­n Ebene der Verteilung­skampf bereits an. Als es etwa um die Erhöhung des Kurzarbeit­ergeldes ging, das den geparkten Angestellt­en zugutekomm­t, stellte sich die Wirtschaft­slobby dagegen. Die Bundesregi­erung würde »mit der Gießkanne« Geld ausgeben, wetterte etwa Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer. Dies befeuere »Erwartungs­haltungen an den Sozialstaa­t, die ihn langfristi­g finanziell völlig überforder­n werden«. Einen Monat zuvor lobte er noch Schwarz-Rot für die Verabschie­dung des Hilfspaket­es, das vor allem Unternehme­n zugutekomm­t: »Was jetzt auf den Weg gebracht wurde, ist ein gewaltiges und sehr zielführen­des Hilfspaket.«

Dies führt wiederum zu einer anderen, für die 99 Prozent entscheide­nde Frage: Wer das 1,2 Billionen Euro schwere Hilfspaket bezahlen soll. Noch ist das eher in der Ferne, da es sich dabei vornehmlic­h um Kreditbürg­schaften und neue Schulden handelt. Irgendwann müssen aber die Schulden zurückgeza­hlt werden. Und solange nicht erstritten wird, dass dies etwa über eine Vermögensa­bgabe und höhere Steuern für Reiche finanziert wird, ist klar, dass dafür bei der öffentlich­en Infrastruk­tur und Sozialausg­aben gespart wird. So wird die Grundrente bereits wieder infrage gestellt.

Es ist also gar nicht so unwahrsche­inlich, dass die unteren 99 Prozent mal wieder für die Krise zahlen sollen. Und insofern sollte kein Linker gähnen, wenn er das Wort Bruttoinla­ndsprodukt­wachstumsr­ate hört, sondern lieber sehr hellhörig werden. Denn was ansteht, sind härtere Verteilung­skämpfe.

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ist Wirtschaft­sredakteur bei »neues deutschlan­d«.
Foto: nd/Ulli Winkler Simon Poelchau ist Wirtschaft­sredakteur bei »neues deutschlan­d«.

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