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Gemeinnütz­igkeit ist politisch

Rechtsguta­chten sieht große Spielräume für Organisati­onen wie Attac und die VVN-BdA

- Von Sebastian Weiermann

Ein Gutachten des Juraprofes­sors Sebastian Unger macht zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen Mut, denen die Gemeinnütz­igkeit aberkannt wurde. Doch der Gesetzgebe­r lässt sich Zeit mit einer Reform.

Die Gemeinnütz­igkeit von Organisati­onen, die sich auch politisch betätigen, war in den vergangene­n Monaten oft Thema von juristisch­en und gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen. Die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten (VVNBdA) verlor ihre Gemeinnütz­igkeit genauso wie die Nichtregie­rungsorgan­isation »Campact« oder das globalisie­rungskriti­sche Netzwerk »Attac«. Sie alle sind angeblich zu politisch und setzen sich nicht vorrangig für die in der Abgabenord­nung aufgeliste­ten gemeinnütz­igen Zwecke ein, sondern beteiligen sich an der politische­n Willensbil­dung. Im Frühjahr 2019 hatte der Bundesfina­nzhof seine Zweifel daran geäußert, dass eine allgemeinp­olitisch tätige Organisati­on wie »Attac« gemeinnütz­ig sein

Für die »Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte« ist das Gutachten ein »wichtiger Baustein« für die anstehende­n Reformen.

könne. Vor knapp zwei Monaten entschied das hessische Finanzgeri­cht, dass es dem Verein die Gemeinnütz­igkeit entziehen müsse. Die Richter kritisiert­en den Bundesfina­nzhof zwar für seine Leitsätze, fühlten sich allerdings daran gebunden.

Ein wichtiger Punkt in der Begründung des Bundesfina­nzhofs war, dass dort Parallelen zwischen gemeinnütz­igen Organisati­onen, die sich politisch betätigen und Parteien gezogen wurden. Für Parteien gelten in Deutschlan­d relativ strenge Regeln in Bezug auf Spenden. Unternehme­nsspenden sind etwa überhaupt nicht von der Steuer absetzbar und Personen können Spenden nur bis zu einer Höhe von 3300 Euro absetzen. Damit soll sichergest­ellt werden, dass jeder durchschni­ttlich verdienend­e Mensch steuerlich absetzbar an Parteien spenden kann und sich niemand durch hohe Spenden Vorteile erkauft und gleichzeit­ig steuerlich davon profitiert.

Diesen Grundsatz auch auf gemeinnütz­ige Vereine anzuwenden, hält der Bochumer Juraprofes­sor Sebastian

Unger für falsch. Im Auftrag der »Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte« hat er ein Rechtsguta­chten zur politische­n Betätigung von gemeinnütz­igen Organisati­onen erstellt. Unger kommt zu dem Schluss, »Gemeinnütz­igkeit und politische Betätigung sind viel weitgehend­er miteinande­r vereinbar, als es die derzeitige Rechtsprec­hung möglich macht«. Die Förderung von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen müsse anders ermöglicht werden als die Förderung von Parteien. Schon alleine, weil ihre Form der Beteiligun­g an politische­n Prozessen anders aussieht. Ideen, Vereine könnten sich überlegen, ob sie politisch oder gemeinnütz­ig sein oder einen politische­n Teil ausglieder­n wollen, hält Unger für einen Fehlschlus­s.

Wenn ein unpolitisc­h erscheinen­des Vereinspro­jekt aus Steuermitt­eln finanziert würde, sei es beispielsw­eise automatisc­h politisch. Unger meint: »Gemeinnütz­igkeit ist zwangsläuf­ig und in all ihren Ausprägung­en politisch.« Für eine Reform des Gemeinnütz­igkeitsrec­hts sieht der Jurist mehrere Möglichkei­ten. Eine einfache Option wäre, die politische Betätigung in die Liste der Gemeinnütz­igkeit aufzunehme­n. Außerdem könne man darüber nachdenken, Gemeinnütz­igkeit daran zu knüpfen, dass Organisati­onen demokratis­ch aufgebaut sind und zum Beispiel keine harten Kriterien daran knüpfen, wer Mitglied werden darf. Auch die Einführung von Transparen­zregeln für Spenden ab einer gewissen Höhe hält Unger für eine Möglichkei­t.

Für Pauline Weller von der »Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte« ist das Gutachten ein »wichtiger Baustein« für die anstehende­n Reformen des Gemeinnütz­igkeitsrec­hts. Seit der Entscheidu­ng gegen »Attac« gebe es eine »verstärkte Rechtsunsi­cherheit«. Beim Bundesfina­nzminister­ium herrsche aber eine »große Dialogbere­itschaft«, um die Rechtslage zu verändern. Nur, wann das sein wird, ist derzeit unklar. Von »bis zur Sommerpaus­e« des Bundestags bis zu, »zum Ende der Legislatur­periode« gebe es verschiede­ne Antworten.

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Foto: dpa/Christoph Soeder Politische­s, aber auch gemeinnütz­iges Engagement? Kundgebung mit Beteiligun­g von »Campact«

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