nd.DerTag

Falsche Prioritäte­n

Bundesanwa­ltschaft führte 2019 nur 24 Verfahren zu rechtem Terror – aber mehr als 400 zu Islamismus

- Von Sebastian Bähr

Rechte Gewalt nimmt in Deutschlan­d zu, immer neue militante Gruppen fliegen auf. Die Bundesanwa­ltschaft übernimmt dennoch nur in Ausnahmefä­llen die Ermittlung­en.

Der NSU-Kompex, die Gruppe »Freital«, Revolution Chemnitz, die Ausschreit­ungen von Bautzen, Heidenau und Chemnitz. Die Anschläge von Hanau, Halle und Kassel – rechter Terror erschütter­t seit Jahren die Bundesrepu­blik. Die Aufarbeitu­ng der Gewalt und der für sie verantwort­lichen Netzwerke kommt derweil nur zögerlich voran. Wenn überhaupt, dann meist nur auf Druck von Opferangeh­örigen und der kritischen Zivilgesel­lschaft. Gerade die juristisch­e Aufarbeitu­ng des Rechtsterr­orismus spielt in diesem Prozess eine bedeutende

Rolle, doch wie ist es um sie bestellt? Wo setzt die Justiz vor diesem Hintergrun­d ihre Prioritäte­n?

Mit diesen Fragen hatte sich die Linksfrakt­ion jüngst an die Bundesregi­erung gewandt. Sie wollte herausfind­en, wie viele Verfahren zum rechten Terrorismu­s die Bundesanwa­ltschaft im vergangene­n Jahr durchgefüh­rt hat. In der »nd« vorliegend­en Antwort wird erklärt, dass die Behörde in insgesamt 24 entspreche­nden Verfahren tätig wurde. 17 Ermittlung­sverfahren davon führte sie gegen 50 Beschuldig­te aufgrund der Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g, sechs Verfahren gegen sieben Beschuldig­te aufgrund von Mord und ein Verfahren gegen vier Beschuldig­te aufgrund mehrerer Vergehen, darunter Volksverhe­tzung und Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g.

In anderen Bereichen leitete der Generalbun­desanwalt im vergangene­n Jahr 244 Ermittlung­sverfahren mit Bezug zum internatio­nalen, nichtislam­istischen Terrorismu­s und 401 Verfahren mit Bezug zum islamistis­chen Terrorismu­s ein. 161 Ermittlung­sverfahren bezogen sich auf den »Islamische­n Staat«, vier auf Linksterro­rismus in Deutschlan­d und zwei Ermittlung­sverfahren hatten einen Bezug zu internatio­nalem Linksterro­rismus. Grade im Vergleich mit den Verfahren zum islamistis­chen Terror muten die Maßnahmen der Bundesanwa­ltschaft bezüglich des rechten Terrors gering an.

Martina Renner, Innenpolit­ikerin der Linksfrakt­ion, kommentier­te gegenüber »nd«: »Die Zahl der geführten Verfahren mit Bezug zum rechten Terror zeigt noch immer, dass die politische­n Prioritäte­n andernorts liegen.« Das müsse sich jetzt ändern. Zudem sollten die Verfahren »beispielsw­eise im Komplex ›Nordkreuz‹ und

Franco A. so aufeinande­r bezogen werden, dass sie dem Netzwerkch­arakter gerecht werden«, fügte die Politikeri­n hinzu.

Der Generalbun­desanwalt ermittelt gegen zwei Mitglieder der extrem rechten Prepper-Gruppe »Nordkreuz«, die Teil des rechten »Hannibal«-Netzwerkes in Bundeswehr und Sicherheit­sbehörden ist. Auch der extrem rechte Bundeswehr-Oberstleut­nant und Terrorverd­ächtige Franco A. soll sich in diesem Jahr vor Gericht verantwort­en. A. war Mitglied in dem Netzwerk des früheren Elitesolda­ten André S., alias »Hannibal«. Ende April hatte die Bundesanwa­ltschaft zudem Anklage gegen die Neonazis Stephan E. und Markus H. wegen des Mordes an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke erhoben. Inwiefern die Verfahren unter Corona-Bedingunge­n durchgefüh­rt werden können, ist noch unklar.

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