nd.DerTag

Testen statt Immunitäts­ausweis

Nach den ersten zwei Monaten Pandemie stellen sich neue Fragen und Aufgaben

- Von Claudia Krieg

Der zunächst befürchtet­e Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems ist in Berlin ausgeblieb­en. Aber die Pandemie grassiert, und die Lockerunge­n sind gerade erst in Kraft – jetzt soll mehr getestet werden. »Wo kommen wir hin, wenn die Krise vorbei ist?«, fragt der Geschäftsf­ührer der Berliner Krankenhau­sgesellsch­aft (BKG), Marc Schreiner. Er ist an diesem Montagmorg­en in eine Anhörung im Gesundheit­sausschuss des Abgeordnet­enhauses gekommen. Der Jurist beabsichti­gt mit seiner Frage nicht, die Krise demnächst als beendet zu erklären. Ihm geht es darum, Konzepte zu entwickeln, wie die Regelverso­rgung in den Krankenhäu­sern zukünftig aufgestell­t wird.

Die erste Infektions­welle hat das Gesundheit­ssystem der Hauptstadt nicht so schwer getroffen wie befürchtet. Es gibt genügend freie Betten, auch das Covid-Notfallkra­nkenhaus an der Messe ist wie geplant fertiggest­ellt worden.

Es habe sich, so Schreiner, gezeigt, wie schnell »hochgradig durchregel­te Versorgung­sstrukture­n« innerhalb kurzer Zeit »runtergefa­hren und umgestellt werden können«. Man habe die Kapazitäte­n bei Beatmungsg­eräten und die Bettenzahl hochrüsten können. Davon seien nun 37 Prozent frei, aber Erlösausfä­lle der Kliniken würden einstweile­n vom Bund kompensier­t – »eine wirkliche Bilanz muss später erfolgen«. Schreiner nutzt die Anhörung, um darauf aufmerksam zu machen, dass der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) sich zwar bei den Beschäftig­ten der landeseige­nen Kliniken für ihr Engagement bedankt habe, das Personal der anderen Hauptstadt-Kliniken hingegen bislang leer ausgegange­n sei.

Auch Juliane Blume vom Pflegerat Berlin-Brandenbur­g findet, dass gerade die Beschäftig­ten mit ihrem Einsatz, ihrem Willen zu Schulungen, aber auch ihrer Risikobere­itschaft zeigten, dass sie die Krise bewältigen wollen. »Die steigende Wertschätz­ung« sei da, so Blume, jetzt müsse man die Chance ergreifen, und bei Lohn- und Arbeitsbed­ingungen »nachhaltig umsteuern«.

Auch die Situation der niedergela­ssenen Ärzte hat sich laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g (KV) klar entspannt: Noch Ende März waren mehr als 100 Arztpraxen in der Hauptstadt geschlosse­n – meist wegen Quarantäne­maßnahmen, aber auch wegen fehlender Schutzausr­üstung. Aktuell sei es nur noch eine, sagte Burkhard Ruppert von der KV. Man habe Ausrüstung im Wert von circa 20 Millionen Euro beschafft, damit hoffe man, bis in den Herbst zu kommen. Zudem seien 23 Corona-Praxen eingericht­et worden (siehe Kasten). Bei der Versorgung mit speziellem Schutz für den medizinisc­hen Bereich gebe es aber weiter Probleme.

Das berichtet auch Thomas Werner aus dem Vorstand der Berliner Ärztekamme­r. Es fehle, so Werner, an Masken der Schutzstuf­en FFP2 und FFP3. Man müsse überdies von anlassbezo­genen Tests wegkommen und sich hin zu konsequent­em Screening entwickeln, so der Vivantes-Chirurg.

Die Teststrate­gie werde gerade geändert, erklärte dazu Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Alle Menschen mit entspreche­nden Symptomen sollen demnach getestet werden; ebenso alle Kontaktper­sonen von bestätigte­n Fällen, auch wenn sie keine Krankheits­anzeichen aufweisen. »Unser Motto ist testen, testen, testen«, so Kalayci. Neben Krankenhau­s-Beschäftig­ten sollen auch Mitarbeite­r*innen und Bewohner*innen von Pflegeheim­en getestet werden. Überdies solle es Screenings an Schulen und in Kitas geben. Ein Konzept gibt es dafür bisher aber nicht.

Kalayci will im Übrigen keinen Immunitäts­ausweis einführen. Bisher sei das Ziel, die Krankheit einzudämme­n – und ein Immunitäts­ausweis daher ein »falscher Anreiz«.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Wenn mehr getestet werden soll, braucht es auch mehr Schutzausr­üstung.

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