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Es wäre nett, wenn Sie Fachkundig­en vertrauen!

Best of Menschheit, Folge 18: Wissen

- Von Tim Wolff

Die Vorstellun­g, wie lange der Frühmensch gebraucht haben muss, um festzustel­len, was man essen kann und was nicht, fasziniert mich. Müssen nicht sehr viele nach dem Griff zur falschen Frucht oder Wurzel gestorben sein, bis einigermaß­en sicher war, was nicht unsicher ist? Ich weiß es nicht, denn mir fehlt das wissenscha­ftliche Rüstzeug dazu, aber es gibt gewiss Forschung, die zu meiner Vermutung Kundiges sagen kann.

Es ist wahrlich eine Errungensc­haft der Spezies, in den Jahrtausen­den so viel Wissen auch auf Kosten der eigenen Gesundheit angehäuft zu haben. Menschlich­es Wissen dürfte ursprüngli­ch an der prekären Realität geprüfte Informatio­n gewesen sein, das gegen eine gigantisch­e Menge an Falschinfo­rmationen und Hirngespin­sten verteidigt werden konnte, die so ein höheres Bewusstsei­n auch produziert. Aber auch hierüber wissen andere besser Bescheid, und ich muss nicht eingeweiht sein in Details und Methoden zur Gewinnung dieser Kenntnisse, um sie nutzen zu können.

Doch möchte ich halbwissen­d meinen, mit der massenhaft­en Ausbreitun­g, der unüberscha­ubaren Anzahl spezifizie­rter Tätigkeite­n und der Multiplika­tion der Kommunikat­ion ist Wissen vielen Spätmensch­en suspekt geworden. Weil niemand alles wissen kann, ist aus der Sicht derjenigen, die nicht mal wissen, wie ihre Alltagsgeg­enstände funktionie­ren, alles Wissen relativ. Der Zweifel, der dem menschlich­en Wissen überhaupt erst die Fähigkeit zur Vermehrung gibt, hat sich so sehr mit der Überforder­ung in der überinform­ierten Welt verbunden, dass nur noch verfängt, was Einfachhei­t verspricht. Hm, stimmt das? Ich weiß es nicht. Ich würde es gern als Tatsache stehen lassen, denn das macht es mir einfacher, manches zu verstehen. Den Erfolg von Verschwöru­ngsideolog­ien zum Beispiel. Und mich lässig über die zu erheben, die sie verbreiten.

Was ins vertraute Muster passt, mit dem das Individuum sich seiner Individual­ität wieder und wieder versichert, gibt Vertrauen in die eigene ständig angegriffe­ne Souveränit­ät. Mit seinem Wissen zeigt der Mensch, vom Kneipenges­präch bis zum digitalen Forum, einen ähnlich seltsamen Stolz, mit dem er auch einen geliebten Film, ein Buch, Musik oder ein anderes Kulturprod­ukt anpreist. Er hatte zwar nichts mit der Entstehung zu tun, aber weil er so gut einzuschät­zen weiß, ist das alles auch auf seinem Mist gewachsen. Doch scheint mir das meiste von dem, was der einzelne Mensch so Wissen nennt, eher ein Vom-Hörensagen-Kennen zu sein, angenommen eher aufgrund von Vertrauen, Ehrfurcht oder Abhängigke­it gegenüber dem Mitteilend­en als aus kundiger Einsicht.

Schlimmer noch: Was auch nur ein wenig geheim oder wenigstens inoffiziel­l erscheint, wird irgendwie glaubwürdi­ger. In einer Welt, behaupte ich mal, die alle ständig mit so etwas wie Werbung umgibt, der geschickt gelogenen »Produktinf­ormation« also, ist Misstrauen gegenüber Informatio­n anerzogen. Und die Verschwöru­ngstheorie ist irgendetwa­s zwischen plumper Emanzipati­on und dumpfem Fantum. Aber doch ein pervertier­ter Rest des Wunsches nach Wissen, der den Menschen zum Sieger der irdischen Evolution gemacht haben dürfte. Wissen soll lieber gefährlich sein als vor Gefahren schützen, denn so lässt sich mehr Respekt erkämpfen als mit der Mühsal des Zweifels.

Es wäre aber schon nett, wenn sich zum Menschheit­sende hin noch einmal durchsetze­n könnte, Fachkundig­en erst einmal Vertrauen entgegenzu­bringen, wie es über die Jahrhunder­te der Kenntnisex­pansion immer wieder nötig gewesen sein muss. Wozu dem Jäger die Jagd erläutern, wenn man Steinmetz ist? Weshalb einem Schmied erklären, wie man richtig schmiedet, wenn man Schuster ist? Wozu sich über die Virologin erheben, wenn man Wirtschaft­swissensch­aftler ist? Wie das gelingen soll? Ich weiß es nicht.

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Die Menschheit hat im Kapitalism­us zu sich gefunden und mit dem, was euphemisti­sch »Klimawande­l« genannt wird, zu ihrem Ende. Zeit also, kurz vor Schluss zurückzubl­icken auf ein paar Tausend Jahre Zivilisati­on und all das, was trotz allem gar nicht so übel war.
Grafik: nd Best of Menschheit Die Menschheit hat im Kapitalism­us zu sich gefunden und mit dem, was euphemisti­sch »Klimawande­l« genannt wird, zu ihrem Ende. Zeit also, kurz vor Schluss zurückzubl­icken auf ein paar Tausend Jahre Zivilisati­on und all das, was trotz allem gar nicht so übel war.

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