Es wäre nett, wenn Sie Fachkundigen vertrauen!
Best of Menschheit, Folge 18: Wissen
Die Vorstellung, wie lange der Frühmensch gebraucht haben muss, um festzustellen, was man essen kann und was nicht, fasziniert mich. Müssen nicht sehr viele nach dem Griff zur falschen Frucht oder Wurzel gestorben sein, bis einigermaßen sicher war, was nicht unsicher ist? Ich weiß es nicht, denn mir fehlt das wissenschaftliche Rüstzeug dazu, aber es gibt gewiss Forschung, die zu meiner Vermutung Kundiges sagen kann.
Es ist wahrlich eine Errungenschaft der Spezies, in den Jahrtausenden so viel Wissen auch auf Kosten der eigenen Gesundheit angehäuft zu haben. Menschliches Wissen dürfte ursprünglich an der prekären Realität geprüfte Information gewesen sein, das gegen eine gigantische Menge an Falschinformationen und Hirngespinsten verteidigt werden konnte, die so ein höheres Bewusstsein auch produziert. Aber auch hierüber wissen andere besser Bescheid, und ich muss nicht eingeweiht sein in Details und Methoden zur Gewinnung dieser Kenntnisse, um sie nutzen zu können.
Doch möchte ich halbwissend meinen, mit der massenhaften Ausbreitung, der unüberschaubaren Anzahl spezifizierter Tätigkeiten und der Multiplikation der Kommunikation ist Wissen vielen Spätmenschen suspekt geworden. Weil niemand alles wissen kann, ist aus der Sicht derjenigen, die nicht mal wissen, wie ihre Alltagsgegenstände funktionieren, alles Wissen relativ. Der Zweifel, der dem menschlichen Wissen überhaupt erst die Fähigkeit zur Vermehrung gibt, hat sich so sehr mit der Überforderung in der überinformierten Welt verbunden, dass nur noch verfängt, was Einfachheit verspricht. Hm, stimmt das? Ich weiß es nicht. Ich würde es gern als Tatsache stehen lassen, denn das macht es mir einfacher, manches zu verstehen. Den Erfolg von Verschwörungsideologien zum Beispiel. Und mich lässig über die zu erheben, die sie verbreiten.
Was ins vertraute Muster passt, mit dem das Individuum sich seiner Individualität wieder und wieder versichert, gibt Vertrauen in die eigene ständig angegriffene Souveränität. Mit seinem Wissen zeigt der Mensch, vom Kneipengespräch bis zum digitalen Forum, einen ähnlich seltsamen Stolz, mit dem er auch einen geliebten Film, ein Buch, Musik oder ein anderes Kulturprodukt anpreist. Er hatte zwar nichts mit der Entstehung zu tun, aber weil er so gut einzuschätzen weiß, ist das alles auch auf seinem Mist gewachsen. Doch scheint mir das meiste von dem, was der einzelne Mensch so Wissen nennt, eher ein Vom-Hörensagen-Kennen zu sein, angenommen eher aufgrund von Vertrauen, Ehrfurcht oder Abhängigkeit gegenüber dem Mitteilenden als aus kundiger Einsicht.
Schlimmer noch: Was auch nur ein wenig geheim oder wenigstens inoffiziell erscheint, wird irgendwie glaubwürdiger. In einer Welt, behaupte ich mal, die alle ständig mit so etwas wie Werbung umgibt, der geschickt gelogenen »Produktinformation« also, ist Misstrauen gegenüber Information anerzogen. Und die Verschwörungstheorie ist irgendetwas zwischen plumper Emanzipation und dumpfem Fantum. Aber doch ein pervertierter Rest des Wunsches nach Wissen, der den Menschen zum Sieger der irdischen Evolution gemacht haben dürfte. Wissen soll lieber gefährlich sein als vor Gefahren schützen, denn so lässt sich mehr Respekt erkämpfen als mit der Mühsal des Zweifels.
Es wäre aber schon nett, wenn sich zum Menschheitsende hin noch einmal durchsetzen könnte, Fachkundigen erst einmal Vertrauen entgegenzubringen, wie es über die Jahrhunderte der Kenntnisexpansion immer wieder nötig gewesen sein muss. Wozu dem Jäger die Jagd erläutern, wenn man Steinmetz ist? Weshalb einem Schmied erklären, wie man richtig schmiedet, wenn man Schuster ist? Wozu sich über die Virologin erheben, wenn man Wirtschaftswissenschaftler ist? Wie das gelingen soll? Ich weiß es nicht.