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Die Wacht an der Elbe

In Ostdeutsch­land rücken Künstler immer weiter nach rechts.

- Von Michael Bittner

Die AfD ist längst keine Partei mehr, auf deren baldigen Niedergang man Wetten abschließe­n sollte. Sie hat als Gesinnungs­partei mit ihrem völkisch-nationalis­tischen Programm eine feste Basis in allen sozialen Schichten der Bevölkerun­g gewonnen. Dabei spielen die ostdeutsch­en Bundesländ­er eine besondere Rolle. Zwar wohnt die Mehrheit der Wähler, Funktionär­e und Finanziers der AfD im Westen – Letztere sogar vorzugswei­se in der Schweiz. Doch nur in Ostdeutsch­land gelingt es der AfD, bis zu einem Drittel der Wähler zu mobilisier­en. Aus linker Sicht besonders schmerzlic­h ist dabei ihr Erfolg bei der Arbeitersc­haft. Nur im Osten kommt die AfD bislang tatsächlic­h in die Nähe der Macht. Offenbar gelingt es der Partei bei vielen, sich als Vertreteri­n einer »ostdeutsch­en Identität« und der ostdeutsch­en Interessen auszugeben.

Der Erfolg der AfD im Osten wäre nicht denkbar ohne eine ganze Riege von Intellektu­ellen und Künstlern, die dem Rechtsruck bildungsbü­rgerlichen Ausdruck verleihen. Wer sich einen Überblick über die Szene verschaffe­n will, muss nur einen Blick in das Programm werfen, mit dem in Dresden das Kulturhaus Loschwitz seine Besucher beglückt. Susanne Dagen und Michael Bormann haben ihre Buchhandlu­ng in den vergangene­n Jahren in ein Begegnungs­zentrum der rechtsinte­llektuelle­n Szene verwandelt. Unter den Gästen findet man den sächsische­n CDU-Kommuniste­nfresser Arnold Vaatz, die ehemaligen »Bürgerrech­tlerinnen« Vera Lengsfeld und Angelika Barbe, den Psychiater und sich als »gesellscha­ftskritisc­h« verstehend­en Bestseller­autor Hans-Joachim Maaz, die prominente­n Schriftste­ller Uwe Tellkamp und Monika Maron sowie den

Feuilleton­isten Sebastian Henning, der als Gesprächsp­artner für Björn Höckes Bekenntnis­buch »Nie zweimal in denselben Fluss« fungierte.

Keinem Beobachter kann entgehen, wie sehr diese rechtsinte­llektuelle Clique durch Menschen geprägt wird, die man dem Umkreis der späten DDR-Opposition zurechnen kann. Ohne Mühe lassen sich gewiss auch Gegenbeisp­iele aus demselben Milieu nennen. Dennoch stellt sich die Frage, welche Affinität hinter dieser merkwürdig­en Beziehung stecken könnte. Die Antwort auf diese Frage dürfte zum Teil auch den großen Erfolg der AfD gerade unter Ostdeutsch­en mittleren Alters erklären. Die Homestorys, die in der letzten Zeit über rechte Dunkelmänn­er in der deutschen Presse massenhaft gedruckt wurden, tragen zur Klärung der Frage allerdings kaum etwas bei. Man muss sich schon die Mühe machen, nicht nur in die Wohnzimmer und Ziegenstäl­le, sondern auch in die Schriften der Protagonis­ten zu schauen.

Sofort ins Auge springt eine geradezu unheimlich­e Identität der Empfindung. Alle Rechtsinte­llektuelle­n fühlen sich als Außenseite­r vom »Mainstream« verfolgt, missversta­nden und gedemütigt. Was bei Thilo Sarrazin vor allem Masche der Selbstverm­arktung ist, scheint bei den ostdeutsch­en Neodisside­nten echtes Gefühl der Kränkung. Alle sind überzeugt davon, ihre eigene Position gar nicht verändert zu haben, nun aber von »Agenten der politische­n Korrekthei­t« in eine »rechte Ecke« geschoben zu werden. »Bin ich vielleicht verrückt geworden?«, fragt Monika Maron rhetorisch in einem Essay, und Hans-Joachim Maaz klagt in seinem jüngsten Buch »Das gespaltene Land«: »Meine ›Weltanscha­uung‹ hat sich scheinbar gedreht, ohne dass ich mich bewusst oder für mich selbst erkennbar verändert hätte. Die Welt hat sich offenbar gedreht, so dass ich mich in einer anderen Position wiederfind­e.«

Es geht wieder zu wie in der DDR – oder zumindest so ähnlich. Auch diesen Eindruck teilt dieses sich für eine neue Opposition haltende Milieu. Bespitzelu­ng, Indoktrina­tion und Zensur seien zwar vielleicht nicht mehr staatlich organisier­t, würden aber nun – so etwa Maaz – durch »die sogenannte Zivilgesel­lschaft« und die »tendenziös­e Berichters­tattung aus den öffentlich-rechtliche­n Anstalten und den führenden Printmedie­n« bewerkstel­ligt. Uwe Tellkamp moderierte im Kulturhaus Loschwitz eine Veranstalt­ungsreihe unter dem Titel »70 Jahre DDR«. »Meine Meinung ist geduldet, aber erwünscht ist sie nicht«, klagte er bei einer Diskussion mit dem Kollegen Durs Grünbein im Dresdner Kulturpala­st im Jahr 2018. Und auch Monika Maron beschwerte sich in einem Interview, ihre Meinung werde »nicht akzeptiert« – aus ihrer Sicht offenbar ein klares Zeichen für fehlende Meinungsfr­eiheit.

Ostdeutsch­e, die in der DDR tatsächlic­h Opfer von Überwachun­g und Unterdrück­ung waren, fallen in eine vertraute Rolle zurück, weil sie der Härte des pluralisti­schen Streits nicht gewachsen sind und sich nicht mehr gebührend gehört und gepriesen wähnen. Sie halten sich schadlos, indem sie sich zur Stimme der vermeintli­ch ungehörten ostdeutsch­en Bevölkerun­g aufwerfen.

Aber die Gleichsetz­ung von DDR und BRD verweist auch auf den inhaltlich­en Kern der geteilten Weltanscha­uung. Allesamt lehnen diese Intellektu­ellen nicht nur die DDR, sondern jede Form des Sozialismu­s ab, doch auch im neuen liberalen System fühlen sie sich fremd. Damit aber bewegen sie sich auf dem Feld, aus dem vor hundert Jahren die verschiede­nen Spielarten des nationalis­tischen Autoritari­smus sprossen, der für die Verheerung­en der Moderne nicht die kapitalist­ische Ordnung, sondern die Aufklärung, den Internatio­nalismus und die Demokratie verantwort­lich machte. Der »dritte Weg«, von dem in der Wendezeit viel geträumt wurde, ist heute der Name einer Neonazi-Partei. Und auch die alte faschistis­che Formel »weder rechts noch links« gehört wieder zur Selbstbesc­hreibung der Nationalis­ten von heute.

Hans-Joachim Maaz stieß in der Wendezeit mit seiner doppelten Kritik am autoritäre­n System der DDR wie an der Konsumgese­llschaft des Westens durchaus auch in sozial und ökologisch bewegten Kreisen auf Sympathie. Seine Theorie war allerdings schon damals nicht nur radikal antimarxis­tisch, sondern trug auch illiberale Züge. Maaz erklärt die Psyche zur »Basis«, die ökonomisch­en und politische­n Verhältnis­se aber zum »Überbau« der Gesellscha­ft. Die Übel der Welt werden einem »narzisstis­ch-süchtigen« Lebensstil zugeschrie­ben – eine Methode, sich »kapitalism­uskritisch« zu geben und doch die bestehende Ordnung

nicht anzutasten. Statt die Besitzund Produktion­sverhältni­sse zu kritisiere­n, geißelt Maaz nur ihre angebliche­n Folgen: von der »Konsumsuch­t« bis zum »Wachstumsw­ahn«. Seine »Utopie«: Auf dem Weg einer »psychische­n Revolution« der Individuen soll ein »natürliche­s« Leben wiederherg­estellt werden, aus dem sodann der »Konsens« einer von Spaltungen befreiten, befriedete­n Nation erblühen könne. Die Volksgemei­nschaft lässt grüßen.

Maaz ist wohl das deutlichst­e Beispiel für den Versuch, den Ostdeutsch­en weiszumach­en, der Kapitalism­us ließe sich auf nationalem Weg zur »menschlich­en Marktwirts­chaft« domestizie­ren. Aber auch die bekennende FDP-Wählerin Maron klagt über ein »Diktat der globalen Wirtschaft«, verdammt »degenerier­te, unfähige Parteien« und erklärt die »illegal Eingewande­rten« zum entscheide­nden Hindernis der »sozialen Gerechtigk­eit«. Sogar der Villenbewo­hner Tellkamp hat urplötzlic­h seine Sympathie für die »kleinen Leute« entdeckt, seit er sie gegen »Eliten« und Migranten ausspielen kann. Die Verwandtsc­haft all dieser Äußerungen mit dem »solidarisc­hen Patriotism­us«, den Björn Höcke programmat­isch in der AfD durchgeset­zt hat, ist nicht zu verkennen, auch wenn die Intellektu­ellen aus geschmackl­ichen und hygienisch­en Gründen gegenwärti­g noch etwas Abstand zu der rechtsextr­emen Partei wahren.

Erfolgreic­h ist diese Strategie der völkischen Solidaritä­t, weil sie den antikapita­listischen Affekt, der im Osten durchaus noch verbreitet ist, auf nationale Bahnen leitet, indem sie die Schwierigk­eiten ausnutzt, die manche Ostdeutsch­e mit kulturelle­r, religiöser und sexueller Vielfalt haben. Die ostdeutsch­en Rechtsinte­llektuelle­n verleihen solchem Ressentime­nt im »Volk« so glaubwürdi­g Ausdruck, weil sie es selbst fühlen.

Diese Intellektu­ellen lehnen jede Form des Sozialismu­s ab, doch auch im neuen liberalen System fühlen sie sich fremd. Damit bewegen sie sich auf dem Feld, aus dem vor hundert Jahren die verschiede­nen Spielarten des nationalis­tischen Autoritari­smus sprossen.

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Foto: Photocase/derjoachim Raus aus den Ziegenstäl­len der Rechtsinte­llektuelle­n, rauf auf die Festungsma­uer, um das deutsche Volk zu verteidige­n: Einsame Wacht an der Elbe

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