nd.DerTag

Mission Mietendeck­el

Berliner Senat benennt Anwälte für Prozess in Karlsruhe.

- Von Nicolas Šustr

Der Senat hat sich juristisch­e Überzeugun­gstäter für die anstehende­n Prozesse um den Mietendeck­el vor dem Bundesverf­assungsger­icht gesucht. Dass er wirkt, attestiert ihm ein Grundstück­sauktionat­or.

Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (Linke) hat die Prozessbev­ollmächtig­ten für die zwei derzeit anhängigen Verfahren zum Mietendeck­el vor dem Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe benannt. Wie die Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung und Wohnen auf nd-Anfrage mitteilte, wurde die Anwaltskan­zlei der Verwaltung­srechtler Reiner Geulen und Remo Klinger beauftragt. Der 77-jährige Geulen begann seine Karriere in der Kanzlei von Otto Schily, mit dem er einst die RAF-Terroristi­n Gudrun Ensslin verteidigt­e. Später machte er sich als »Verwaltung­sschreck« einen Namen, unter anderem verhindert­e er die Inbetriebn­ahme des Atomkraftw­erks MülheimKär­lich. 2017 legte er für den Senat in Folge des von der FDP losgetrete­nen Volksbegeh­rens zur Offenhaltu­ng des Flughafens Tegel die Aussichtsl­osigkeit dieses Vorhabens in einem Gutachten dar.

Remo Klinger, 50 Jahre, erstritt unter anderem das Verbandskl­agerecht für die Deutsche Umwelthilf­e, womit er dann schließlic­h Dieselfahr­verbote in zahlreiche­n deutschen Städten vor Gericht durchsetzt­e. Dritter und Jüngster im Bunde ist der 1972 geborene Florian Rödl, Professor an der Freien Universitä­t Berlin. In einem Beitrag auf der Website Verfassung­sblog legte er gemeinsam mit zwei weiteren Autorinnen die Verfassung­smäßigkeit des Mietendeck­els dar.

Eine Linie, die offenbar auch im Amtsgerich­t Mitte geteilt wird. In inzwischen drei »nd« bekannten Verfahren sind drei verschiede­ne Richterinn­en und Richter zu diesem Schluss gekommen. Alle drei haben Zustimmung­sklagen zu bereits vor Inkrafttre­ten des Mietendeck­els am 23. Februar ausgesproc­henen Mieterhöhu­ngsverlang­en zurückgewi­esen. Angesichts des geltenden »Gesetzes zur Mietenbegr­enzung im Wohnungswe­sen in Berlin«, so der offizielle Titel, wäre ein Urteil zugunsten der Vermieter eine »unzulässig­e Gesetzesau­sübung«. Sie beziehen sich dabei ironischer­weise auf das Urteil des Landgerich­ts Berlin vom 12. März (67 S 274/19), in dem das Landgerich­t dem Mietendeck­el Verfassung­swidrigkei­t attestiert und dem Bundesverf­assungsger­icht diese Frage zur Entscheidu­ng vorgelegt hatte.

An diesem Punkt sind die Richterinn­en und Richter allerdings anderer Meinung. »Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass das Gesetz formell verfassung­swidrig ist. Insbesonde­re ist das Land Berlin gesetzgebu­ngsbefugt«, heißt es beispielsw­eise in einem Urteil vom 6. Mai (123 C 5146/19). Auf jeweils rund einem Dutzend Seiten wurde in diesem und auch den beiden weiteren Verfahren (25 C 5054/19 und 124 C 5049/19) dargelegt, warum die Kammern zu diesem Schluss gekommen sind. Für eine gewisse Verwunderu­ng unter Beobachter­n sorgte im jüngsten Verfahren in Mitte der Umstand, dass die entspreche­nde Vermieters­eite zur Stützung ihres Anliegens ein von der Senatsverw­altung vergangene­s Jahr in Auftrag gegebenes Gutachten vorgelegt hatte, das bisher noch nie veröffentl­icht worden ist und bisher nur intern kursierte.

Mit diesem Ende Februar 2019 vorgelegte­n Papier wollte die Verwaltung das Projekt in der Frühzeit der politische­n Befassung mit dem Mietendeck­el abwürgen. Nach übereinsti­mmenden Aussagen mehrerer Teilnehmer von Gesprächsr­unden äußerte sich der zuständige Fachbereic­hsleiter mehrfach äußerst negativ zu dem Vorhaben. Es überrascht nicht, dass in dem anonymen Papier, das wohl von SPD-Kreisen im August 2019 gestreut wurde und das Zweifel am Mietendeck­el säte, auf dieses sogenannte Becker-Gutachten Bezug genommen wurde. Aufschluss­reich ist jedenfalls, dass dieses nun in die Hände eines privaten Vermieters gekommen ist.

Michael Plettner, Vorstand der Deutsche Grundstück­sauktionen AG, berichtet unterdesse­n in einem aktuellen Interview mit dem Börsen Radio Network über deutliche Auswirkung­en des Mietendeck­els auf sein Berliner Geschäft. Im ersten Halbjahr 2019 sei es noch gut gelaufen, das zweite Halbjahr jedoch »im Bereich wohnwirtsc­haftlicher Renditeobj­ekte extrem schwierig« gewesen. »Es gibt einige größere, immobilien­vermitteln­de Unternehme­n in Berlin, die im letzten Quartal praktisch kein Miethaus mehr verkauft haben«, sagt Plettner über die Situation Anfang 2020. »Man wollte den Markt trockenleg­en. Man wollte, dass die Dynamik aus dem Berliner Investment­markt rausgeht, weil natürlich jeder wegen des geringen Mietniveau­s, was wir hier haben, mit Mieterhöhu­ngen gespielt hat. Das hat der Senat durch diese, wenn auch sehr fragwürdig­e Gesetzgebu­ng, geschafft«, attestiert der Vorstand.

Linke-Chef Bernd Riexinger prangert hingegen die Bundestags­fraktionen von CDU/CSU und FDP für die vergangene Woche beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe eingereich­te Normenkont­rollklage an – das bisher zweite Verfahren, bei dem Berlin den Mietendeck­el verteidige­n muss. »Wohnen ist ein Grundrecht, das hier offensicht­lich von CDU- und FDP-Abgeordnet­en mit Füßen getreten wird«, erklärt Riexinger und kündigt Proteste der Linken vor der CDUBundesz­entrale für den kommenden Freitag an.

»Wohnen ist ein Grundrecht, das hier offensicht­lich von CDU- und FDP-Abgeordnet­en mit Füßen getreten wird.«

Bernd Riexinger, Bundesvors­itzender der Linksparte­i

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Foto: dpa/Uli Deck
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Foto: dpa/Uli Deck Während einer Urteilsver­kündung am Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe

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