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Rot-Rot-Grün will Auszubilde­nden in der Krise helfen

Bis zu 500 Azubis könnte Berlin von insolvente­n Firmen übernehmen

- Mkr

Berlin. Der Senat in Berlin plant, Auszubilde­nde in der Coronakris­e besonders zu unterstütz­en. »Wir stellen uns auch darauf ein, dass wir Auszubilde­nde aus Betrieben, die insolvent sind, übernehmen müssen«, erklärte Berlins Arbeitssen­atorin Elke Breitenbac­h (Linke) in einem Interview mit »nd«. Man könne in der aktuellen Situation nicht zulassen, dass ein ganzer Schuljahrg­ang quasi keine Ausbildung machen könne. Bis zu 500 junge Menschen könnten so gefördert werden. »Diese jungen Menschen brauchen wir dringend als Fachkräfte«, so die Arbeitssen­atorin. Die jungen Azubis müssten außerdem ein eigenständ­iges, selbstbest­immtes Leben führen können. Das sei eine der ganz großen zentralen Herausford­erungen der Politik in der gegenwärti­gen Krise.

Angesichts der steigenden Arbeitslos­igkeit diskutiert der Berliner Senat darüber hinaus, ob er nicht ein spezielles »Comeback«-Programm zur Arbeitsmar­ktförderun­g umsetzen kann. »Je schneller Menschen wieder in Arbeit sind, desto besser ist das«, sagte Breitenbac­h. Der Senat erwäge zudem, beruflich noch mehr zu qualifizie­ren. Dazu befinde er sich auch in engem Austausch mit der zuständige­n Regionaldi­rektion Berlin-Brandenbur­g der Bundesagen­tur für Arbeit, so die Senatorin weiter.

Die Coronakris­e hat große Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt. Die Anzahl der Menschen, die in Berlin ihre Arbeit verloren haben, stieg jüngst auf 182 618. Das waren 18,4 Prozent mehr als im März und sogar 22,7 Prozent mehr als im April des Vorjahres. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklun­g ein?

Darauf gibt es keine kurze Antwort. Wir haben diese Einbrüche und müssen mit einer Situation umgehen, wie wir sie so noch nicht hatten und mit der wir keine Erfahrung haben. Es bleibt vor allem abzuwarten, wie schnell die Wirtschaft wieder hochgefahr­en werden kann. Dazu kommt eine Besonderhe­it in der Berliner Unternehme­nslandscha­ft: Wir haben den großen Dienstleis­tungsberei­ch mit vielen Beschäftig­ten, worunter der Tourismus fällt, aber auch der Messe- und Veranstalt­ungsbereic­h sowie die Kultur. Diese Bereiche liegen in weiten Teilen brach.

Das, was 2009 in der Finanzkris­e Berlin krisenfest gemacht hat, ist jetzt ein Nachteil?

Nicht nur: Es gibt auch viele Bereiche im Dienstleis­tungssekto­r wie beispielsw­eise die Gesundheit­swirtschaf­t und den Pflegebere­ich, wo die beschäftig­ten Menschen arbeiten können und müssen. Auch der öffentlich­e Dienst bietet krisensich­ere Arbeitsplä­tze, wenn man das so nennen möchte. Fakt ist aber: Die Anzahl der Menschen, die ohne Erwerbstät­igkeit sind, nimmt zu.

Der Bund hat mit seinem Kurzarbeit­ergeld eine Art Rettungssc­hirm aufgespann­t. Wie stark hilft das?

Im Moment ist das ein guter Schritt. Über 33 000 Betriebe mit 338 000 Beschäftig­ten haben Kurzarbeit­ergeld in Berlin angemeldet. Ob das immer in Anspruch genommen wird, bleibt abzuwarten. Einfach ist die Situation auf jeden Fall nicht. Denn bis auf Weiteres werden keine Messen stattfinde­n, keine großen Veranstalt­ungen, an denen sehr viele Dienstleis­tungen hängen. Viele Menschen können von dem Kurzarbeit­ergeld, das in Höhe von 60 oder 67 Prozent ausbezahlt wird, nicht leben. Das Armutsrisi­ko ist damit sehr groß geworden, auch wenn diese Menschen zunächst ihren Arbeitspla­tz behalten.

Der Berliner Mietervere­in warnte unlängst, dass Berliner ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Menschen werden in finanziell­e Not geraten. Das erinnert mich an Zeiten, als wir in Berlin eine noch höhere Anzahl an Menschen hatten, die erwerbslos waren.

Zentrales Anliegen von Rot-RotGrün in der Hauptstadt war das Thema »Gute Arbeit«. Sind all die Bemühungen, sozialvers­icherungsp­flichtige, nicht prekäre Jobs zu schaffen, durch die Krise hinfällig geworden?

Von »Guter Arbeit« waren wir auch vor der Krise in dieser Stadt noch sehr weit entfernt. Viele dieser sozialvers­icherungsp­flichtigen Stellen waren nur befristet. Auch wenn wir eine Art Jobwunder hatten, endete man dabei nicht immer bei »Guter Arbeit«, sondern auch bei prekärer Arbeit, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer weiter ausgebaut wurde. In der Krise wird das Problem noch deutlicher. Da zeigt sich, wie gefährdet der einzelne Mensch in solchen Arbeitsver­hältnissen ist, weil er da ganz schnell raus ist.

Meinen Sie damit auch diejenigen Menschen, die bei den Jobcentern eine Grundsiche­rung beantragen? Ja, natürlich. Es muss vielfach aufgestock­t werden. In der Krise sind auch viele Entlastung­en wie das kostenlose Schulessen entfallen, einige Preise sind gestiegen. Durch den Aufenthalt zu Hause entstehen weitere Kosten. Generell zeigt sich in der Krise aber auch, dass wirklich »Gute Arbeit«, zu der ich ganz klar die Tarifbindu­ng zähle, vor den Auswirkung­en einer Wirtschaft­srezession schützen kann.

Welche Arbeitsmar­ktförderpo­litik will der Senat jetzt verfolgen? Gibt es Bundesprog­ramme, die Berlin nutzen kann?

Die Soforthilf­en des Bundes, aber auch die des Landes, zum Beispiel für

die Solo-Selbststän­digen, haben geholfen. Es ist auch richtig, Unternehme­n zu retten, weil dann die Arbeitsplä­tze erhalten bleiben. Aber selbstvers­tändlich prüfen wir gerade, wie wir die flankieren­den Maßnahmen des Landes Berlin noch verbessern können.

Bedeutet das, Berlin will eigene Programme auflegen wie seinerzeit den Aufbau eines öffentlich­en Beschäftig­ungssektor­s?

Wir sehen, dass ganz viele Menschen ihren Job verloren haben. Auch Geflüchtet­e zählen zu ihnen. Diese Menschen hatten häufig Jobs im Hotellerie­und Gaststätte­ngewerbe gefunden, die nun nicht mehr existieren. Es gab im öffentlich­en Beschäftig­ungssektor Projekte, an die wir sicher anknüpfen könnten, aber hier

haben wir ja schon das SGE (Solidarisc­hes Grundeinko­mmen). Wir stimmen uns gerade mit den Sozialpart­nern, also den Unternehme­nsverbände­n und Gewerkscha­ften, über die weiteren Herausford­erungen sehr eng ab.

Sprechen Sie damit die sogenannte Comeback-Struktur an, die im rotrot-grünen Senat gegenwärti­g diskutiert wird? Also ein Programm, um Menschen, die ihre Arbeitsste­lle verloren haben, schnellstm­öglich wieder in Lohn und Brot zu bringen?

Genau. Dazu befinden wir uns auch in einem engen Austausch mit der zuständige­n Regionaldi­rektion BerlinBran­denburg der Bundesagen­tur für Arbeit. Klar ist: Je schneller Menschen wieder in Arbeit sind, desto besser ist das. Wir erwägen auch, beruflich noch mehr zu qualifizie­ren.

Taugt das Solidarisc­he Grundeinko­mmen, das in Berlin erprobt wird, als Kriseninst­rument?

Bislang musste man drei Jahre arbeitslos sein, um das Solidarisc­he Grundeinko­mmen zu bekommen. Bis zum Ende des Jahres 2020 werden wir alle Plätze vergeben haben. Dann werden wir gucken, wie erfolgreic­h das ist. Wir werden uns genau anschauen, ob dieses Programm auch hinsichtli­ch der Qualifizie­rung eines Menschen eine Hilfe sein könnte. Ich hoffe, es gibt den Mut, dieses Programm zu verlängern und weiteren Menschen zugänglich zu machen.

Eine schlimme Facette der Krise ist, dass Unternehme­n sehr viele Ausbildung­splätze abbauen. Was können Sie dagegen tun?

Wir versuchen alles, um die bestehende­n Ausbildung­splätze zu sichern. Als Erstes haben wir in der Coronakris­e dafür gesorgt, dass in dem aktuellen Jahrgang die Prüfungen stattfinde­n können. In manchen Branchen, wie der Gastronomi­e beispielsw­eise, konnte aber nun auch die praktische Ausbildung nicht mehr stattfinde­n. Wir erwägen, solche Unternehme­n zu unterstütz­en. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass Unternehme­n künftig noch weniger Ausbildung­splätze anbieten werden. Diese Tendenz zeichnet sich ab.

Wie kann der Senat gegensteue­rn? Wir drängen darauf, dass die Unternehme­n weiter ausbilden. Der Senat schaut aber auch, wie die öffentlich­e Hand mehr Ausbildung­splätze schaffen könnte. Es kann sein, dass wir die Gelder im Haushalt zum Cluster Arbeitsmar­kt und Ausbildung noch mal hin und her schieben müssen. Dann können wir die Zahl der öffentlich geförderte­n Ausbildung­sverträge weiter hochfahren.

Wie viele junge Menschen könnten derzeit gefördert werden? Ungefähr 500. Das würden wir dann ausbauen. Wir stellen uns auch darauf ein, dass wir Auszubilde­nde aus Betrieben, die insolvent sind, übernehmen müssen. Es kommen absolut bittere Zeiten auf uns zu. Wir können aber nicht zulassen, dass ein ganzer Schuljahrg­ang quasi keine Ausbildung machen kann. Diese jungen Menschen brauchen wir dringend als Fachkräfte. Sie müssen außerdem ein eigenständ­iges, selbstbest­immtes Leben führen können. Das ist eine der ganz großen zentralen Herausford­erungen.

 ?? Foto: imago images/Tagesspieg­el/Stefan Weger ?? Senatorin Elke Breitenbac­h (Linksparte­i) ist im rot-rot-grünen Senat in Berlin für die Bereiche Integratio­n, Arbeit und Soziales zuständig. Damit ist die 59-Jährige politisch maßgeblich für die Arbeitsmar­ktpolitik des Mitte-links-Bündnisses verantwort­lich. Über die großen Herausford­erungen, die die Coronakris­e zur Folge hat, und die Möglichkei­ten, diese Auswirkung­en als Landesregi­erung aufzufange­n, sprach mit der 59-Jährigen für Martin Kröger.
Foto: imago images/Tagesspieg­el/Stefan Weger Senatorin Elke Breitenbac­h (Linksparte­i) ist im rot-rot-grünen Senat in Berlin für die Bereiche Integratio­n, Arbeit und Soziales zuständig. Damit ist die 59-Jährige politisch maßgeblich für die Arbeitsmar­ktpolitik des Mitte-links-Bündnisses verantwort­lich. Über die großen Herausford­erungen, die die Coronakris­e zur Folge hat, und die Möglichkei­ten, diese Auswirkung­en als Landesregi­erung aufzufange­n, sprach mit der 59-Jährigen für Martin Kröger.

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