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Empörung über Fleischbra­nche wächst

Bundesregi­erung kündigt Maßnahmen gegen Ausbeutung in der Schlachtin­dustrie an

- Von Haidy Damm

Der Druck auf die Schlachtbe­triebe steigt. Jetzt soll in der Branche umfassend auf Coronavire­n getestet werden. Die Bundesregi­erung kündigte am Mittwoch weitere Konsequenz­en an.

Die Bundeskanz­lerin war einen Schritt schneller. Kurz vor der von den Grünen beantragte­n Aktuellen Stunde im Bundestag anlässlich der vermehrten Corona-Ausbrüche in Schlachthö­fen kündigte Angela Merkel Konsequenz­en an. Die Bundesregi­erung beabsichti­ge, hierzu Änderungen zu beschließe­n, sagte die CDU-Politikeri­n am Mittwoch im Bundestag. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) werde am nächsten Montag ein Konzept dazu vorlegen.

In mehreren Schlachtbe­trieben waren in den vergangene­n Tagen hohe Infektions­zahlen mit dem neuartigen Coronaviru­s festgestel­lt worden. Arbeitsbed­ingungen

und Unterbring­ung der Arbeiter*innen, von denen viele aus Osteuropa stammen, stehen schon länger in der Kritik.

Auch Merkel sprach von »erschrecke­nden Nachrichte­n« aus der Fleischind­ustrie. »Gerade bei der Unterbring­ung gibt es erhebliche Mängel.« In der Aktuellen Stunde gab es über die miesen Zustände in der Branche Einigkeit, darüber, wie sie abzustelle­n seien, aber nicht. Bundesarbe­itsministe­r Heil kündigte Maßnahmen an, die deutlich über die bisherigen Regelungen hinausging­en. »Wir müssen aufräumen, und wir werden aufräumen«, sagte er im Bundestag. Dazu gehörten die Regelungen für Werkverträ­ge ebenso wie verstärkte Kontrollen.

Gerade die Kontrollen jedoch liegen nicht im Zuständigk­eitsbereic­h des Bundes, wie auch Merkel und ihre Kabinettsk­ollegin Julia Klöckner (CDU) am Mittwoch betonten. Die Bundesregi­erung habe weitreiche­nde Vorschrift­en zu Quarantäne und Hygiene am Arbeitspla­tz und der Unterbring­ung von Saisonkräf­ten veranlasst, sagte Klöckner. »Es gibt Regeln, die müssen unbedingt eingehalte­n, und die Einhaltung muss von den zuständige­n Behörden kontrollie­rt werden.« Wer sich nicht daran halte, müsse mit Sanktionen rechnen.

Klöckner forderte zudem von der Fleischbra­nche eigene Konzepte zum Gesundheit­sschutz. Solche freiwillig­en Maßnahmen lehnen Linke und Grüne ebenso ab wie die Gewerkscha­ften. Die Gewerkscha­ft

Nahrung-GenussGast­stätten forderte stattdesse­n, die »beschämend­en und menschenve­rachtenden Zustände« in der deutschen Fleischind­ustrie »jetzt und auf Dauer« zu regulieren. Ausnahmslo­s alle Beschäftig­ten seien »unverzügli­ch und ausnahmslo­s auf eine Corona-Infektion« zu testen. Zudem fordert die Gewerkscha­ft unter anderem das »Verbot von Werkverträ­gen im Kernbereic­h der unternehme­rischen Tätigkeit«. So soll es den Fleischkon­zernen unmöglich gemacht werden, selbst Kernaufgab­en wie das Schlachten und Zerlegen von Tieren an billige und teilweise dubiose Fremdfirme­n auszulager­n.

Umfassende Tests hat am Mittwoch nach Nordrhein-Westfalen auch Niedersach­sen angekündig­t. Zeitnah sollen demnach alle rund 23 700 Beschäftig­ten in der fleischver­arbeitende­n Industrie auf das Coronaviru­s getestet werden.

»Wir werden aufräumen müssen, und wir werden aufräumen.«

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil, SPD

Ohne Saisonkräf­te wäre Brandenbur­gs Agrar- und Ernährungs­wirtschaft aufgeschmi­ssen. Regierung und Verbände wollen daher für bessere Arbeitsbed­ingungen beispielsw­eise für die Erntehelfe­r sorgen.

Anderthalb Monate nach einem komplizier­ten Saisonstar­t bei den Gemüseund Obstanbaub­etrieben in Brandenbur­g arbeitet die Landesregi­erung die Probleme im Bereich der Saisonarbe­it auf. Die heimischen Landwirtsc­haftsund Gartenbaub­etriebe sind auf befristet eingestell­te Erntehelfe­r angewiesen – um sie bei der Stange zu halten, müssen die Arbeitsbed­ingungen stimmen. Wie »gute Saisonarbe­it« künftig zu gewährleis­ten sei, hat zu Wochenbegi­nn ein Runder Tisch diskutiert, zu dem Agrarminis­ter Axel Vogel (Grüne) und Arbeitsmin­ister Jörg Steinbach (SPD) nach Potsdam geladen hatten. Gekommen waren Vertreter von Gewerkscha­ften, Agrar- und Gartenbauv­erbänden.

»Keine heimischen Erdbeeren, Spargel, Gurken – auch nicht im Glas: Die Brandenbur­ger Landwirtsc­haft und Ernährungs­branche kann nicht ohne Saisonkräf­te leben – und arbeiten.« So fassten die Teilnehmer die Ausgangsla­ge zusammen.

Wie sehr Brandenbur­gs Agrarbetri­ebe auf geeignete Saisonkräf­te angewiesen sind, zeigte sich in der beginnende­n Coronakris­e. Als erste mussten die Spargelbau­ern ab Mitte

März um jeden Erntehelfe­r kämpfen, um zumindest den Saisonstar­t absichern zu können. Denn wegen der Pandemie hatten die wichtigste­n Herkunftsl­änder, aus denen die meisten der gut geschulten Niedrigloh­nempfänger kommen – Rumänien und Polen –, die Grenzen dicht gemacht und strenge Quarantäne­vorschrift­en erlassen. Erst im April wurde einer begrenzten Anzahl die Einreise ermöglicht. Zudem sahen sich hiesige Arbeitgebe­r Vorwürfen wegen angebliche­r oder tatsächlic­her Ausbeutung und schlechter Betreuung der ausländisc­hen Saisonkräf­te ausgesetzt.

»Ohne Saisonbesc­häftigte und hier insbesonde­re ausländisc­he Arbeitnehm­erinnen

und -nehmer würden der Gemüse- und Obstanbau weitestgeh­end aus Brandenbur­g verschwind­en und viele Agrarfläch­en unbearbeit­et bleiben«, hatte Vogel im Vorfeld erklärt. Rund 300 000 Saisonkräf­te, die jedes Jahr aus Osteuropa kämen, sicherten hierzuland­e die Versorgung der Bevölkerun­g mit frischem und regionalem Obst und Gemüse.

Märkische Erzeuger haben angesichts der sehr arbeitsint­ensiven Kulturen und des riesigen Drucks des Handels auf die Abnahmepre­ise kaum finanziell­e Spielräume. In einer am Dienstag veröffentl­ichen Mitteilung heißt es: »Die Verbände des Garten-, Obst- und Spargelanb­aus, der Landesbaue­rnverband,

Bauernbund und Ökoanbauve­rbände in Brandenbur­g haben ein existenzie­lles Interesse daran, dass die saisonal eingesetzt­en Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er wiederkomm­en und einen festen qualifizie­rten Mitarbeite­rstamm herausbild­en.«

Um dies zu sichern, gehe es unabhängig von Corona um faire Arbeitsbed­ingungen, betonte Axel Vogel. Die Branche versprach daher, »schwarzen Schafen«, die sich nicht an Lohnstanda­rds, angemessen­e Unterbring­ung und festgelegt­e Arbeitszei­ten sowie Hygienevor­kehrungen hielten, entschiede­n entgegenzu­treten. Regelmäßig führe auch das Landesamt für Arbeitssch­utz, Verbrauche­rschutz und Gesundheit gemeinsam mit dem Zoll Kontrollen durch. Der Agrarminis­ter kündigte zudem an, mit dem Handelsver­band Berlin-Brandenbur­g gerechtere Marktbezie­hungen und angemessen­e Preise zu thematisie­ren.

Arbeitsmin­ister Steinbach forderte, angesichts wachsender Arbeitskrä­fteknapphe­it mittel- und langfristi­g mehr für »Gute Arbeit« zu tun, »damit die Saisonarbe­it in der Landwirtsc­haft attraktiv bleibt«. Voraussetz­ung seien Dialog und Teilhabe der Akteure.

»Alle Beteiligte­n – die Gewerkscha­ften, die Anbauverbä­nde als Arbeitgebe­r und die Landesregi­erung – wollen, dass gute Saisonarbe­it ein echtes Qualitätsm­erkmal für die Landwirtsc­haft und das Verarbeitu­ngsgewerbe in Brandenbur­g wird«, resümierte Axel Vogel.

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Foto: dpa/Pleul Polinnen pflücken bei Obstbauer Herzberg in Pagram Erdbeeren.

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