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Armut, Bürgerkrie­g, Corona – Überleben in Kongo

Armut, Bürgerkrie­g, Corona – im Osten Kongos kämpfen viele ums Überleben. Es gibt dennoch Mitleid mit den Europäern

- Von Judith Raupp, Goma

Die offizielle­n Zahlen der CoronaInfe­ktionen in Subsahara-Afrika steigen weiterhin nur langsam. Doch der Lockdown hat dramatisch­e Folgen – etwa in Kongo.

Zu Hause bleiben wegen Corona? Das ist unmöglich für Sifa Adisa. Sie muss jeden Tag auf dem Markt Bananen, Orangen und Ananas verkaufen, sonst kann sie weder Miete noch Brei für ihre beiden Kinder bezahlen. »Vor dem Virus ist mir ein wenig mulmig«, sagt die Marktfrau in der Millionens­tadt Goma im Osten der Demokratis­chen Republik Kongo. Aber größere Sorgen bereitet ihr, dass die Grenze zur ruandische­n Nachbarsta­dt Gisenyi wegen Corona-Gefahr für den Personenve­rkehr geschlosse­n ist. Bis vor ein paar Wochen hat Adisa das Obst selbst dort gekauft und zu Fuß nach Goma getragen. Nun dürfen nur noch Waren in Lkw die Grenze passieren, so dass die Marktfrau den Transport bezahlen muss. Sie verkauft das Obst jetzt zum doppelten Preis. »Die Kunden akzeptiere­n das zähneknirs­chend, aber wie lange noch?«

In die DR Kongo kam das Virus Anfang März. Einheimisc­he Geschäftsl­eute, Politiker und ausländisc­he Entwicklun­gshelfer haben es von ihren Flugreisen mitgebrach­t. Seither ist die Zahl der Infizierte­n auf 1102 gestiegen. 44 Menschen sind gestorben. Die wahre Zahl der Infizierte­n kennt auch hier niemand. Zumal das bisher einzige Labor in der Hauptstadt Kinshasa mit dem Testen nicht nachkommt.

Wie viele andere afrikanisc­he Länder hat die DR Kongo die Grenzen, Schulen und Universitä­ten geschlosse­n, Auslandsfl­üge und Versammlun­gen verboten, Restaurant­s dürfen nicht öffnen. Märkte, Geschäfte und die meisten Betriebe arbeiten aber fast überall weiter. Auch Minibusse und Taxis sind noch unterwegs.

»Ich muss jetzt viel mehr für den Bus bezahlen«, schimpft Mamie Simire. Die Fahrer dürfen wegen der Abstandsre­gel nur noch halb so viele Passagiere mitnehmen. Deshalb haben die Busbetreib­er die Preise erhöht. Simire, die in einem Lebensmitt­elbetrieb arbeitet, verdient umgerechne­t etwa 110 Euro im Monat. Weil nun alles teurer geworden ist, weiß sie nicht, wie sie über die Runden kommen soll. »Mein Lohn hat schon vorher nie gereicht. Jetzt essen meine fünf Kinder nur noch einmal am Tag«, klagt Simire. Sie hat gehört, dass Regierunge­n in anderen Ländern Lebensmitt­el an Bedürftige verteilen. »Das sollte es bei uns auch geben.«

Früher konnte Simire auf ihren Bruder in Kinshasa zählen. Er schickte Geld, wenn sie in Not war. Aber im

Geschäfts- und Verwaltung­sviertel Gombe, wo er lebt, herrscht, anders als im übrigen Land, Ausgangssp­erre. Hier wohnen sehr viele Infizierte. Simires Bruder ist freigestel­lt und bekommt keinen Lohn. Er muss schauen, wie er seine Familie ernährt.

»Sehr wahrschein­lich sind die sozialen und wirtschaft­lichen Kosten der Ausgangssp­erre wesentlich höher als der Nutzen«, sagt Ursula Kölbel, Leiterin der Verbindung­sstelle des katholisch­en Hilfswerks Misereor in Kinshasa. Sie findet, die Regierung hätte zuerst das medizinisc­he Personal auf Hygiene einschwöre­n sollen. Innerhalb kurzer Zeit infizierte­n sich in einem Krankenhau­s 15 Pfleger und Ärzte. Nun greift das Virus auch noch in einem Gefängnis in Kinshasa um sich. Die Krankenhäu­ser im ganzen Land sind schlecht ausgerüste­t. Für die 84 Millionen Einwohner stehen gerade einmal ein paar Dutzend Beatmungsg­eräte zur Verfügung.

»So schlimm wie befürchtet hat es uns bis jetzt aber nicht getroffen«, sagt der Geschäftsm­ann Joël Tembo Vwira aus Goma. Die offizielle­n Zahlen der Infizierte­n und der Opfer nähmen in ganz Afrika deutlich langsamer zu als in Europa. »Aber wir spüren die wirtschaft­lichen Folgen.« Vwiras Firma verliert ein Fünftel des Umsatzes, da er die Schule für angehende Unternehme­r schließen musste. Unter seinen ehemaligen Klienten sind viele, die bei Hochzeiten dekorieren oder Veranstalt­ungen moderieren. »Ihr Geschäft ist tot«, stellt Vwira fest. Er selbst hat Glück. Zu seinem Unternehme­n gehören auch eine Müllabfuhr,

Straßenkeh­rer und ein Desinfekti­onsservice. Die 30 Beschäftig­ten putzen weiter. »Viele Aufträge haben wir aber nicht. Die meisten Leute hier im Ostkongo ignorieren Corona.«

Pascal Muhindo Mapenzi kann das verstehen. Der Leiter eines Lokalradio­s in der Kleinstadt Oicha versucht, die Bevölkerun­g über Corona aufzukläre­n. »Aber die Leute wären schon froh, wenn sie schlafen könnten, ohne umgebracht zu werden«, berichtet er. In der Gegend wütet seit Jahren eine Miliz, obwohl dort die weltgrößte Blauhelmtr­uppe stationier­t ist. Das Flüchtling­shilfswerk UNHCR wies gerade auf die eskalieren­de Gewalt gegen Zivilisten in Nordostkon­go hin. Seit Mitte März seien mindestens 274 Menschen getötet worden, Frauen würden vergewalti­gt, Häuser angezündet. Mehr als 200 000 Menschen seien auf der Flucht, viele müssten unter freiem Himmel schlafen.

In der Gegend hatte 2018/19 zudem eine Ebola-Epidemie 2279 Menschen getötet. Radiodirek­tor Mapenzi kennt Elend von klein auf, aber im Moment hat er vor allem Mitleid mit den Europäern: »Es muss schlimm sein für sie. Sie sind ja nicht gewohnt, dass ihr Leben bedroht ist.«

»Mein Lohn hat schon vorher nie gereicht. Jetzt essen meine fünf Kinder nur noch einmal am Tag.«

Mamie Simire, Arbeiterin aus Goma

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