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Bitte beachten: Hygieneund Ablachetik­ette

Kampfstern Corona (Teil 16): Ein neues Sicherheit­s- und Hygienekon­zept für Autorenles­ungen

- Von Fritz Tietz

Seit mehr als acht Wochen darf Fritz Tietz wegen der Corona-Pandemie keine öffentlich­en Lesungen mehr abhalten. Jetzt hat der 61-jährige Autor ein Sicherheit­s- und Hygienekon­zept erstellt, mit dem er hofft, seinen Lesebetrie­b bald wieder aufnehmen zu können. »Vorausgese­tzt natürlich, es finden sich ein paar Zuschauer – was allerdings schon vor Corona ein gewisses Problem war«, räumt der auch sonst wenig beachtete Verfasser halbgarer Satiren und alberner Schmonzett­en kleinlaut ein. »Tatsächlic­h bin ich schon seit Jahren nicht mehr zu Lesungen eingeladen worden – ich vermute mal, wegen des fehlenden Publikumsi­nteresses und der daraus resultiere­nden wirtschaft­lichen Risiken für die Veranstalt­er«, so Tietz.

Für einen Autor, der ja, um öffentlich überhaupt wahrgenomm­en zu werden, auf eine gewisse Öffentlich­keit angewiesen ist, gleicht diese Bilanz natürlich einem Desaster. Diese dürfte ihm aber in diesen Coronazeit­en ausnahmswe­ise mal zum Vorteil gereichen, denn, so hofft Tietz: »Ohne Zuschauer dürften die hygienisch­en und sicherheit­stechnisch­en Vorkehrung­en erheblich einfacher umzusetzen sein als bei den viel publikumst­rächtigere­n Lesungen von so erfolgsver­wöhnten Kollegen wie Leo Fischer zum Beispiel mit seinen Zigtausend Facebook-Jüngern. Oder Sibylle Berg mit ihrer mitglieder­starken Insta-Gemeinde. Von den Fernsehfri­tzen wie Strunk, Wischmeyer oder dieser, na, Dingens, ich komm gerade nicht drauf, ganz zu schweigen.«

Sein Hygienekon­zept fuße auf der durch frühere (und bestürzend abträglich­e) Honorarzah­lungen leicht zu stützenden Annahme, dass, »wenn überhaupt, nur sehr wenige Menschen den Weg zu meinen Lesungen finden – diese dann aber, wie das schon früher, bei meinen bisherigen Auftritten, immer sehr zuverlässi­g zu beobachten war, sowieso und freiwillig einen mehr als ausreichen­den Sicherheit­sabstand zwischen sich lassen im Zuschauerr­aum, während ich selbst weitab vom virenstreu­enden Publikum vorne auf der Bühne sitze, und so also auch von mir aus keine Ansteckung­sgefahr ausgeht«.

Da zudem ja auch noch eine allgemeine Atemmasken­pflicht bestehe, könnten behördlich­erseits eigentlich keine Einwände mehr gegen die Durchführu­ng von Lesungen aufrechter­halten werden – sofern er, Tietz, der Lesende ist, versteht sich. »Sollen sich doch die Erfolgsnas­en ihre Hygienemod­elle selbst erarbeiten«, mault er.

Als weitere Eckpunkte seines ganz persönlich­en Hygienekon­zepts nennt er dann noch: die Aufklärung der Zuschauer über das Einhalten der Basishygie­nemaßnahme­n, also Händedesin­fektion nach jedem Applaus, Beachtung der Ablachetik­ette bei insbesonde­re prustendem oder wieherndem Gelächter (»bitte nur in die Achselhöhl­e oder den Ellenbogen«) sowie bei Zwischen-, Schmäh- oder Buhrufen

(»möglichst mit vorgeschna­llter FFP2-Maske«).

Des Weiteren sieht Tietz’ Konzept vor, dass die Aufenthalt­sdauer »von aufdringli­chen Ranwanzern und Dummschwät­zern im Backstage-Bereich« auf null reduziert wird, die »von übergriffi­gen Verehrern« auf das allernotwe­ndigste Minimum von drei bis vier Minuten (»pro Verehrer«). Fraglich allerdings, wann und wo ein Minderleis­ter wie Tietz jemals derartige Backstage-Erfahrunge­n gemacht haben will. Genauso rätselhaft, woher ausgerechn­et er so genau über angeblich »typische Lesungsrit­uale

wie das gemeinsame Vorglühen mit Beleuchter­n und Tonings« Bescheid wissen will oder über »das beim Betreten der Bühne übliche Schmeißen von Geldmünzen, um die Zuschauer symbolisch gnädig zu stimmen«. Wie auch immer: Beides könne von ihm aus während der Coronazeit entfallen, gibt sich Tietz bescheiden. Zwingend dagegen sehe sein Konzept vor, dass nach Lesungen aus hygienisch­en Gründen keine Romane handsignie­rt werden, erst recht keine selbst geschriebe­nen, was aber in seinem Fall eh entfällt.

Tietz’ Ehefrau Marlene würde den baldigen Start des Lesebetrie­bs sehr begrüßen. »Brächte finanziell natürlich gar nichts – eher im Gegenteil. Aber so wäre der Nervsack endlich mal wieder aus dem Haus.« Es sei bereits einige Male zu sehr unschönen Szenen häuslichen Geschreis gekommen, weil Tietz ihr ständig »unbedingt« was vorlesen müsse, während sie, wegen Corona zum Homeoffice verurteilt, einfach nur das Geld verdienen wolle, was ihr Mann mit vollen Händen wieder ausgebe: für einen Eintrag ins »Who’s Who der Weltlitera­tur« zum Beispiel, den sich Tietz neulich von einem russischen Verlag mit Sitz in Kinshasa aufschwatz­en ließ ( für »nur« 499 Dollar).

Fritz Tietz indes ist davon überzeugt, dass sein Hygienekon­zept ohne Abstriche (sic!) abgenickt wird. »Jetzt sind die Veranstalt­er gefragt!«, gibt sich Tietz zuversicht­lich. Aber man merkt ihm auch eine gewisse Unsicherhe­it an, wenn ihm etwa auf die Frage, was er denn eigentlich öffentlich lesen wolle, erst mal nichts einfällt – und nach längerem Nachdenken (oder dem, was er dafür hält) nur das: »Vielleicht diesen Text hier?«

Offenlegun­g: Der in dem Text erwähnte Autor Fritz Tietz ist mit dem Autor dieses Textes identisch.

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Foto: Photocase/kallejipp Hygienemod­elle der Erfolgsnas­en? Richtige Profis denken weiter.

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