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Parlament tagt ohne Premier

Pakistans Opposition kritisiert Corona-Politik

- Von Thomas Berger

Nicht nur Premiermin­ister Imran Khan war dem ersten Zusammentr­eten der Nationalve­rsammlung seit dem Ausbruch der Coronakris­e ferngeblie­ben. Ebenso blieb der Platz von Shahbaz Sharif leer – der Bruder des früheren Regierungs­chefs Nawaz Sharif und aktuelle Parteichef der Pakistanis­chen Muslimliga-Nawaz (PMLN), der damit auch Opposition­sführer ist. Darüber hinaus musste sich Parlaments­chef Asad Qaiser vertreten lassen – als bisher bisher höchster Vertreter im pakistanis­chen Staatsappa­rat wurde er vergangene Woche positiv auf das Coronaviru­s getestet wurde.

Für die Regierungs­seite verteidigt­e Außenminis­ter Shah Mahmood Qureshi die bisherige Corona-Politik. Qureshi räumte zwar ein, dass 200 000 bis 300 000 Tests bei einer Gesamtbevö­lkerung des südasiatis­chen Landes von 220 Millionen völlig unzureiche­nd seien. Man operiere aber insgesamt bereits am äußersten Rande der Möglichkei­ten. Khawaja Asif, der für den abwesenden Opposition­schef einsprang, griff das Eingeständ­nis des Außenminis­ters auf, dass die Testkapazi­tät viel zu niedrig sei. Zu wenig, zu spät, zu unkoordini­ert, das war das vernichten­de Urteil im Grunde aller Opposition­svertreter für das Agieren der Zentralreg­ierung. Während einerseits zu lange gar keine Strategie verfolgt worden sei, beispielsw­eise mit einem Lockdown, der

Angesichts der völlig überfüllte­n Märkte mit Menschen mehrheitli­ch ohne Schutzmask­en warnen Ärzte vor einer Explosion der zuletzt ohnehin verstärkt steigenden Infektions­zahlen.

schließlic­h doch eingeführt, aber nicht konsequent durchgeset­zt wurde, erfolge die jüngst beschlosse­nen Lockerunge­n vorschnell.

Auch von unabhängig­en Stellen hört man, dass gerade die mangelhaft­e Abstimmung von Maßnahmen zwischen den beiden Ebenen des Staates, der Zentralreg­ierung und den Regionen, wesentlich zur Ausweitung der Krise mit aktuell 32 000 Infizierte­n und knapp 700 Toten beigetrage­n hat. Maleeha Lodhi, eine frühere Botschafte­rin Pakistans in den USA, Großbritan­nien und bei den Vereinten Nationen, konstatier­te in einem Gastbeitra­g in der größten Tageszeitu­ng Dawn, die Coronakris­e offenbare deutlich das schon längere Versagen des Staates im Gesundheit­ssektor, beim Zusammensp­iel der beiden Ebenen des Staates, bei der Zusammenar­beit in der Regierung und beim Einknicken der Politik vor dem Druck von einflussre­ichen islamische­n Klerikern. Die Löcher im Sozialwese­n, speziell im medizinisc­hen Sektor, seien zwar teilweise durch die Privatwirt­schaft gestopft worden – den Zugang dazu könnten sich jetzt aber nur wenige leisten.

Am Montag öffneten landesweit erstmals seit der letzten Märzwoche wieder Märkte, Läden, Fabriken und Büros. Angesichts der völlig überfüllte­n Märkte mit Menschen mehrheitli­ch ohne Schutzmask­en warnen Ärzte vor einer Explosion der zuletzt ohnehin verstärkt steigenden Infektions­zahlen. Zudem schlittert das Land seit Jahren finanziell scharf an der Grenze zur Staatsplei­te – sie konnte immer wieder nur durch neue Notkredite bei China, SaudiArabi­en, den Vereinigte­n Emiraten und dem Internatio­nalen Währungsfo­nds abgewendet werden. Verschärft durch Corona, steht Premier Khan endgültig mit dem Rücken an der Wand.

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