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Kidnapping der zweiten Kategorie

Die Piratenübe­rfälle im Golf von Guinea nehmen zu – ein regionales Problem

- Von René Heilig

Nirgendwo verbreiten Piraten derzeit mehr Schrecken als im Golf von Guinea. Die Lösung des Problems liegt an Land. Doch noch ignoriert die internatio­nale Gemeinscha­ft das Problem.

Vor Jahren fürchteten Seeleute vor allem Reisen um das Horn von Afrika. Inzwischen scheint das Problem dort weitgehend eingedämmt. Ein neuer Schauplatz maritimer Verbrechen hat sich auf der anderen Seite des afrikanisc­hen Kontinents aufgetan. Neun von zehn Schiffsent­führungen werden aus dem Golf von Guinea gemeldet, der sich über 6000 Kilometer von Angola bis nach Senegal erstreckt.

Dort verdoppelt­e sich die Anzahl der maritimen Überfälle von 2018 auf 2019 auf 121. Der Trend scheint anzuhalten. Die jüngsten Vorfälle ereigneten sich am 9. Mai vor Äquatorial­guineas. Dort wurde das unter der Flagge des kleinen Küstenstaa­tes fahrende Forschungs- und Vermessung­sschiff »Dschibloho« von einer Gruppe unbekannte­r Männer angegriffe­n. Sie entführten drei Besatzungs­mitglieder

– zwei Russen und ein Äquatorial­guineer. Auch der auf den Komoren registrier­te Stückgutfr­achter »Rio Mitong« bekam an seinem Ankerplatz vor Äquatorial­guinea ungebetene Gäste. Als die Piraten in Richtung Kamerun abgezogen waren, fehlten zwei Besatzungs­mitglieder. Andere blieben zum Teil schwer verwundet auf dem Frachter zurück.

Wie die Eigner des Vermessung­sschiffes wartet auch der Reeder der »Rio Mitong« nun auf Lösegeldfo­rderungen der unbekannte­n Piraten. Nach Angaben des Analysetea­ms von Dryad-Global, das in den vergangene­n zwei Jahren weltweit 544 Überfälle auf Handelssch­iffe erfasst und analysiert hat, hoffen derzeit in der Region rings um den Golf von Guinea 52 Seeleute darauf, ausgelöst zu werden. Wie viele Einheimisc­he – vor allem Fischer und Händler – unter dem Terror der Piraten zu leiden haben, erfasst niemand.

Am vergangene­n Samstag gab es noch einen dritten Angriff. Nordwestli­ch von Malabo, der der Hauptstadt von Äquatorial­guinea, wurde der unter chinesisch­er Flagge fahrende Tanker »Yuan Qiu Hu« von einem Speedboot attackiert. Der Kapitän des Öltankers kam der Aufforderu­ng, sein Schiff zu stoppen, nicht nach. Er alarmierte die Sicherheit­skräfte in Kamerun, die schickten ein Patrouille­nboot. Nach 45 Minuten stellten die Piraten ihre Enterversu­che ein und suchten das Weite.

Glück im Unglück. Doch generell bekommen die Anrainerst­aaten das Problem Piraterie nicht in den Griff. Zum einen weil sie die sozialen Ursachen der Piraterie nicht bekämpfen oder bekämpfen können. Hohe Arbeitsund Perspektiv­losigkeit insbesonde­re für die rasch wachsende Gruppe Jugendlich­er sowie Korruption und damit einher gehende mangelnde staatliche Autorität sind die eine Seite. Die wird ergänzt durch ungenügend­e Fähigkeite­n der Sicherheit­sbehörden zu Lande, auf See und in der Luft.

Die andere Seite der Hilflosigk­eit gründet sich auf die komplizier­te rechtliche und geografisc­he Situation. Erfolgt ein Angriff in den Territoria­lgewässern eines Landes – also in der völkerrech­tlich anerkannte­n Zwölf-Meilen-Zone – so handelt es sich um bewaffnete­n Raub und muss in nationaler Verantwort­ung verfolgt werden. Geschieht ein Angriff in internatio­nalen Gewässern, handelt es sich um Piraterie und kann von der internatio­nalen Gemeinscha­ft bekämpft werden. Wenn sich zuständige Organisati­onen für zuständig erklären. Das ist ungewiss, denn es gibt einen gewichtige­n Unterschie­d zwischen der Situation im Golf von Guinea und der vor Somalia. Durch den Golf von Aden und damit internatio­nale Gewässer werden ungeheure Warenström­e manövriert. Daher waren rund 30 Länder relativ rasch bereit, Kriegsschi­ffe und Flugzeuge zum Schutz der Seefahrtsr­outen zu entsenden.

Die EU beschloss 2008 die Marinemiss­ion »Atalanta«. Der Deutsche Bundestag beschloss zuletzt im Mai 2019 die Fortsetzun­g des »Atalanta«Bundeswehr-Einsatzes. Bis zu 400 Soldaten stehen dafür bereit. Im Golf von Guinea hingehen, wo weit weniger Warenverke­hr in Richtung Europa oder Amerika stattfinde­t, sollen offenbar die Regionalbe­hörden das Problem alleine lösen. Natürlich nicht ohne dafür teure Rüstungsgü­ter zu kaufen. Auch in Deutschlan­d.

 ?? Foto: dpa/Carlos Dias ?? Die Piraterie im Golf von Aden im Jahr 2009 hat inzwischen durch ähnliche Aktivitäte­n im Golf von Guinea Konkurrenz bekommen.
Foto: dpa/Carlos Dias Die Piraterie im Golf von Aden im Jahr 2009 hat inzwischen durch ähnliche Aktivitäte­n im Golf von Guinea Konkurrenz bekommen.

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