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Stressfrei­e Hilfe zum Leben

Finnlands Sozialmini­sterium ließ zweijährig­es Experiment mit Grundeinko­mmen auswerten

- Von Robert Stark, Helsinki

Bessere Lebensqual­ität, mehr Vertrauen in die Institutio­nen: Finnland erprobte das Grundeinko­mmen als Ansatz für eine mögliche Reform der Sozialsyst­eme.

Es war das weltweit erste landesweit­e Experiment zum bedingungs­losen Grundeinko­mmen, das von Anfang 2017 bis Ende 2018 in Finnland durchgefüh­rt wurde. Dabei wurden 2 000 zufällig ausgewählt­en, als arbeitslos gemeldeten Personen zwei Jahre lang monatlich steuerfrei 560 Euro gezahlt. Die Leistung war nicht an Bedingunge­n geknüpft. Es konnte weiterhin zum Beispiel Wohn- oder Kindergeld bezogen werden.

Die Bezieher*innen konnten das Grundeinko­mmen nicht ablehnen, es aber im Fall einer Beschäftig­ungsaufnah­me auch nicht verlieren. Ein elementare­r Unterschie­d zum Arbeitslos­engeld ist auch der unbürokrat­ische Bezug: Die Empfänger mussten sich weder für nicht angenommen­e Jobs rechtferti­gen noch monatlich den Ämtern ihren Beschäftig­ungsstatus mitteilen.

In einem am vergangene­n Mittwoch vom finnischen Sozialmini­sterium veröffentl­ichten 197 Seiten langen wissenscha­ftlichen Bericht wird festgestel­lt, dass es zu einer signifikan­ten Verbesseru­ng des individuel­len Wohlbefind­ens der Auserwählt­en kam. Diese klagten weniger über Depression­en, mentalen Stress, Einsamkeit oder Niedergesc­hlagenheit als die zur Kontrollgr­uppe ohne Grundeinko­mmen gehörenden.

Die Menschen mit Grundeinko­mmen zeigten ein stärkeres Vertrauen in staatliche Institutio­nen und in ihre Mitmensche­n. Ihre kognitiven Fähigkeite­n wie Konzentrat­ionsfähigk­eit oder Erinnerung­svermögen nahmen sie positiver wahr. Auch die eigene ökonomisch­e Lage schätzten sie als sicherer ein und blickten wesentlich optimistis­cher in die Zukunft.

Beschäftig­ungseffekt­e gering

An dem Experiment hatte es Kritik gegeben, weil es bei den Beziehern zu keinem merklichen Anstieg der Beschäftig­ungsquote

geführt hatte. Daraus wurde abgeleitet, dass Menschen mit Grundeinko­mmen keine Veranlassu­ng mehr sähen, sich eine Arbeit zu suchen.

In der Tat spricht der Bericht nur von einem minimalen Anstieg der Tage in bezahlter Beschäftig­ung im Vergleich zur Kontrollgr­uppe. Die Unterschie­de sind größer, wenn verschiede­ne Teilgruppe­n miteinande­r verglichen werden. Bei einem Viertel handelte es sich um Menschen, deren Mutterspra­che nicht Finnisch oder die zweite Landesspra­che Schwedisch ist. In dieser Gruppe war bei den Tagen in Lohnarbeit ein deutlicher­er Anstieg sichtbar. Das traf auch zu auf diejenigen mit Kindern im Haushalt, auf Menschen in ländlichen Gegenden sowie auf KünstlerIn­nen und Freischaff­ende. Zudem berichtete­n Bezieher des Grundeinko­mmens, dass sie mehr Freiwillig­enarbeit, Nachbarsch­aftshilfe oder Pflegearbe­it leisten konnten.

Die Aufnahme bezahlter Beschäftig­ung war kein eigentlich­es Ziel des Experiment­s. Vielmehr sollte untersucht werden, wie eine Reform des staatliche­n Wohlfahrts­systems den Veränderun­gen in der Arbeitswel­tbegegnen könnte.

Die Aussagekra­ft des finnischen Experiment­s ist begrenzt. Zur Bestreitun­g des Lebensunte­rhaltes waren die Zahlungen eindeutig zu gering. Dennoch wurden bereits positive Effekte deutlich: Die unbürokrat­ischen, voraussetz­ungslosen Leistungen führten zu einer erhebliche­n Verbesseru­ng des Wohlbefind­ens und der persönlich­en Stabilität der Begünstigt­en. In einer Umfrage eines wirtschaft­snahen Instituts sprach sich Ende 2018 gut ein Drittel der befragten Finnen für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen aus.

Nach Schätzunge­n von Experten bedrohen Automatisi­erung und Robotisier­ung in Europa bis zu ein Drittel aller Arbeitsplä­tze. Die wirtschaft­lichen Einbrüche während der Covid19-Pandemie und explosiv ansteigend­e Arbeitslos­enzahlen setzen die Debatte um eine alternativ­e Grundsiche­rung erst recht wieder auf die Tagesordnu­ng.

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