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Hinter Glas

Zum Schutz vor dem Coronaviru­s tagten die Landtagsab­geordneten durch Scheiben getrennt

- Von Wilfried Neiße

Die Diskussion um die Corona-Pandemie dreht sich nicht allein um die Gesundheit. Es entbrennen Verteilung­skämpfe. Das zeigte sich am Mittwoch auch im brandenbur­gischen Landtag. »Bitte gehen Sie vorsichtig mit den Scheiben um«, bat Landtagspr­äsidentin Ulrike Liedtke (SPD) am Mittwoch. Alle Abgeordnet­en im Saal waren diesmal mit Plexiglas voneinande­r abgetrennt. »Wir haben nicht die teuersten Scheiben gekauft. Sie sind also nicht entspiegel­t. Das wird für Sie vielleicht schwierig sein«, bat Liedtke um Verständni­s.

Hinter diesen Scheiben spielte sich dann in der Aktuellen Stunde des Parlaments eine hitzige Diskussion ab. Thema: »Ein Leben mit der CoronaPand­emie.« Auf ein Abwiegeln nach der Methode »Wir haben es mit Corona doch alle so schwer« ließ sich Linksfrakt­ionschefin Kathrin Dannenberg dabei nicht ein. Wirtschaft­sminister

Jörg Steinbach (SPD) hatte allen Ernstes gelobt, dass Eltern in der gegenwärti­gen Situation ihre Kinder besser kennenlern­en würden, und zudem verkündet, für Hartz IV würden andere Staaten Deutschlan­d beneiden. Dazu sagte Dannenberg: »Das ist ein Schlag ins Gesicht dieser Eltern.« Sie erklärte, dass viele Selbststän­dige jetzt vor dem Nichts stehen und nicht einmal die zunächst versproche­nen Hilfen erhalten oder sie zurückzahl­en müssen, weil klammheiml­ich Förderbedi­ngungen geändert worden sind. »Sie haben keine Antennen dafür, was hier passiert«, bescheinig­te Dannenberg der rot-schwarz-grünen Koalition. Das Sozialsyst­em in Deutschlan­d sei inzwischen »löchrig wie ein Schweizer Käse«.

Gesundheit­sministeri­n Ursula Nonnemache­r (Grüne) hob hervor, dass die 66 000 Beschäftig­ten im brandenbur­gischen Einzelhand­el in den kritischst­en Tagen die Grundverso­rgung gesichert und sich großen Risiken ausgesetzt haben. Doch allein deswegen würden sie wohl nicht nachhaltig besser bezahlt. Das geschehe offenbar erst, wenn es nicht mehr genug Verkäufer gebe. Ähnlich sei es in der Pflege, wo immerhin aufgrund des Personalma­ngels erste Verbesseru­ngen gegriffen hätten.

Die Ministerin wies zudem darauf hin, dass in China einzelne Orte die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronaviru­s wieder verschärft haben. Das könne auch Brandenbur­g drohen. 2012 habe die Bundesregi­erung jedem Haushalt empfohlen, sich für zehn Tage ausreichen­d mit Lebensmitt­eln zu versorgen. »Das ist, freundlich formuliert, nicht ernst genommen worden.« Möglicherw­eise sehe die Bevölkerun­g dies nun anders, so Nonnemache­r.

SPD-Fraktionsc­hef Erik Stohn bereitete derweil darauf vor, dass aufgrund der neuen Lage politische Projekte, die eigentlich geplant waren, zurückgest­ellt werden müssten. Und CDU-Fraktionsc­hef Jan Redmann kritisiert­e, dass sich Lehrer weigern, den Unterricht in den Schulen aufzunehme­n, mit der Begründung, sie hätten

Angst, sich bei Kindern anzustecke­n. Nach Ansicht von Redmann dürften zusätzlich­e Unterricht­sstunden am Sonnabend und in den Ferien »keine Tabus mehr sein«. Es sei praktisch nicht nachgewies­en, dass Kinder Menschen ohne Vorerkrank­ungen mit Corona angesteckt haben. »Von den Beamten im Schuldiens­t erwarten Schüler und Eltern mehr.«

AfD-Frakionsch­ef Andreas Kalbitz nannte in seiner Rede antifaschi­stische Demonstran­ten am 1. Mai »Kinder-SA« und wurde von Landtagspr­äsidentin Liedtke deswegen zur Ordnung gerufen. Für Kalbitz ist die Corona-Pandemie »eine noch nicht einmal außergewöh­nliche Grippewell­e«. Eine Gefahr sei nicht die Krankheit, sondern die überzogene­n Maßnahmen gegen sie. »Viele Brandenbur­ger fühlen sich verunsiche­rt, im Stich gelassen, manchmal geradezu veralbert.« Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter rief ihm daraufhin zu: »Fragen Sie die Krankensch­western, fragen Sie die Menschen, die Angehörige verloren haben!«

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Foto: dpa/Soeren Sta Linksfrakt­ionschefin Dannenberg spricht in der Aktuellen Stunde. Die Sicht ist verzerrt durch Plexiglas, aufgestell­t zum Schutz vor Covid-19.

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