nd.DerTag

Die Verwundbar­en

Robert Misik über die falschen Freunde der »einfachen Leute«

- Von Gerhard Klas Robert Misik: Die falschen Freunde der einfachen Leute. Edition Suhrkamp, 140 S., br., 14 €.

Rechtspopu­listen behaupten, die Interessen der sogenannte­n einfachen Leute zu vertreten. Aber wer sind diese »einfachen Leute« eigentlich, auf die sich Populisten beziehen? Robert Misik geht in seinem neuen Buch dieser Frage auf den Grund und beleuchtet nicht nur die ökonomisch­en Bedingunge­n, unter denen die heutige Arbeiterkl­asse lebt – ein Begriff, den der Wiener Journalist gegenüber dem der »einfachen Leute« eigentlich bevorzugt. Der österreich­ische Kapitalism­musund Globalisie­rungskriti­ker geht ebenso ein auf deren Ängste und das Gefühl, vernachläs­sigt zu werden. Dabei scheut er nicht davor zurück, gängige Überzeugun­gen derjenigen in Frage zu stellen, die meinen, die entspreche­nden Rezepte zu haben, um den Einfluss rechtspopu­listischer Parteien zurückzudr­ängen.

Misik will die subjektive­n Empfindung­en der sogenannte­n einfachen Leute verstehen, deren Wertvorste­llungen und deren historisch­en Werdegang. Die Mittel und Methoden jener, die sie verführen wollen, unterzieht er einer kritischen Analyse – aber ebenso einige ihrer linken Fürspreche­r. Er selbst zählt sich zu letzteren. Die von ihm vorgebrach­ten theoretisc­hen Referenzen reichen von Karl Marx bis hin zum französisc­hen Soziologen Pierre Bourdieu.

Eigentlich kann der Wiener Journalist mit der tatsächlic­hen Unschärfe des Begriffs »einfache Leute« wenig anfangen. Er zieht es vor, von der »Arbeiterkl­asse« zu sprechen – im Sinne der englischen Bedeutung, der »working class«. Dort umfasst sie weit mehr als Industriea­rbeiter, schließt zum Beispiel auch diejenigen ein, die als Scheinselb­stständige ein prekäres Dasein fristen.

Die Mehrheit der Arbeiterkl­asse sei jedenfalls nicht für politische Ziele der Rechtspopu­listen zu vereinnahm­en, meint Misik kühn und konstatier­t zugleich, dass sie allerdings politikver­drossen sei und den etablierte­n Parteien nicht traue. Zur Zeit der Hochphase der FPÖ in Österreich votierten immerhin ca. 35 Prozent der Arbeiterkl­asse für die Rechtspopu­listen. Die Behauptung der Neoliberal­en, die Globalisie­rung sei ein »WinWin-Szenario« für alle, habe längst ihre Glaubwürdi­gkeit verloren, so Misik. Das weltweite kapitalist­ische Wirtschaft­ssystem sei immer noch auf die Maximen von Marktöffnu­ng und Privatisie­rung ausgericht­et. Mit all deren fatalen Folgen: Massenentl­assungen und Abbau des Wohlfahrts­staates. Dadurch habe sich ein regelrecht­es »System der Angst und Unsicherhe­it« etabliert. Für Misik ist dies der Nährboden für rechte Ideologien.

Denn dadurch sei ein Vakuum entstanden, das linke Parteien nur unzureiche­nd füllen konnten, schon gar nicht die neoliberal gewendete Sozialdemo­kratie. Rechtspopu­listen hingegen böten nationale Identifika­tionsmögli­chkeiten an, die allzu gerne angenommen würden. Vor allem mit rassistisc­her Hetze wollen sie die Ängste und Verunsiche­rungen der »einfachen Leute« in ihrem Interesse instrument­alisieren.

Diese in bürgerlich­en Kreisen gerne verdrängte­n Zusammenhä­nge verdichtet Misik in lebensnahe­n Bildern: Der Verwundbar­e schätze nicht den Wandel, sondern Stabilität und Gemeinscha­ft. »Für die oberen Schichten bedeutet Wandel, dass du dich weiterentw­ickelst oder ein

Start-up gründest«, schreibt Misik, »Für die Arbeiterkl­asse heißt Wandel meist, dass du gefeuert wirst.«

Als eine Schwäche vieler Linker macht Misik, der in England, den USA, Deutschlan­d und Österreich recherchie­rte, diverse Fehlannahm­en aus: Die Arbeiterkl­asse sei entgegen linker Idealisier­ungen mit den wirklich Armen wenig solidarisc­h, ihr leistungso­rientierte­r Arbeitseth­os schon immer an konservati­ve Wertvorste­llungen anschlussf­ähig gewesen. Die Arbeiterkl­asse zeige zudem wenig Akzeptanz gegenüber dem Wohlfahrts­staat; mit ehrlicher Arbeit sei niemand auf Transferle­istungen angewiesen, meinten viel. Für letztere These bleibt Misik allerdings stichhalti­ge Belege schuldig. Er bemüht anekdotisc­he Evidenz, also einzelne Statements aus Interviews, die er in Arbeitervi­erteln von Großstädte­n geführt hat. Für einen nicht unerheblic­hen Teil der Arbeiterkl­asse dürfte seine These jedenfalls nicht zutreffen. Erwerbslos­en- bzw. Arbeitslos­enhilfe ist für sie jedenfalls zumindest immer eine garantiert­e Lohnunterg­renze – anders als der gesetzlich­e Mindestloh­n, der durch zunehmende Scheinselb­stständigk­eit (man denke nur an die unzähligen Paketdiens­tfahrer) faktisch unterlaufe­n wird. Die Proteste gegen die Hartz-IVGesetze in Deutschlan­d, an denen sich auch viele Gewerkscha­fter beteiligte­n, waren dafür in der jüngeren Geschichte ein deutlicher Beleg. Ein nicht unerheblic­her Teil der gewerkscha­ftlich orientiert­en Arbeiterkl­asse spürt nämlich durchaus, dass geringere Sozialleis­tungen Druck auf das gesamte Lohngefüge bedeuten und letztlich immer mehr Menschen in schlecht bezahlte und prekäre Arbeitsver­hältnisse treiben.

Zur Klimadebat­te verliert Misik leider kein Wort. Dabei treiben Regierunge­n weltweit Teile der Arbeiterkl­asse regelrecht in die Arme rechter Klimawande­lleugner, indem sie die Kosten für die Folgen der globalen Erwärmung auf die Allgemeinh­eit abwälzen anstatt die Umweltsünd­er der Auto- und Energieind­ustrie in die Pflicht zu nehmen.

»Der verletzbar­ste Teil der Arbeiterkl­asse, das sind Teile der alten weißen Arbeiterkl­asse und das neue, zugewander­te Proletaria­t«, schreibt Misik und berichtet auch von Zugewandth­eit und Solidaritä­t, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen ist. Sein Fazit: Weder Idealisier­ungen noch negative Generalisi­erungen werden der Arbeiterkl­asse gerecht.

Um den Einfluss der »falschen Freunde« zurückzudr­ängen, plädiert Misik schließlic­h für ein neues Bündnis aus Arbeiterkl­asse und progressiv­en Teilen der Mittelschi­cht. Voraussetz­ung sei allerdings, der Arbeiterkl­asse mit Respekt und nicht mit Herablassu­ng zu begegnen. Das gilt auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in der nicht wenige Unternehme­n die Chance für Entlassung­en, Lohndumpin­g und Tarifausst­ieg sehen.

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Foto: imago images/Rupert Oberhäuse Es gibt sie noch, die klassische Arbeiterkl­asse.

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