nd.DerTag

Verfassung­sschutz?

- Aus dem Vorwort des von Cornelia Kerth und Martin Kutscha herausgege­benen Bandes »Was heißt hier eigentlich Verfassung­sschutz? Ein Geheimdien­st und seine Praxis« (PapyRossa, 148 S., br., 12,90 €).

Immer wenn die Medien über einen neuen Terrorakt in Deutschlan­d mit rassistisc­hem bzw. neonazisti­schem Hintergrun­d berichten, wiederholt sich dasselbe Schema, so z. B. nach dem Mordanschl­ag in Halle am 9. Oktober 2019: Während große Teile der Öffentlich­keit mit Bestürzung und Fassungslo­sigkeit reagieren, fordern Regierungs­politiker*innen vor allem mehr Personal und mehr Überwachun­gsbefugnis­se für die Verfassung­sschutzämt­er sowie eine bessere Vernetzung mit den anderen »Sicherheit­sbehörden«. Geflissent­lich ignoriert wird dabei, dass der Verfassung­sschutz beim »Kampf gegen den Rechtsextr­emismus« bisher auf ganzer Linie versagt hat, ja schlimmer noch: Statt bei der Aufklärung des terroristi­schen Netzwerkes rund um den »Nationalso­zialistisc­hen Untergrund« (NSU) und dessen über viele Jahre anhaltende Mordserie tatkräftig mitzuwirke­n, wurden die polizeilic­he Ermittlung­sarbeit gezielt behindert und die eigene Verstricku­ng in die Neonazisze­ne durch die zahlreiche­n V-Leute der »Ämter« systematis­ch vertuscht.

Auch was es mit den Verbindung­en mehrerer Verfassung­sschutzämt­er mit dem militanten »Hannibal-Komplex« auf sich hat, wirft die Frage nach der Rolle rechter Netzwerke in Teilen der Exekutive auf. Die historisch­en, politische­n und ideologisc­hen Hintergrün­de des Verhaltens unseres Inlandsgeh­eimdienste­s werden in den Beiträgen dieses Sammelband­es analysiert. Nachgewies­en wird dabei auch, dass die Verfassung­sschutzämt­er teilweise weit außerhalb des Auftrages handeln, den ihnen die Verfassung und die Fachgesetz­e zuweisen. Statt sich als »Frühwarnsy­stem« für Gefahren für die demokratis­che Verfassung­sordnung zu betätigen, überwachen sie kontinuier­lich unbescholt­ene, aber sich politisch opposition­ell engagieren­de BürgerInne­n und unterhöhle­n damit nicht zuletzt das System freier und offener demokratis­cher Willensbil­dung, die das Grundgeset­z garantiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany