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Jugendsünd­en in der bayerische­n Provinz

Max Brym erinnert sich an seine Mao-Euphorie und das Buhlen unermüdlic­her Revolution­äre

- von Hans-Gerd Öfinger Max Brym: Mao in der bayerische­n Provinz. Südwestbuc­h, 300 S., br., 15 €.

Dass der Maoismus in der alten BRD Zigtausend­e Menschen anzog, politisier­te und prägte, ist heutzutage weitgehend vergessen. Viele der Protagonis­ten von damals reden über ihre Jugend in einer K-Gruppe am liebsten gar nicht oder tun alles als »Jugendsünd­e« ab. Einige leiden noch heute an Berufsverb­oten, die ihre Lebensplan­ung beeinträch­tigten. Andere haben im politische­n Establishm­ent den Aufstieg nach ganz oben geschafft, wurden Ministerpr­äsident, Minister, Abgeordnet­e oder ranghohe Funktionär­e in Parteien und parteinahe­n Stiftungen. Nur ganz wenige bekennen sich zu ihrer Biografie und werfen nicht pauschal alles über Bord, was einst im Mittelpunk­t ihres Engagement­s stand.

Zu jenen gehört der Münchner Max Brym, der jetzt mit dem Buch »Mao in der bayerische­n Provinz« eine politische Biografie veröffentl­icht hat. Er versetzt die Leserschaf­t in einem Zeitsprung zurück in die aufgewühlt­en 1970/80er Jahre und vermittelt spannende Einblicke in das unermüdlic­he Buhlen junger Revolution­äre um die Gunst der Arbeiterkl­asse. Faksimiles dokumentie­ren Publikatio­nen und Betriebsze­itungen, die wie warme Semmeln weggingen und auch Skandale auslösten.

Schauplatz ist das südöstlich­e Oberbayern, wo sich die Landkreise Altötting und Mühldorf vom Bauernland zu einer Industrier­egion entwickelt­en und trotz CSU-Dominanz auch starke Bastionen von SPD und Gewerkscha­ften aufwiesen. Als Sohn eines jüdischstä­mmigen Textilhänd­lers und von seinen Erfahrunge­n traumatisi­erten Holocaust-Überlebend­en war der 1957 geborene junge Brym sensibel und offen für radikale Gesellscha­ftskritik und revolution­äre Ideen. Die 1968 ausgelöste Aufbruchst­immung schlug sich bald auch in den hintersten Winkeln der Republik nieder. Nach der Auflösung von Rudi Dutsches SDS 1970 bildeten sich erste K-Gruppen.

So wurde Brym als Teenager rasch vom Maoismus angezogen, der damals oberflächl­ich radikaler und frischer wirkte als die sich auf eine bieder wirkende Führung in der Sowjetunio­n und DDR beziehende kommunisti­sche Bewegung in der BRD. China und Albanien lagen weit weg. Chinas Parteichef Mao Tse Tung und seine »Kulturrevo­lution« erschienen so

scheinbar unbürokrat­isch, rebellisch und revolution­är. Selbst der Fußballer Paul Breitner vom 1. FC Bayern München outete sich als Leser der »Peking-Rundschau«. Das Blättchen wurde ebenso wie die »Mao-Fibel« von der Bonner Botschaft der Volksrepub­lik China frei Haus geliefert. Auch wenn der westdeutsc­he Maoismus damals viele sektiereri­sche Spaltungen erfuhr und 1975 das Foto vom Händedruck zwischen CSU-Chef

Franz Josef Strauß und einem greisen Mao im Jahre 1975 bei manchen Anhängern erste Zweifel nährte, tat dies dem Vordringen des Maoismus zunächst keinen Abbruch.

Bryms Organisati­on »Arbeiterbu­nd« warb um sozialdemo­kratische Arbeiter und versuchte im Sinne einer Einheitsfr­onttaktik mit Parolen wie »SPD wählen, KPD aufbauen« das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrun­d zu stellen. Das förderte bei linken SPD-Mitglieder­n Sympathie und lieferte wertvolles Insiderwis­sen. Örtliche SPD-Größen verboten ihrem Nachwuchs, sich »Sozialiste­n« zu nennen und drängten manches kritische Mitglied raus. Der unter großen Opfern mit Schreibmas­chine, Tipp-Ex und Pritt-Stift erstellte »Rote Landbote« und Extrablätt­er entlarvten Misstände in Betrieben vom fehlenden Klodeckel bis zum illegalen Waffenhand­el.

Ein Echo fanden die jungen Maoisten auch bei Arbeitern im Bundesbahn-Betriebswe­rk Mühldorf am Inn. Dort setzte ein Dienststel­lenleiter illegal ihm untergeben­e Arbeiter und

Material aus dem Werk für den Bau eines privaten Wohnhauses ein. Der »Rote Eisenbahne­r« machte dies publik und trug zur Verhaftung des korrupten Beamten bei. Aus jener Zeit hat sich Brym die Freundscha­ft zu Ernst Tuppen erhalten, der als Arbeiter, SPD-Mitglied, Gewerkscha­fter und Personalra­t eine treibende Kraft im Betriebswe­rk war und sich heute noch mit 84 für Die Linke und marxistisc­he Ideen engagiert. Beide haben längst mit Maoismus und Stalinismu­s gebrochen und marschiert­en jüngst unter dem Motto »Heraus zum 1. Mai« Corona-konform gemeinsam durch München.

»Nicht alles, was wir damals taten, war falsch«, blickt Brym auf eine wilde Jugend zurück, in der ihm auch nichts Menschlich­es fremd war. »Aber wir haben uns etwas vorgemacht, als wir den Zuspruch für unsere Betriebsze­itungen als Sympathiee­rklärungen für Mao und Albanien deuteten.«

»Nicht alles, was wir damals taten, war falsch.«

Max Brym

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