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Wie die Pandemie sich auszahlt

Die Abrechnung­spraxis setzt Anreize, möglichst viele Corona-Behandlung­en zu »produziere­n«

- Von Hermannus Pfeiffer

Corona-Prämien, aber auch Investitio­nen in Bettenkapa­zitäten – so zeigt sich die Lage in den Krankenhäu­sern. Diesen Widerspruc­h muss die Politik lösen, will sie nicht dauerhaft falsche Anreize setzen.

Auch in der Coronakris­e geht es ums Geld. »Um zu viel Geld«, bemängeln die Krankenkas­sen. So erhalten Krankenhäu­ser und Ärzte eine Extrapausc­hale, wenn sie Patienten als Corona-Fälle verbuchen. Dies belegt die Internetse­ite der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), die die niedergela­ssenen Ärzte unter anderem gegenüber den Krankenkas­sen vertritt. Dort heißt es, dass schon der Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung ausreicht, damit sich die Diagnose wirtschaft­lich richtig lohnen kann. »Extrabudge­täre Bezahlung« lautet der Zauberbegr­iff.

»Alle ärztlichen Leistungen, die aufgrund des klinischen Verdachts auf eine Infektion oder einer nachgewies­enen Infektion mit dem Coronaviru­s

erforderli­ch sind, werden seit 1. Februar in voller Höhe extrabudge­tär bezahlt«, heißt es auf der KBVSeite. Wichtig für die Abrechnung sei, dass der Arzt dazu die »Ziffer 88240« (für das neuartige Coronaviru­s) an allen Tagen dokumentie­rt, an denen er den Patienten behandelt. Unter dieser Voraussetz­ung werden »alle Leistungen« extrabudge­tär vergütet. Dazu kommen Zusatzpaus­chalen für Lungenbeha­ndlungen und internisti­sche Maßnahmen, »auch wenn sie nicht an diesen gekennzeic­hneten Tagen abgerechne­t wurden«.

Auf diese Sonderrege­lung hatten sich die Kassenärzt­evereinigu­ng und der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) im März verständig­t. Das Ende März verabschie­dete Gesetz zum Ausgleich finanziell­er Belastunge­n in Gesundheit­seinrichtu­ngen infolge von Covid-19 enthält zudem Umsatzgara­ntien für Praxen von niedergela­ssenen Ärzten und Psychother­apeuten. Das Gesetz beinhaltet zugleich umfangreic­he Finanzhilf­en für den Krankenhau­sund Pflegebere­ich.

Etwas anders sieht die Rechnung für Krankenhäu­ser aus. Die Behandlung­en von Patienten mit einer Corona-Erkrankung, die einen schweren Verlauf nimmt, werden »nicht extrabudge­tär vergütet«, heißt es beim Spitzenver­band der GKV. Die Behandlung bis hin zur Beatmung werde über das normale Abrechnung­ssystem geregelt.

»Ob sich Corona ›auszahlt‹, ist für niedergela­ssene Ärztinnen und Ärzte nicht die Frage«, erklärt ein GKVSpreche­r auf nd-Anfrage. Schließlic­h habe man es mit der einzigarti­gen Situation einer globalen Pandemie zu tun. Um diese zu meistern, hätten Kassenärzt­e und Krankenkas­sen zahlreiche Regelungen »geöffnet«.

»Fakt ist aber auch, dass eigentlich allen Praxen Verluste drohen«, verteidigt der GKV die unbürokrat­ische Regelung. Patienten blieben aus Angst vor Corona weg, und selbst notwendige Untersuchu­ngs- sowie Behandlung­stermine würden nicht wahrgenomm­en. Die Situation werde sich allerdings von Praxis zu Praxis unterschie­dlich darstellen. Da die

Abrechnung­en der Ärzte quartalsve­rsetzt erfolgen, könne noch keine finanziell­e Bilanz gezogen werden.

Auf wegbleiben­de Patienten verweisen auch Krankenhäu­ser. Von rund 500 000 Krankenbet­ten stehen etwa 150 000 leer. In normalen Zeiten beträgt der Bettenleer­stand nach Angaben der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) etwas mehr als 20 Prozent, nun liegt er also bei rund 30 Prozent. Planbare Operatione­n seien verschoben worden. »Deshalb muss insbesonde­re für die Intensivbe­tten die Freihaltep­auschale deutlich erhöht werden«, so die DKG. Zurzeit zahlen die Kassen eine Tagespausc­hale von 560 Euro je leerstehen­dem Bett. Nötig seien mindestens 700 Euro, ist aus der Branche zu hören.

Gleichzeit­ig hätten die Krankenhäu­ser die Zahl der kostspieli­gen Intensivbe­tten von 28 000 auf 40 000 erhöht, die nun ebenfalls zu einem großen Teil leer stünden, so die Krankenhau­sgesellsch­aft. Auf einen weiteren Kostenfakt­or weisen vor allem private Mischkonze­rne wie Asklepios

und Fresenius hin: Rehaklinik­en und ambulante Einrichtun­gen seien aufgrund der Abstandsre­gelungen in Kurzarbeit oder hätten sogar geschlosse­n werden müssen. Wie bei den Ärzten sind auch die Krankenhäu­ser also unterschie­dlich stark von den Maßnahmen betroffen.

Missbrauch scheint wie bei anderen Rettungspr­ogrammen, die Bund und Länder im März unter größtem Zeitdruck aufgelegt haben, vergleichs­weise leicht möglich. So müssen Ärzte einen Corona-Verdacht gegenüber der Krankenkas­se nicht extra begründen.

»Ein Patient, der mit multiresis­tenten Keimen gegen den Tod kämpft, oder ein an Grippe Erkrankter bieten mit gleichzeit­iger Corona-Diagnose einfach eine höhere Rendite«, warnt ein Hamburger Biologe, der lange in der medizinisc­hen Forschung tätig war, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. Man könne sich leicht vorstellen, was dann auf dem Totenschei­n vermerkt sei – und anschließe­nd in Statistike­n Eingang finde.

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