nd.DerTag

Zeit ist Geld

- Stephan Kaufmann

Sparfüchse kennen das gute Gefühl, ein Schnäppche­n gemacht zu haben. Wer Socken für 5 Euro kauft und sie an anderer Stelle zum Preis von 8 Euro findet, hat schnell das Gefühl, 3 Euro verdient zu haben. Das stimmt zwar nicht – man hat nicht 3 Euro verdient, sondern nur 3 Euro weniger ausgegeben. Dennoch fühlt man sich beschenkt. Quelle dieses Gefühls ist der Vergleich: Hätte man die Socken zu 8 Euro gekauft, wäre man um 3 Euro ärmer.

Nach der gleichen Logik, nur umgedreht, werden die Unternehme­n derzeit durch das Coronaviru­s beraubt. Der Stillstand des Geschäfts, errechnen Ökonomen, kostet sie Hunderte von Milliarden Euro, weswegen der Lockdown jetzt trotz Virus schnell gelockert werden muss. Worin bestehen die »Kosten«, wenn ein Betrieb geschlosse­n ist? Vor allem in entgangene­n Einnahmen. Da Umsatz und Gewinn Ziel und Maßstab kapitalist­ischer Unternehme­n sind, zählt für sie jede verpasste Einnahme als Verlust. Dieser Verlust ergibt sich durch den Vergleich der aktuellen Einnahmen mit denen, die man hätte machen können.

Hätte, hätte, Fahrradket­te – damit will sich ein kapitalist­ischer Unternehme­r nicht trösten. Niedrige Gewinne sind für ihn schlicht zu teuer. Diese Logik zeigt sich auch in einer Studie von Ökonomen der US-Universitä­ten Yale, Michigan und New York. Sie untersucht­en, wie sich die Veränderun­g der Nachfrage nach Produkten von Unternehme­n auf deren Arbeitspla­tzsicherhe­it auswirkt. Untersuchu­ngsobjekt war der US-Bergbausek­tor. Ihr Ergebnis: Höhere Metallprei­se, also gute Geschäftsl­age, führten zu vermehrten Unfällen und Verstößen gegen Arbeitssch­utzverordn­ungen. Ein einprozent­iger Anstieg der Rohstoffno­tierungen zog im Durchschni­tt 0,15 Prozent mehr Verletzung­en und Krankheite­n nach sich. Ähnliches zeigen andere Studien, die einen Anstieg der Unfallrate­n bei ansteigend­en Gewinn-Erwartunge­n der Anleger festgestel­lt haben.

Das ist eigentlich überrasche­nd. Denn wenn das Geschäft gut läuft, könnte man denken, dass Geld für verstärkte­n Arbeitssch­utz da ist; also müssten die Unfallrate­n sinken. Dass es andersheru­m ist, liegt daran, dass Unternehme­n entgangene Gewinne als Kosten kalkuliere­n. Im konkreten Fall: Steigen die Metallprei­se an den Rohstoffbö­rsen, lohnt sich der Abbau mehr. Das Unternehme­n erhöht daher die Produktion, um die Gunst der Stunde zu nutzen – und vernachläs­sigt den Arbeitssch­utz, der Produktion­szeit kostet, etwa durch den Austausch von altem Equipment, durch Kontrollen oder das Training der Beschäftig­ten. Denn all das verzögert den lukrativen Abbau, wodurch dem Unternehme­n Einnahmen entgehen, also Kosten entstehen. Und diese Kosten steigen, je rentabler die Arbeit ist.

Im Kapitalism­us ist Zeit Geld – und das kann auch in Corona-Zeiten Leben kosten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany