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Kein Burger auf der Speisekart­e

Corona in der US-Fleischbra­nche: Wegen Infektione­n in Schlachtbe­trieben wird weniger Fleisch produziert – und die Preise steigen.

- Von John Dyer, Boston

Fast-Food-Ketten in den USA streichen derzeit Hamburger aus ihren Menüs. Supermärkt­e schränken den Fleischver­kauf ein, Restaurant­s haben die Preise für Steaks stark angehoben. Im Land des Fleischkon­sums ist das Fleisch knapp, was auf Probleme in der Lieferkett­e zurückzufü­hren ist.

Die großen Lebensmitt­elverarbei­ter kämpfen um die Befriedigu­ng der Nachfrage, da sich das Coronaviru­s unter den Beschäftig­ten in ihren Betrieben, die auf engstem Raum zusammen arbeiten, wie ein Lauffeuer ausbreitet. »Ich wachte etwa um 2 Uhr morgens mit diesem Schmerz in meinem Körper auf, der sich anfühlt, als hätte jemand auf mich eingestoch­en«, berichtete Achut Deng, Mitglied der Branchenge­werkschaft United Food and

Commercial Workers Internatio­nal Union. Als er duschen wollte, »fühlte es sich an, als ob ein Haufen Steine auf meinen Körper geworfen würde«.

Deng, Einwandere­r aus dem Sudan, war einer von 800 Arbeitern in einer Smithfield-Anlage in Sioux Falls im Bundesstaa­t South Dakota, die sich mit dem neuartigen Coronaviru­s infizierte­n. Das Werk produziert etwa fünf Prozent des Schweinefl­eischs in den USA. Als Gouverneur Kristi Noem, ein Republikan­er, das Werk schließen wollte, ordnete sein Parteifreu­nd, Präsident Donald Trump, an, die Fabrik offenzuhal­ten, um die Versorgung zu stabilisie­ren.

Mehr als 5000 Arbeiter in Fleischver­arbeitungs­betrieben haben sich nach jetzigem Stand mit dem Virus infiziert. Etwa 20 sind gestorben. Arbeitsnie­derlegunge­n und 22 Betriebssc­hließungen in den vergangene­n Wochen haben allein die Rindfleisc­hproduktio­n nach Gewerkscha­ftsangaben um rund zehn Prozent verringert.

»Stellen Sie sich diese Betriebe, die zusammen etwa 3000 Beschäftig­te haben, wie ein Kreuzfahrt­schiff vor«, sagte der für öffentlich­e Gesundheit zuständige Kommissar Norman Oliver aus Virginia. »Was passiert, ist, dass jeden Tag ein Kreuzfahrt­schiff mit Hunderten von Covid-19-Patienten von Bord geht.«

Als Ergebnis der Lieferprob­leme sind die Rindfleisc­hpreise laut den jüngsten verfügbare­n Daten des US Bureau of Labor Statistics im März um mehr als sieben Prozent angestiege­n. Das trifft Geringverd­iener hart: »Alles ist teurer, vor allem aber Fleisch«, sagte Bolivien Alulema, eine Hausfrau in New Jersey, die mit ihrem Mann, zwei Töchtern und vier Enkeln lebt. »Irgendjema­nd wird etwas unternehme­n müssen. Wir können nicht weiterhin so viel ausgeben.«

Die beliebte Fast-Food-Kette Wendy’s, die in mehr als 1000 Filialen landesweit frische Rindfleisc­hpasteten für ihre Burger verwendet, teilte jetzt mit, dass die Kosten seit Anfang April von 0,25 Dollar pro Pfund auf 1,93 Dollar (1,79 Euro) gestiegen seien. »Es ist weithin bekannt, dass Rindfleisc­hlieferant­en in ganz Nordamerik­a derzeit mit Produktion­sproblemen konfrontie­rt sind«, so das Unternehme­n. »Unsere Speisekart­en können in einigen Restaurant­s in der gegenwärti­gen Situation vorübergeh­end eingeschrä­nkt sein.«

Die Landwirte züchten jedoch nach wie vor Rinder und anderes Vieh. Weil die Verarbeitu­ngsbetrieb­e die Tiere nicht schlachten und das Fleisch nicht verschifft werden kann, haben die Landwirte bereits Millionen von Schweinen und Hühnern eingeschlä­fert. Dass Restaurant­s im ganzen Land schließen mussten, hat auch separate Lieferkett­en unterbroch­en, die über Großhändle­r laufen, die Hauptabneh­mer mancher Bauern sind.

»Im ganzen Land können jede Woche 700 000 Schweine nicht verarbeite­t werden und müssen human eingeschlä­fert werden«, schrieb der republikan­ische Gouverneur von Iowa, Kim Reynolds, in einem Brief, in dem er Trump um finanziell­e Hilfe für die Agrarindus­trie bat.

Inzwischen hat das Unternehme­n Tyson Foods in all seinen riesigen Fleischver­packungsbe­trieben im gesamten Mittleren Westen Plastiksch­ilder zwischen den Arbeitsplä­tzen an den Fließbände­rn aufgestell­t, um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu stoppen. Gewerkscha­ftsführer sagten, solche Maßnahmen seien die bestmöglic­hen.

Gouverneur­e in republikan­isch regierten Bundesstaa­ten, in denen der Fleischsek­tor eine wichtige Rolle spielt, schmieden derweil Pläne, den Lockdown der Wirtschaft zu beenden. Auch wenn die größten Betriebe nicht wissen, ob sie weitere Ausbrüche vermeiden oder eindämmen können.

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