Die Krise radikalisiert
Hallo Moritz, die Arbeitslosigkeit in den USA steigt rapide an und wird zum wichtigen Wahlkampfthema. Also lass uns drüber reden: Wie viele Menschen sind durch Corona mittlerweile arbeitslos geworden? Im Februar lag die Arbeitslosenquote noch bei 3,6 Prozent. So niedrig war sie seit 1968 nicht mehr. Doch seitdem melden jede Woche Millionen Menschen, dass sie ihre Arbeit verloren haben. Die Quote ist auf 14,7 Prozent gestiegen. Dabei zählt das US-Arbeitsministerium all jene nicht mit, die angeben, nur vorübergehend keine Arbeit zu haben. Eigentlich sind es also rund 20 Prozent. Seit März haben 33 Millionen Amerikaner ihre Arbeit verloren.
Kann man wenigstens diesen Zahlen trauen?
Nein, es gibt eine Dunkelziffer. Die Daten erfassen nur jene, die Arbeitslosenhilfe beantragen. Für manche kommt das aber nicht infrage, weil sie vorher zu kurz gearbeitet haben oder Arbeiter ohne Papiere sind. Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass die reale Arbeitslosigkeit schon auf bis zu 25 Prozent gestiegen ist.
Das Arbeitslosengeld wurde aufgestockt. Funktioniert die Auszahlung?
Sie stottert, genau wie die 1200 Dollar Einmalzahlung, die an alle Bürger gehen sollte. Eine Freundin in North Carolina hat ihren Job in einem Restaurant verloren. Als sie versuchte, Arbeitslosengeld zu beantragen, war die Website tagelang überlastet. Das System ist nicht für diese Masse an Anträgen ausgelegt. Vergleich doch bitte mal die Zahlen mit früheren Krisen!
Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008/2009 gab es eine Arbeitslosigkeit von zehn Prozent. Da liegen die USA jetzt schon drüber. Es dauerte danach acht Jahre, um die Jobverluste wieder aufzugleichen. Zu Zeiten der großen Rezession der 30er Jahre war die Quote sogar auf 25 Prozent geklettert. Zumindest die aktuelle Dunkelziffer hat also dieses Niveau schon erreicht.
Gibt es bereits Prognosen, wann der Niedergang enden wird? Schätzungen der Zentralbank gehen davon aus, dass es bis zu 30 Prozent Arbeitslosigkeit geben könnte. Schließlich gehen die Leute nicht einfach in Restaurants, Kinos oder Konzerte, wenn die wieder offen sind. Sie haben weiter Angst, sich anzustecken. Es wird lange dauern, bis die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.
Wessen Wähler trifft es zurzeit am schlimmsten?
Eher die Basis der Demokraten. Es gehen überproportional viele Jobs in Dienstleistungsberufen verloren, wo es mehr Frauen und Angehörige von Minderheiten trifft. Im Reisesektor etwa ging knapp die Hälfte aller Jobs verloren. Auf dem Bau und in Fabriken, wo vermehrt weiße männliche Arbeiter angestellt sind, nur ungefähr zwölf Prozent. Das erklärt auch, warum die Republikaner bislang kaum Druck verspüren, weitreichende Hilfen für Betroffene zu beschließen.
Motiviert das die Demokraten zusätzlich, im November zu wählen?
Es gibt zumindest eine Grundannahme: Wenn die Wirtschaftslage schlecht ist, wird der Präsident dafür abgestraft. Das könnte jetzt wieder passieren. Auch die Krise 2008/2009 hat viele Menschen radikalisiert. Damals wurde Barack Obama erstmals zum Präsidenten gewählt. Mal sehen, ob seinem einstigen Vize Joe Biden im November die Wiederholung dieses Erfolges gelingt.
Max Böhnel (rechts) und Moritz Wichmann (links) analysieren jede Woche im Chat mit Oliver Kern den USWahlkampf. Diesmal ist Moritz dran. Der Online-Redakteur des »nd« studierte Politik und Soziologie in Berlin und New York. Ein Teil seiner Familie lebt in den USA.