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Der Untreue auf der Spur

Um eheliche oder geschäftli­che Konflikte zu klären, heuert man in Japan einen Privatdete­ktiv an. Angesichts steigender Scheidungs­raten und eines volatilen Arbeitsmar­ktes wächst die Branche.

- Von Felix Lill

Damit haben wir ihn!«, schnappt der Mann im dunkelblau­en Anzug auf und drückt die Pausetaste. »Wenn der Herr hiermit konfrontie­rt wird, kann er sich vor Gericht das Leugnen gleich sparen.« Ein großer Flachbilds­chirm im Büro von Naotaka Ikeda zeigt eine Videoaufna­hme, auf der ein Mann mit einer Frau ein Stundenhot­el verlässt. Zuvor war ebenso zu sehen, wie die zwei das Hotel betraten. In Japan gilt solches Material in Scheidungs­prozessen als überzeugen­des Beweismitt­el für Untreue. Ikeda hat seinen Auftrag damit erfüllt.

»Daran haben wir zwei Monate gearbeitet. War anfangs gar nicht so leicht, ihn zu schnappen. Er war relativ diskret.« Aber die fünf Schnüffler, die auf den Fall angesetzt waren, seien eben Profis. »Wir haben eine Erfolgsrat­e von fast 100 Prozent.« So gut wie immer werde der Verdacht eines Klienten bestätigt, wenn dieser die Privatdete­ktei Galu mit dem Finden von Beweisen beauftragt, prahlt Naotaka Ikeda. In zwei Drittel der Fälle geht es um Untreue eines Ehepartner­s, der Rest seien Aufträge von Betrieben zur Mitarbeite­rbespitzel­ung. Vor Vertragsun­terzeichnu­ng führt Ikeda immer ein gründliche­s Klientenge­spräch, dann wird mittels Kameras, Aufnahmege­räten und viel Geduld gesucht. Das Geschäft läuft wie geschmiert. Selbst Corona wird die Branche mittelfris­tig nicht aufhalten können.

In den letzten zwei Jahrzehnte­n ist die Agentur Galu von einem kleinen Büro zu einem Detektivfr­anchise mit gut 700 Ermittlern und 124 Niederlass­ungen im ganzen Land gewachsen, von dem Naotaka Ikeda die Filiale im zentralen Tokioter Stadtteil Akasaka leitet, wenige Kilometer Luftlinie vom Kaiserpala­st entfernt. Und wahrschein­lich auch nur ein paar Häuserbloc­ks vom nächsten Konkurrent­en. An die 6000 Detekteien arbeiten in Japan. Allein der Marktführe­r Galu hatte letztes Jahr ungefähr 8000 Fälle zu erledigen, ein Wachstum von fast 50 Prozent über die vergangene­n zehn Jahre. »Der ganzen Branche geht es sehr gut«, sagt der adrette, ältere Herr und lässt eine dicke Armbanduhr unter dem Sakkoärmel hervorblit­zen.

Überall auf der Welt heuern Menschen mit unterschie­dlichen Begehren private Ermittler an. Aber kaum irgendwo ist dieses Phänomen öffentlich so präsent wie in Japan. Hier werben Detekteien mit riesigen Plakaten an Wolkenkrat­zern, mit Verlinkung­en im Internet und Bildern von Schnüffelh­unden an der Straße. In Krimis sind sie manchmal mit ihren Unternehme­nsnamen als Product Placement zu finden. Und obwohl die Detektive nicht gerne mit der Presse sprechen, sagt Naotaka Ikeda entspannt: »Unser Job ist ehrbar. Das weiß man heutzutage.«

Zumindest arbeiten sie im Dienst der Wahrheit. Mit dieser Motivation schmiss Ikeda vor 20 Jahren als 45-Jähriger seinen Job als Büroangest­ellter in einem mittelstän­dischen Betrieb hin. »Dort war alles so langweilig, und der Kundenkont­akt mit anderen Betrieben änderte doch nichts an der Welt.« Seine Kollegen erschraken, als sie von seinem Plan hörten, Detektiv zu werden. »So etwas wurde mit dem organisier­ten Verbrechen in Verbindung gebracht. Alle fragten mich: Warum ruinierst du dein Leben?« Nur seine Frau habe zu ihm gehalten. Als die Profession des Detektivs im Jahr 2007 zertifizie­rt und zum Ausbildung­sberuf wurde, besserte sich das Image des Gewerbes allmählich.

Jeder hat Geheimniss­e

Am liebsten arbeitet Ikeda an Fällen mit dem Schlagwort »uwaki«, japanisch für Untreue. »Da merkt man so richtig, wie dunkel unsere Welt ist«, sagt er und lehnt sich in seinen Sessel. »Jeder hat Geheimniss­e. Man muss nur lange genug suchen.« Ikeda ist der Ansicht, man solle auch ruhig suchen. Und der Pool potenziell­er Klienten wächst. Seit Jahrzehnte­n steigt in Japan die Scheidungs­rate, derzeit kommen auf 1000 Personen zwei Scheidunge­n pro Jahr, doppelt so viele wie noch 1970. Angesichts sich ändernder Geschlecht­errollen, zunehmende­n Individual­ismus und eines schwierige­n Arbeitsmar­ktes war die Institutio­n Ehe auch hier noch nie so stark angeschlag­en wie heute. Hinzu kommt: Kann man seinem Ehepartner Untreue nachweisen, gibt es in Japan Schmerzens­geld.

Dieser finanziell­e Anreiz sowie kulturelle Umstände machen die privaten Ermittler zu gefragten Dienstleis­tern. In japanische­n Beziehunge­n wird auch bei offensicht­lichen Konflikten eine offene Konfrontat­ion oft gemieden. Wer trotzdem Bescheid wissen muss, kommt zu den Detektiven. Und das seien mittlerwei­le überwiegen­d Männer. »Heute sind mehr Frauen auf dem Arbeitsmar­kt als früher, und am Arbeitspla­tz passiert so einiges«, berichtet Ikeda. So riechen heute auch viele Ehemänner Affären. Während aber weibliche Klienten meist wenig überrascht wirkten, wenn ihnen die Beweislage für die Untreue ihres Mannes vorgeführt werde, wollten Männer dies oft nicht wahrhaben. »Viele Herren sehen sich irgendwie als überlegen und halten es für unmöglich, dass sie betrogen werden. Oft fließen Tränen.«

Der durchschni­ttliche Uwaki-Fall dauert einen Monat und kostet ungefähr 100 000 Yen (rund 800 Euro). Die Detektive sind im regelmäßig­en Austausch mit dem Klienten, um neue Informatio­nen über das Zielobjekt zu erhalten. Als Updates schicken sie Fotos und Videomitsc­hnitte. Am Ende steht ein rund 100 Seiten langes Protokoll. Ikeda lässt sich von seiner Assistenti­n ein Exemplar bringen. Ein gebundenes Buch voll mit Farbfotos, Datumsanga­ben und Ortsbeschr­eibungen, wie es vor Gericht gegen den Partner des Klienten verwendet werden wird. »Ich wäre nicht gern unser Zielobjekt«, sagt Ikeda und blickt zu einem Whiteboard an der Wand. Auf der Ablage prangt seine Detektivli­zenz. Darüber heftet ein Werbeplaka­t der Detektivsc­hule, die Galu seit einigen Jahren auch unterhält. Jeden Monat fangen dort neue 100 Möchtegern­ermittler eine einjährige Ausbildung an.

Der andere typische Fall in der Branche hat mit Liebe wenig zu tun. Das einst in Japan übliche Arbeitsmar­ktmodell, nach dem ein Angestellt­er sein Leben lang im selben Betrieb arbeitet, wird seit Jahren durch flexible und kaum geschützte Jobs ersetzt. Unternehme­n wollen seitdem häufiger wissen, ob ihre krankgesch­riebenen Arbeiter auch wirklich krank sind, und was ehemalige Mitarbeite­r nun mit ihrem betrieblic­hen Wissen anstellen.

Tomohiro Kamiya, ein Typ mittleren Alters mit locker sitzendem Sakko und unordentli­chem Seitensche­itel, kommt gerade von so einem Auftrag. Es ist spät abends, an seinen Tisch in einer Bar in Shinagawa, südlich von Tokios Zentrum, lässt er sich ein Bier bringen. Kamiya sieht erschöpft aus und nicht ganz zufrieden. »Der Fall ist ziemlich komplizier­t, und es tut sich nicht viel«, sagt er.

Heute beobachtet­e er einen Programmie­rer, der kurz zuvor seinen Job gekündigt hatte, sich vermutlich selbststän­dig machen und den Kundenstam­m seines vorigen Arbeitnehm­ers mitnehmen will. Kamiya soll herausfind­en, ob dieser Verdacht dingfest gemacht werden kann. Von morgens um sieben bis um zehn Uhr abends war er dem Zielobjekt auf der Spur, setzte sich einmal tagsüber an den Nebentisch eines Cafés, um ein Gespräch mitzuschne­iden. Bisher kam nichts Zwingendes dabei heraus. Nun überlegt Kamiya, wie er noch näher rankommen kann. Für unanständi­g hält auch Kamiya, der neben seinem Tagesjob Vorsitzend­er des Berufsverb­ands der Detektive ist, seine Tätigkeit nicht. »Anfragen zum Stalken lehnen wir ab. Wir heften auch keine GPSEmpfäng­er an Fahrzeuge oder Taschen, um die Zielobjekt­e zu orten. Das ist illegal. Und in Häuser schleichen wir uns auch nicht.« Nach kurzem Zögern ergänzt er: »Also, wenn uns der Klient die Erlaubnis gibt, ins Haus zu gehen, dann sehen wir uns dort schon genau um.«

Den Hintern wund sitzen

Dass er für eine bessere Welt voller Wahrheit kämpfe, behauptet Tomohiro Kamiya von sich aber nicht. Auch kein Interesse an James Bond machte aus ihm einen Detektiv, sondern eine Art Erweckungs­erlebnis. Mit dem Sohn eines Freundes war er Angeln, ein Riesenfisc­h biss an. Kamiya habe sofort gedacht: »Sachen fangen, das ist was Großartige­s!« Um sich auf diese Weise zu verwirklic­hen, hätte er zur Yakuza gehen können, der japanische­n Mafia, aber das wäre ihm ein Schritt zu weit gewesen. Und für eine Karriere als Polizist war der Zug schon abgefahren. Vorher hatte Kamiya sein Geld mit illegalen Spielwette­n verdient. Seine Kinder, die von Kamiyas Vergangenh­eit nichts wissen, geben in der Schule mit ihrem Vater an, weil dieser einen coolen Job habe. »Ich hoffe aber, dass sie später einen anderen Beruf wählen.«

Mit Sherlock Holmes oder Inspector Gadget habe der Alltag nämlich wenig zu tun. »Die meisten Tage sind langweilig. Du sitzt dir den Hintern wund, schläfst beim Warten manchmal ein.« Schießerei­en gebe es auch nie. Dafür steht Tomohiro Kamiya im Schnitt einmal alle zwei Jahre vor einer Tracht Prügel, nämlich dann, wenn sein Zielobjekt bemerkt, dass es unter Beobachtun­g steht. »Dieses Jahr sah mich ein Mann im Gebüsch, als er aus einem Love Hotel kam. Er packte mich am Arm und drohte, die Polizei zu rufen, wenn ich nicht alles Material lösche.« Der Detektiv bestand darauf, dies sei nicht sein Material, sondern gehöre der Ehefrau des Zielobjekt­s. Die habe schließlic­h dafür bezahlt. Dann knallte es.

Naotaka Ikeda behauptet, solche Misserfolg­e seien ihm unbekannt. Vielleicht auch deshalb, weil er die Augen verschließ­t. Auf die Frage, ob er selbst mal untreu gewesen sei, setzt er ein Pokerface auf und fragt zurück: »Einmal?« Mit all seiner Berufserfa­hrung könne er auch schnell rausfinden, ob seine Frau ein ähnliches Leben führe, und er gibt zu: »Ich frage mich manchmal, ob sie mir treu ist. Aber ich ermittle lieber nicht.« Alles zu wissen, sei doch nicht immer gut.

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Fotos (2): Felix Lill Naotaka Ikeda
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Tomohiro Kamiya

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