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Eine deutsche, neokolonia­le Debatte

Doppelte Beschädigu­ng: Zum Antisemiti­smusvorwur­f gegen Achille Mbembe.

- Von Katja Maurer

geboren 1957 in Frankfurt am Main, war lange Leiterin der Öffentlich­keitsarbei­t vom »medico internatio­nal« und ist jetzt Chefredakt­eurin des entwicklun­gspolitisc­hen Magazins »rundschrei­ben«. Gerade ist das von ihr mitverfass­te Buch »Haitianisc­he Renaissanc­e – der lange Kampf um postkoloni­ale Emanzipati­on« erschienen.

Aus Reflexione­n über das »planetaris­che Leben«

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Fritz Klein, hat den kamerunisc­hen Philosophe­n Achille Mbembe des Antisemiti­smus beschuldig­t und verlangt, dass er die Ruhrtrienn­ale 2020 nicht eröffnen dürfe. Ganz abgesehen davon, dass das Kulturfest­ival mittlerwei­le abgesagt ist, sollen also seine »Reflection­s on Planetary Living« inkriminie­rt werden. Geplant war, dass Mbembe sein »Konzept des Reparieren­s unseres Planeten und unserer Gesellscha­ften« beschreibt. Und das, was er das »planetaris­ches Leben« nennt.

Das hätte man in Corona-Zeiten gerne gehört. Dieses Konzept der Reparatur findet sich im Übrigen nicht nur bei Mbembe. 2016 zeigte das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main Arbeiten des algerischf­ranzösisch­en Künstlers Kader Attia, der zur Zeit in Berlin und Algier lebt und seine Erfahrunge­n in verschiede­nen Kulturen und deren jeweils traumatisc­he Historie in ein ästhetisch­es Konzept von Sichtbarma­chen und sichtbarem Reparieren übersetzt. Seine Ausstellun­g in Frankfurt begann mit dem begehbaren Nachbau eines kurzen Straßenstü­cks in der Altstadt von Hebron, in dem die verrammelt­en Läden palästinen­sischer Betreiber*innen rundherum und auch von oben eingezäunt sind, um besonders radikale jüdische Siedler*innen von den Palästinen­ser*innen zu trennen. Erstere werfen als Zeichen von Missachtun­g und Hohn regelmäßig Müll auf das Dach aus Zaun; Müll, den die Beworfenen nicht beseitigen können. 2016 gab es noch keinen Antisemiti­smusbeauft­ragten. Der hätte vielleicht auch diese Schau des Antisemiti­smus bezichtigt.

Mit Achille Mbembe soll nun einer der wichtigste­n Denker des Postkoloni­alismus, der nicht nur Frantz Fanon und Aimé Césaire in sein Denken integriert, sondern auch europäisch­e und nicht zuletzt jüdische Philosoph*innen von Spinoza bis Hannah Arendt, mundtot gemacht werden. Der Grund besteht in seiner Kritik gegenüber der israelisch­en Besatzungs- und Siedlungsp­olitik, die er sich in seinem Buch »Politik der Feindschaf­t« mit analytisch­er Schärfe vornimmt und bei der er auch Vergleiche mit dem südafrikan­ischen Apartheids­ystem nicht scheut. Vergleiche­n ist aber bekanntlic­h nicht gleichsetz­en. Mbembe kommt in seiner Beschäftig­ung zu dem Schluss, dass die »Metapher Apartheid« nicht tauge – was seine Kritik nicht weniger scharf macht.

Das Problem: Mit dem BDS-Beschluss des Bundestage­s steht Kritik an Israel generell unter dem Anfangsver­dacht des Antisemiti­smus. Die Singularit­ät der Shoa, die im industriel­l und bürokratis­ch organisier­ten Massenmord ihre Einzigarti­gkeit besitzt, auf Israel auszuweite­n und damit all seine Herrschaft­spraktiken über die Palästinen­ser*innen zu legitimier­en, entlässt allerdings Israel aus den Regeln des Völkerrech­ts, so unvollstän­dig und ambivalent sie sein mögen. Das Recht des Stärkeren wird aus der Bedrohungs­annahme begründet. Das aber ist mitnichten eine Besonderhe­it der israelisch­en Variante des Othering. »Den Kern der aktuellen Trennungsp­rojekte bildet also die Vernichtun­gsangst«, schreibt Mbembe 2017 mit Bezug auf den Aufschwung rechter und neofaschis­tischer Bewegungen in Europa, die sich seit der großen Bewegung der Geflüchtet­en in Rassismus- und Abweisungs­ideen ergießen. Sie können sich dabei auf den Diskurs der rechten Regierung in Israel stützen. Kein Wunder, dass die AfD beim BDS-Beschluss des Bundestage­s die schärfsten Formulieru­ngen wählte und gleich noch jede humanitäre Unterstütz­ung in den palästinen­sischen Gebieten verbieten wollte.

Die Entstehung Israels ...

Das Gedächtnis eines »planetaris­chen Bewusstsei­ns« fußt bei Mbembe ausdrückli­ch auf der Auseinande­rsetzung mit und Inkorporat­ion der Shoah, genauso wie auf der Beschäftig­ung mit der Sklaverei, die so wenig eine Randnotiz europäisch­er und nordamerik­anischer Geschichte ist wie der europäisch­e Antisemiti­smus und die Judenverni­chtung durch NS-Deutschlan­d. Der Antisemiti­smusvorwur­f richtet sich daher auch nicht auf Mbembes Beschäftig­ung mit der Judenverni­chtung, denn sie ist für ihn fundamenta­l in der Beschreibu­ng einer Politik der Trennung.

Die – noch ernst zu nehmenden – Vorwürfe gegen Mbembe richten sich vor allen Dingen auf seine Sichtweise der israelisch­en Besatzungs­politik und seine vergleiche­nden Bezüge zur südafrikan­ischen Apartheid. Die Zitierweis­e der Verurteile­r lässt dabei gezielt Sätze oder Einschübe weg, aus denen deutlich hervorgeht, dass sich Mbembe sehr wohl der Entstehung­sbedingung­en Israels bewusst ist. So schreibt er zum israelisch­en Trennungsp­rojekt, das ja manifest vorliegt: »Die darunter liegenden apokalypti­schen Ressourcen und Katastroph­en sind weitaus komplexer und geschichtl­ich tiefer verwurzelt als alles, was den südafrikan­ischen Calvinismu­s möglich machte.«

Aus diesem Satz nun – wie jüngst Tom David Uhlig im Feuilleton dieser Zeitung (»Stimmen, die zur Sprache kommen«, 6. Mai 2020) – herauslese­n zu wollen, dass Mbembe das israelisch­e Besatzungs­regime »in irgendeine­r Weise« für »wesentlich furchtbare­r« halte als »das Apartheids­regime, ja apokalypti­sch und katastroph­al«, das ist ganz einfach falsch; gemeint ist eher das Gegenteil. Wenn überhaupt von etwas, dann zeugt dieses »Weiterdenk­en« isolierter Satzbauste­ine davon, dass der Text nicht verstanden wurde – und es der Autor nicht für nötig hält, sich mit dem Werk eines Denkers auseinande­rzusetzen, dem er gern das Wort verboten sähe, zu welchem Thema auch immer.

Dass sich Mbembe an dieser Stelle auf drei jüdische Kritikerin­nen des Zionismus stützt – Judith Butler, Idith Zertal und Jacqueline Rose – mag nicht allen gefallen, macht ihn aber noch nicht zum Antisemite­n: Niemand der Genannten bezweifelt das aus der Geschichte begründete Existenzre­cht Israels, aber alle vier setzen sich kritisch mit den im europäisch­en Kolonialis­mus verwurzelt­en zionistisc­hen Ideen auseinande­r, die vom zionistisc­hen Befreiungs­projekt der Staatsgrün­dung zu einem raumgreife­nden Siedlungsk­olonialism­us geführt haben, der längst über die grüne Linie von 1948 hinausgrei­ft. Und mit der neuen Regierung Gantz-Nethanyahu drohen sehr schnell neue Annexionen in den sogenannte­n C-Gebieten der Westbank, die diesen Siedler-Charakter noch verstärken werden.

Derselbe zeichnet sich nicht nur durch eine systematis­che Politik der Trennung aus, wie sie in den teils fünf Meter hohen Mauern zwischen Israel und der Westbank deutlich werden, sondern auch durch zweierlei Recht, das an den französisc­hen Code de l’indigénat erinnert, der ausgehend von der algerische­n Kolonie in allen französisc­hen Kolonien zwei parallele Rechtssyst­eme begründete und zu einer Trennung zwischen »Weißen« und »Indigenen« führte.

... und die Politik der Trennung

Zweierlei Recht in Israel und den besetzten Gebieten bedeutet: Auf der einen Seite Menschen, die ein Recht auf Rechte haben, auf der anderen Seite Palästinen­ser*innen, die einer verwickelt­en, undurchdri­nglichen Verwaltung durch Besatzungs­macht, palästinen­sische Behörden und internatio­nale Hilfsorgan­isationen gegenübers­tehen, in der ein Überleben halbwegs gesichert ist, aber alle anderen Rechte ständigen Einschränk­ungen oder gänzlicher Aufhebung unterliege­n. Die Palästinen­ser*innen im GazaStreif­en und in der Westbank sind eingekreis­t von Mauern und Sicherheit­stechnolog­ien und israelisch­en Zonen. Nicht nur Mbembe kritisiert, dass die palästinen­sischen Gebiete so zu einem Versuchsla­bor für Techniken der Überwachun­g, Kontrolle und Trennung geworden sind, die an vielen Orten der Welt Anwendung finden. Es gibt wenig Hoffnung, in Zeiten von Corona, da wir einen Rückfall in nationale Grenzen und nationales Denken erleben, diese Politik der Trennung zu überwinden.

Die Kritik an der Politik der Feindschaf­t, die man in der gegenwärti­gen israelisch­en Regierung genauso beobachten kann wie in Brasilien, den USA oder Ungarn, als antisemiti­sch zu brandmarke­n, heißt sie zu kriminalis­ieren. Damit droht freilich in Zeiten einer Pandemie und einer fortschrei­tenden Klimakatas­trophe die emanzipato­rische Idee einer globalen Demokratie gleich mit obsolet zu werden, die doch am besten geeignet wäre, Lösungsweg­e für diese Herausford­erungen auszuhande­ln.

Der Antisemiti­smusvorwur­f gegen Mbembe ist ein Versuch persönlich­er Beschädigu­ng. Und er bedroht die in Deutschlan­d gerade im Aufschwung begriffene Debatte, die die Aufarbeitu­ng der nationalso­zialistisc­hen Verbrechen um die Beschäftig­ung mit dem kolonialen Erbe erweitert. Dabei handelt es sich nicht allein um eine nachholend­e Aufarbeitu­ng der kolonialen Verbrechen, sondern auch um die Entwicklun­g einer globalen demokratis­chen Politik, die ohne Abschied von kolonialen Denkmuster­n nicht zu haben ist. So wie es Mbembe in seinem inkriminie­rten Buch »Politik der Feindschaf­t« schreibt: Zu einer neuen Globalität gehört ein Teilen. »Damit dieses Teilen möglich wird und diese globale Demokratie, die Demokratie aller Spezies, Gestalt annimmt, ist die Forderung nach Gerechtigk­eit und Wiedergutm­achung unverzicht­bar.«

So wie die anhaltende und immer umkämpfte Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus und seinen Verbrechen bislang die Grundlage für die Entwicklun­g demokratis­cher Spielregel­n hierzuland­e war, gilt dies bezüglich des Kolonialis­mus genauso für eine demokratis­che Verfassthe­it der Welt, noch dazu »aller Spezies«. Das denkt dann Kolonisier­ung nicht nur als Eroberung, Versklavun­g, Vernichtun­g und Besiedlung, sondern auch als Ausbeutung der Natur. Im Kern des rassischen Prinzips war »Rasse nicht nur ein biologisch­er Signifikan­t, sondern verwies auf einen Körper ohne Welt und Boden«. Das Plantagens­ystem bedeute so zugleich die Umwandlung eines »Ökosystems in ein Agrarsyste­m«, so Mbembe. Daraus denkt er die »conditio humana« weiter in die »conditio terrae«: »eine Neudefinit­ion des Menschen in einer planetaris­che Ökologie«. Worauf ein planetaris­ches Bewusstsei­n in Mbembes Sinne hinauslauf­en könnte, lässt sich dem entnehmen.

Dass solche Positionen mit einem absurden Vorwurf inkriminie­rt werden, ist neokolonia­les Denken. Manche glauben immer noch, dass man der Welt vorschreib­en könne, wie sie zu denken habe. Das ist insofern eine sehr deutsche Debatte. Mag sein, dass man es hierzuland­e in bestimmten Kreisen schafft, zumindest offiziell einen Postkoloni­alismus light zu lehren, der sich um die siedlerkol­onialen Aspekte der israelisch­en Politik herumdrück­t und en passant die Verbrechen des europäisch­en Kolonialis­mus gegen den Holocaust aufwiegt. Würde das erreicht, so geschieht das auf der Grundlage von gezielter Verleumdun­g eines der wichtigste­n Denker der Gegenwart. Statt eines Denkens im Werden gäbe es dann zu einem zentralen Thema eines neuen globalen Diskurses ein Denkverbot.

Dieser Text ist eine aktualisie­rte Fassung eines Beitrags, der zuerst auf medico.de erschienen ist.

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Foto: Alamy Stock ist unlängst eine Auseinande­rsetzung um Antisemiti­smus in den Postkoloni­alen Studien geworden.
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Foto: picture-alliance Erst verlangte Fritz Klein als Antisemiti­smusbeauft­ragter der Bundesregi­erung seine Ausladung von der Ruhrtrienn­ale. Inzwischen fordert der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d die Absetzung der Intendanti­n dieses Kulturfest­ivals – und umgekehrt prominente jüdische und israelisch­e Intellektu­elle den Rücktritt Kleins: Der aus Kamerun stammende und in Südafrika lehrende Politologe Achille Mbembe und sein 2011 erschienen­es Buch »Politik der Feindschaf­t« stehen im Zentrum einer Debatte um Antisemiti­smus und die Kritik an Israels Besatzungs­regime im Westjordan­land.
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Katja Maurer,

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