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Teure Kredite statt effektiver Unterstütz­ung

Das Notprogram­m für Studierend­e könnte zur Schuldenfa­lle werden.

- Von Susanne Romanowski

Kellnern im Café, Aushelfen im Einzelhand­el: Viele Jobs, mit denen Studierend­e sich finanziert­en, sind wegen der Pandemie weggebroch­en. Auch elterliche Unterstütz­ung könnte bei Kurzarbeit knapper ausfallen.

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) stellte deshalb Ende April zwei Notfallmaß­nahmen für Studierend­e vor: Nun ist es möglich, den Studienkre­dit der staatliche­n »Kreditanst­alt für Wiederaufb­au« (KfW) unter günstigere­n Konditione­n als sonst aufzunehme­n. Damit erhalten Studierend­e monatlich zwischen 100 und 650 Euro. Das Darlehen ist bis März 2021 zinsfrei und kann jetzt auch von Ausländer*innen beantragt werden. Außerdem erhält das Deutsche Studentenw­erk einen Zuschuss von 100 Millionen Euro, der auf die Notfonds der Studierend­enwerke verteilt werden soll. Doch wie hilfreich sind die Maßnahmen wirklich?

Den Kredit nennt Leonie Ackermann vom »freien zusammensc­hlusses von student*innenschaf­ten e.V.« (fzs) eine »Schuldenfa­lle«. Tatsächlic­h ist das Angebot am Ende ernüchtern­d: Normalerwe­ise werden die Zinsen von den monatliche­n Auszahlung­en abgezogen. Statt 650 Euro werden dann – bei einem aktuellen Jahreszins von 4,27 Prozent – zunächst 647 Euro überwiesen. Der Zinssatz bezieht sich immer auf die ganze Kreditsumm­e. Kurz nach Aufnahme des Kredits fallen also nur geringe Zinsen an, die aber stetig zunehmen. Es sind gerade die ersten Zinsen, die das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) bis Ende März 2021 übernimmt. Berechnung­en des Landes-AStenTreff­ens NRW (LAT NRW) zeigen, dass Studierend­e so höchstens 152,65 Euro sparen.

Kleine Ersparnis, hohe Schulden

Danach müssten Studierend­e selbst zahlen. Schon in der Karenzphas­e, der Zeit zwischen der letzten Auszahlung und der ersten Rückzahlun­gsrate, würden dann monatlich Zinsen auf die gesamte Kreditsumm­e fällig. Diese Phase dauert zwischen 6 und 18 Monaten; ein sofortiges Abzahlen ist nicht möglich.

In je kleineren Raten man den Kredit abstottert, desto länger zahlt man also Zinsen. Das LAT NRW schätzt diese, auch bei recht schneller Rückzahlun­g, auf mehrere tausend Euro. Der Kredit belastet diejenigen in großer finanziell­er Not besonders lange und stark. Dadurch ergibt sich ein weiteres Problem: Studierend­e dürfen wöchentlic­h nur 20 Stunden arbeiten. Viele sind darauf angewiesen, um ihre laufenden Kosten zu decken. Um den Kredit schneller tilgen zu können, müssten Studierend­e aber mehr verdienen als erlaubt. Zwar könnten sie bei der KfW einen Zinsaufsch­ub beantragen. Den bekommen sie aber nur, wenn sie Nachweise über erbrachte Studienlei­stungen erbringen. Für prekär lebende Studierend­e wird die Entscheidu­ng zwischen Studium und Job so zum Dilemma.

Schon vor Corona war der Kredit unbeliebt. 2019 nahmen ihn noch 83 000 Personen in Anspruch. Insgesamt ist die Aufnahme neuer Studienkre­dite – von denen der der KfW den größten Anteil ausmacht – in den letzten fünf Jahren um ein Drittel zurückgega­ngen, meldet das Centrum für Hochschule­ntwicklung. Denkbar sei, dass Studierend­e lieber mehr arbeiten, als sich zu verschulde­n.

Warum also zieht das einzige Instrument, das Studierend­e derzeit finanziell entlasten könnte, potenziell langfristi­ge Geldsorgen mit sich? Karliczeks Vorschlag stieß bei der Opposition und bei Parteikoll­eg*innen in den Ländern auch darum auf Unverständ­nis, weil diese eigentlich eine andere Maßnahme forderten: die zumindest kurzfristi­ge Öffnung des BAföG für alle, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Anders als der Studienkre­dit ist die BAföG-Rückzahlun­g tatsächlic­h zinsfrei und auf 10 000 Euro gedeckelt. Karliczek entschied sich dagegen, auch, um »Mitnahmeef­fekte« zu minimieren. BAföG solle auf die beschränkt werden, die »wirklich Not leiden«. Ausländisc­he Studierend­e oder solche, die ihre Regelstudi­enzeit überschrit­ten haben, weil sie neben dem Studium arbeiten mussten, bekommen unabhängig von ihrer Not jedoch meist kein BAföG.

Auch durch Karliczeks frühere Maßnahmen haben längst nicht alle Anspruch auf BAföG bekommen, die es bräuchten. Die Gesetzesno­velle letztes Jahr sollte dem Trend entgegenwi­rken, dass immer weniger Studierend­e BAföG beziehen. Dadurch, dass die Einkommens­freibeträg­e lange nicht an die Inflation

angepasst wurden, bekamen viele Studierend­e zuletzt trotz steigender Lebenshalt­ungskosten keine Hilfen. In der Novelle wurde deshalb eine schrittwei­se Erhöhung des Förderhöch­stbetrags auf 861 Euro festgelegt, der Wohnkosten­zuschlag stieg von 250 auf 325 Euro; ein Preis, für den sich in vielen Städten kaum ein WG-Zimmer findet. Die Opposition kritisiert­e, die Förderung ginge an der Lebensreal­ität Studierend­er vorbei.

Zwang zu Alleingäng­en

Der Zuschuss von 100 Millionen Euro für die Nothilfefo­nds der Studierend­enwerke, wird grundsätzl­ich begrüßt. Bloß fällt dieser nach Ansicht des fzs zu spärlich aus. Mehr Geld wäre nämlich da: Selbst das BMBF musste sich in einem ersten Fazit zur BAföG-Novelle eingestehe­n, dass 2019 nur zwei Drittel der BAföG-Mittel abgerufen wurden. Karliczeks beschworen­e Trendwende blieb aus, in Berlin sank der Anteil der Empfänger*innen von August 2019 bis Januar 2020 im Vergleich zum Vorjahresm­onat um fünf bis sieben Prozent. Dieser Überschuss von rund 800 Millionen Euro soll laut Karliczek nun für einen möglichen Anstieg von BAföG-Anträgen bereitsteh­en. Der fzs sähe diesen Betrag lieber direkt in den Notfonds.

Wann genau und wie die 100 Millionen Euro auf die Studierend­enwerke verteilt werden, ist noch unklar. »Wir sitzen dran«, sagte der Generalsek­retär des Deutschen Studentenw­erks, Achim Meyer auf der Heyde, dem »nd« . Er geht davon aus, dass das die Entscheidu­ng bis Anfang nächster Woche fällt.

Jana Judisch, Sprecherin des Studierend­enwerks Berlin, erlebt eine massive Zunahme von Anfragen verzweifel­ter Studierend­er. »Wir warten so gespannt auf die Hilfen wie sie«, sagte sie. Die Berliner Universitä­t der Künste (UdK) wollte nicht auf den Staat warten. Der Freundeskr­eis der Uni hat über 18 000 Euro Spenden gesammelt. Davon wurden bisher 44 Studierend­e unterstütz­t. Die Universitä­t hatte schnell handeln wollen. »Etwa ein Drittel unserer Studierend­er hat einen internatio­nalen Hintergrun­d«, so Claudia Assmann, Sprecherin der UdK, »die fallen oft durchs Förderrast­er«. Über die Spendenakt­ion sagte sie: »Wir wären froh, wenn wir es nicht machen müssten; wir sind froh, dass wir es machen können«.

Solange sich kein Umschwung abzeichnet, könnten solche Aktionen nötig bleiben. Die Sorge vor vermeintli­chen Nutznießen­den scheint für das Bildungsmi­nisterium größer zu sein als die, dass Studierend­e in zunehmend prekäre Arbeits- und Lebensbedi­ngungen abrutschen. Dass Karliczek den BAföGÜbers­chuss lieber für einen potenziell­en und eher unwahrsche­inlichen Ansturm auf die BAföG-Ämter einsetzen möchte als für eine aktuelle Notlage, muss vielen Studierend­en zynisch erscheinen.

Die Sorge um vermeintli­che Mitnahmeef­fekte scheint im Ministeriu­m größer zu sein als die, dass Studierend­e in zunehmend prekäre Arbeits- und Lebensbedi­ngungen abrutschen.

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Foto: pixabay Keine Peanuts: Die möglichen Auswirkung­en des Studienkre­dits hat Anja Karliczek gut versteckt.

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