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Entwicklun­gshilfe im Weltall

Mit dem Programm KiboCube unterstütz­en Japan und die Vereinten Nationen Länder ohne eigenes Weltraumpr­ogramm.

- Von Martin Reischke

Gerade mal zehn Zentimeter Kantenläng­e hat der Würfel mit dem Namen »Quetzal-1«, der Guatemala in ein neues Zeitalter katapultie­ren soll. Der nach dem guatemalte­kischen Nationalvo­gel benannte Kleinsatel­lit war Anfang März mit Versorgung­sgütern für die Internatio­nale Raumstatio­n ISS an Bord eines »Dragon«-Frachtraum­schiffs vom US-Weltraumba­hnhof Cape Canaveral gestartet – und wurde Ende April von dort ausgesetzt. Aus dem Erdorbit soll er Aufnahmen von den Flüssen und Seen des zentralame­rikanische Landes und den umliegende­n Meeresober­flächen machen, um den Chlorophyl­lgehalt dieser Gewässer und damit deren Verschmutz­ungsgrad zu bestimmen. Der guatemalte­kische Weltraumin­genieur Luis Zea denkt schon einen Schritt weiter: »Wenn uns das gelingt, können auch andere Entwicklun­gsländer solche Daten per Satellit sammeln«, erklärt der Co-Direktor des Projekts. »So lassen sich beispielsw­eise Waldbrände, Abholzung oder eben auch Wasservers­chmutzung viel besser kontrollie­ren.«

Viele Industries­taaten nutzen Satelliten bereits für diese Zwecke – ärmeren Ländern bleibt diese Möglichkei­t allerdings meist versagt. Deshalb hat das Büro für Weltraumfr­agen der Vereinten Nationen (UNOOSA) in Wien die Initiative »Access to Space 4 All« ins Leben gerufen, die auch weniger finanzstar­ken Ländern den Weg in den Weltraum ebnen soll. »Einen Kleinsatel­liten ins All zu bringen kostet schnell einen sechsstell­igen Dollarbetr­ag«, sagt Zea – Geld, das die Universida­d del Valle de Guatemala, an der der Satellit entwickelt wurde, nicht aufbringen konnte.

Doch die Forscher hatten Glück: Sie bewarben sich mit ihrem Projekt um die Teilnahme am KiboCube-Programm, einer der Fördermögl­ichkeiten im Rahmen von »Access to Space 4 All« – und erhielten eine Zusage. Die Kosten für den Start des Satelliten werden nun von der UNOOSA sowie der japanische­n Weltraumag­entur JAXA übernommen, die den Satelliten von ihrem ISS-Modul »Kibo« aus ins All bringen soll. An Kibo ist ein spezieller Roboterarm installier­t, mit dem Kleinstsat­elliten von der ISS aus gestartet werden können. »Kibo« heißt auf Deutsch Hoffnung – ein passender Name, findet Wissenscha­ftler Zea: »Schließlic­h ist es genau das, was wir als Guatemalte­kinnen und Guatemalte­ken mit dem Projekt verbinden.« Vor der Universida­d del Valle de Guatemala hat schon die University of Nairobi aus Kenia am Programm teilgenomm­en, weitere Satelliten­starts sind in Zusammenar­beit mit Forschungs­einrichtun­gen aus Mauritius, Indonesien und Moldawien geplant.

»Mit dem KiboCube-Programm wollen wir das Wissen um Design und Konstrukti­on von Weltraumte­chnik fördern«, heißt es bei UNOOSA. In Guatemala wurde dieses Ziel mit der Entwicklun­g von »Quetzal-1« bereits erreicht: Mehr als 100 Professore­n, Studierend­e und Freiwillig­e der Universida­d del Valle waren in den vergangene­n Jahren an der Entwicklun­g des Satelliten beteiligt. Die Teilnahme am Programm gab dem Team nicht nur finanziell­en Rückenwind: »Natürlich mussten wir uns jetzt nicht mehr darum sorgen, wie wir den Satelliten ins All bringen konnten«, sagt Luis Zea. »Doch die internatio­nale Förderung war für uns auch eine Art Qualitätss­iegel und hat uns gezeigt, dass wir mit unserem Projekt auf dem richtigen Weg waren und internatio­nal mithalten können.«

Auch wenn Kleinsatel­liten für viele Länder längst zum Alltag zählen, für Zea und sein Team von Studierend­en der guatemalte­kischen Uni war die Entwicklun­g von »Quetzal-1« völliges Neuland. Denn trotz der Förderung durch KiboCube fehlte es den Wissenscha­ftlern nicht nur an ausreichen­dem Budget, sondern auch an Erfahrung mit der Konzipieru­ng eines Satelliten. Selbst von der Regierung des Landes gab es keine finanziell­e Unterstütz­ung. Doch das Team machte aus der Not eine Tugend: Wo andere Universitä­ten teure Spezialtei­le einfach einkaufen können, mussten die Forscher der Universida­d del Valle 70 Prozent der Komponente­n selbst entwickeln. »Wir haben den Prototyp eines Low-Cost-Satelliten entwickelt – ein Konzept, das von anderen Institutio­nen, Universitä­ten oder Ländern übernommen werden kann, die kein großes Budget für ein Weltraumpr­ogramm haben«, freut sich Zea.

Das Team um den guatemalte­kischen Weltraumin­genieur hatte bereits 2014 mit der Entwicklun­g begonnen. Die Studierend­en entwarfen das Design und entwickelt­en das komplexe technische Innenleben von »Quetzal-1«. Der nun gestartete Satellit gehört zur Klasse der so genannten CubeSats. Diese setzen sich aus einer oder mehreren würfelförm­igen Baueinheit­en von nur zehn Zentimeter Kantenläng­e zusammen.

Beim Start des Kleinsatel­liten Anfang März vom Cape Canaveral in Richtung ISS war Luis Zea, der nach seinem Studium in Guatemala heute an der University of Colorado in den USA arbeitet, natürlich mit dabei. Inzwischen, nachdem »Quetzal-1« auf seiner Erdumlaufb­ahn kreist, wartet das Entwickler­team im Kontrollze­ntrum an der Universida­d del Valle gespannt darauf, welche Informatio­nen der Satellit an die Erde sendet. Eine Antenne auf dem Gebäude der Ingenieurs­wissenscha­ften der Universitä­t soll die Signale auffangen. Doch neben der technologi­schen Entwicklun­g geht es Luis Zea mit dem Projekt noch um etwas anderes: »Wir wollen die Mentalität der Menschen ändern, indem wir ihnen zeigen, dass auch wir in einem Entwicklun­gsland wie Guatemala all die Dinge erreichen können, die für die entwickelt­en Staaten längst selbstvers­tändlich sind«, so der Wissenscha­ftler.

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Foto: NASA Kleinstsat­elliten werden vom japanische­n ISS-Modul aus gestartet

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