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Ein Rezept gegen Landarztma­ngel

Brandenbur­g unterstütz­t 71 Medizinstu­denten mit je 1000 Euro im Monat.

- Von Andreas Fritsche

Wenn alles so klappt, wie Anne Thiele sich das vorgenomme­n hat, ist sie im Dezember 2023 mit ihrem Medizinstu­dium an der Universitä­t Greifswald fertig. Doch wie heißt es so schön: Man lernt nie aus! Die heute 22-Jährige würde sich danach gerne weiterbild­en, über Kopfschmer­zen und Migräne. Das ist bereits das Thema ihrer Doktorarbe­it. Thiele hat außerdem schon einen Plan, wo sie sich als Ärztin niederlass­en will: in ihrer brandenbur­gischen Heimatstad­t Bad Freienwald­e. Sie möchte gern in der Nähe ihrer Familie sein. »Ich war noch nie ein Großstadtm­ensch«, verrät sie.

An der Entscheidu­ng gibt es nun auch nichts mehr zu rütteln. Seit April bezieht Thiele vom Land Brandenbur­g ein monatliche­s Stipendium von 1000 Euro. Im Gegenzug ist sie verpflicht­et, hier später mindestens fünf Jahre als Landärztin zu arbeiten, weil diese dringend gebraucht werden. Das möchte sie auch gern tun – etwas zurückgebe­n für die finanziell­e Unterstütz­ung, die sie erhält, sagt sie. Den Plan, sich für ein Stipendium einer Krankenhau­sgesellsch­aft in

Eberswalde zu bewerben, hat sie verworfen. Die Bedingung wäre gewesen, dort dann auch zu arbeiten. Thiele schwebt aber eine Zukunft als Hausärztin vor. Im Kindergart­en träumte sie einst davon, Tierärztin zu werden. Danach sollte es immer die Humanmediz­in sein. Sie sei »unglaublic­h fasziniert vom menschlich­en Körper«, sagt sie. Anatomie findet sie »sehr spannend«.

Aktuell gibt es noch 71 andere Stipendiat­en, die 1000 Euro monatlich erhalten, und sechs weitere, die 500 Euro bekommen. Für die volle Summe lagen bislang immer mehr Bewerbunge­n vor, als Mittel zur Verfügung standen, erläutert Christian Wehry, Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Brandenbur­g, die das Förderprog­ramm betreut. Bis zu 75 000 Euro können pro Nase gezahlt werden. Gestartet wurde das Programm zum 1. Juli 2019 noch von der damaligen Gesundheit­sministeri­n Susanna Karawanski­j (Linke). Für die Zeit bis zum Jahr 2022 wurden 15,4 Millionen Euro dafür eingeplant. SPD, CDU und Grüne möchten das Programm nun ausweiten. Bisher ist das Landärztes­tipendium Studenten deutscher Hochschule­n

vorbehalte­n, künftig soll es auch an ihre Kommiliton­en im EU-Ausland vergeben werden dürfen. Der Landtag hat die rotschwarz-grüne Regierung nun aufgeforde­rt, diese Möglichkei­t zu prüfen. Warum es die Stipendien nur für deutsche Universitä­ten geben soll, das habe ihr nie eingeleuch­tet, sagt die Landtagsab­geordnete Carla Kniestedt (Grüne). »Viele Regionen in Brandenbur­g sind noch immer mit Fachärzten unterverso­rgt«, begründet der Abgeordnet­e Michael Schierack (CDU) den Vorstoß. Er ist von Beruf Orthopäde. Das Landärztep­rogramm habe sich »bewährt«, meint er.

Hintergeda­nke ist, dass sich die jungen Leute in den fünf Pflichtjah­ren so eingewöhne­n, dass sie für immer bleiben. Anne Thiele kann sich das gut vorstellen. Dennoch macht sie auf Probleme in ihrer Heimat Bad Freienwald­e aufmerksam. Dort gab es ein Kino, in das Thiele gerne ging. Das ist aber schon seit einem Jahrzehnt geschlosse­n. Das nächste Kino befindet sich im 20 Kilometer entfernten Eberswalde. Dorthin musste die junge Frau auch fahren, als sie sich für ihre Stipendium­sverleihun­g einen Anzug kaufen wollte.

Zwar gebe es auch in Bad Freienwald­e zwei Boutiquen, schicke Klamotten für junge Leute seien dort aber nicht im Sortiment. Wenigstens einen Buchladen und ein Hoftheater gibt es. Dennoch sei das schier unermessli­che Kulturange­bot in Großstädte­n schon verlockend. Grundschul­en und ein Gymnasium hat Bad Freienwald­e immerhin. Schließlic­h will Thiele später mal Kinder haben. Und eine Wohnung oder ein Grundstück wären hier definitiv einfacher zu finden als in Berlin. Das Studium hätte Thiele auch ohne Stipendium finanziere­n können. »Ich habe das Glück, dass meine Eltern mich unterstütz­en.« So müsse sie sich aber nun nicht mehr fünfmal überlegen, ob sie sich ein 100 Euro teures Lehrbuch kaufe oder nicht, atmet sie auf.

Auch für die Zwillingss­chwestern Michelle und Franziska Wüstenhage­n ist das Stipendium von je 1000 Euro, das sie seit April erhalten, eine Erleichter­ung. Sie sind ebenfalls 22 Jahre alt und stammen aus Schwanebec­k – einem Dorf, das in die Stadt Bad Belzig eingemeind­et ist. In der Gegend fühlen sie sich wohl und möchten dort dereinst eine Gemeinscha­ftspraxis aufmachen. In den Semesterfe­rien können sie als Krankensch­western arbeiten. Das möchten sie gern tun, wenn sie die Zeit dafür finden, sagen sie. Doch nun sind sie nicht mehr unbedingt auf den Lohn angewiesen und können sich auf ihr Medizinstu­dium in Greifswald konzentrie­ren, um es schnell abzuschlie­ßen. Zurzeit sind beide im zweiten Semester. Dabei hätte Michelle schon weiter sein können, da sie mit einem Notendurch­schnitt von 1,0 nach dem Abitur sofort einen Studienpla­tz bekommen hätte. Doch sie wartete auf ihre Schwester Franziska, die mit der Note 1,4 nicht gleich angenommen wurde. Die beiden absolviert­en zunächst eine Krankenpfl­egeausbild­ung in Treuenbrie­tzen. Beim Bewerbungs­gespräch in Greifswald sei das gut angekommen, sagt Franziska. Doch auch davon abgesehen seien die drei Jahre in Treuenbrie­tzen keine verschenkt­e Zeit gewesen, betont ihre Schwester. »Wir haben Erfahrunge­n gesammelt.«

Michelle möchte Kinderärzt­in werden, Franziska Gynäkologi­n. Schon als Kinder haben sie »immer mit dem Arztkoffer gespielt«, erzählen sie. »Da kam nichts anderes infrage.« Dabei sind sie keineswegs vorgeprägt. In ihrer Familie gibt es außer ihnen niemanden mit einem medizinisc­hen Beruf. Sie können nicht einfach die Arztpraxis von Vater oder Mutter übernehmen wie andere Medizinstu­denten. Darum gehen sie jetzt sparsam mit ihrem Stipendium um und legen schon mal etwas beiseite für ihre Gemeinscha­ftspraxis.

Michelle (l.) und Franziska Wüstenhage­n

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Foto: dpa/Patrick Pleul Dringend gebraucht: Landärzte wie Karola Bahr im uckermärki­schen Tantow
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Foto: privat Die Schwestern

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