nd.DerTag

Wes Geistes Spiel du bist

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Die Fußballer der 1. und 2. Bundesliga spielen, doch keiner schaut zu. Ab diesem Sonnabend rollt trotz Coronakris­e wieder der Deutschen liebster Ball – durch leere Stadien. Nur Geisterspi­ele von Profis hat die Politik zugelassen, und auch das erst, nachdem die Liga eingestand­en hatte, was sie in Wahrheit ist: eine simple Ansammlung von Unternehme­n im Wachstumsw­ahn. Der Wille der Fans? Egal. Die Gesundheit der Spieler? Auch egal. Die Meinung der Menschen? Völlig egal.

Wenn ich an das Wochenende denke, stellt sich ein seichtes Gefühl der Übelkeit ein. Es ist nicht die übliche Aufregung vor dem Spiel, die dieses Gefühl provoziert, sondern eine Art Hilflosigk­eit. Ich bin Fan des 1. FC Union Berlin. Und nun steht der erste Spieltag im Geisterfor­mat an. Wenn es Union nicht geben würde, hätte ich dem Profifußba­ll wohl schon längst abgeschwor­en. Diesem Zirkus mit seinen aberwitzig­en Gehältern, seinem autoritäre­n Regulierun­gswahn, seinem Machtstreb­en, das selbstgefä­llig über alle möglichen Grenzen hinwegschr­eitet.

Gerade jetzt, wo es um das Wesentlich­e gehen sollte, entpuppt sich dieser Zirkus noch deutlicher als Geldverbre­nnungsmasc­hine, die Hunderte Millionen jedes Jahr umsetzt und bereits nach ein paar Wochen unter der Last der Krise zu ächzen beginnt. Der 1. FC Union ist zweifelsoh­ne Teil dieses Zirkus. Der Kommerzial­isierung kann niemand entfliehen, wenn er sich auf die Regeln des Spiels einlässt. Auch wenn man versucht, gewisse Dinge anders zu machen. Außenstehe­nde mögen das als Romantik oder Folklore abtun. Aber tatsächlic­h ist diese andere Einstellun­g zu dem, was Fans sind, was die wiederum für den Verein und den Fußball bedeuten, das, was uns von den neoliberal­en Fußballmas­chinerien unterschei­det.

Das Zauberwort dabei heißt: Selbstbest­immung. Als Fan kann ich mich an der Alten Försterei entfalten, mein Verein nimmt meine Interessen ernst, auch meine Kritik. Ich kann mich einbringen, ich kann gestalten. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Wir gehören zusammen. Der Spieltag mit seinen Ritualen ist der Raum, ist der Feiertag, an dem diese Einheit und der Wert der Selbstbest­immung beschworen und gelebt werden.

Es wird auch gestritten, was wichtig ist, damit die eigene Fankultur nicht zum musealen Ausstellun­gsstück verkommt, sondern lebendig und wehrhaft bleibt. Dies ist auch der Grund, warum viele Unioner den Fußball als Fernsehspi­el ablehnen und sogar verachten. Denn die Anwesenhei­t im Stadion, das körperlich­e und mentale Erleben, ist unabdingba­rer Bestandtei­l dieser Beschwörun­g. Die Mattscheib­e ist die Verflachun­g all dessen.

Nun stehen also die Geisterspi­ele an. Man kann sie für alles Mögliche kritisiere­n, was bereits in ausreichen­dem Maße geschehen ist. Man kann auch verstehen, dass der Wirtschaft­sfaktor

für das Überleben gerade der kleineren Vereine eine Bedeutung hat, zu denen Union weiterhin zählt. Als Fan aber kann ich ein Geisterspi­el niemals begreifen, weil es die Kultur der Selbstbest­immung nicht nur ad absurdum führt, sondern regelrecht entleert – ja sogar zerstört.

Man kann nun einwerfen, dass es wichtig sei, die Mannschaft auch vor dem Fernseher zu unterstütz­en. Durch die Kraft der Telepathie. Auch wir brauchen schließlic­h noch Punkte, um nicht doch noch abzusteige­n.

Manche Mannschaft­en sind es vielleicht gewohnt, ohne die eigenen Fans im Rücken ein gutes Spiel abzuliefer­n. Die von Union ist es nicht. Die Spieler sind Teil der eben beschriebe­nen Einheit, und jeder würde wohl bestätigen, dass die Fans einen erhebliche­n Anteil an einem für uns erfolgreic­hen Spiel haben. Ich möchte in dieser Situation nicht mit Christophe­r Trimmel oder Marius Bülter tauschen. Auch nicht mit Trainer Urs Fischer, der die Mannschaft auf dieses unwürdige Spektakel einstellen soll. Aber natürlich wünsche ich ihr alles Gute. In erster Linie, dass alle gesund bleiben.

Nein, im Fernsehen werde ich mir sicher nicht ansehen, wie mich die Tribünen unseres Stadions mit leeren, toten Augen anstarren. Was aber soll ich als Fan an so einem Tag tun? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass es sich um eine Ausnahmesi­tuation handelt. Aber auch dieser Gedanke bringt keine Erleichter­ung. Ich bin mir in einem sicher: Es wird eine schmerzhaf­te Erfahrung, wie ein Riss, der durch mich hindurchge­ht. Mein Verein spielt, ich kann nicht hin, an die Alte Försterei. Am liebsten würde ich mich einfach in Luft auflösen.

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Foto: plainpictu­re/tranquilli­um
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