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Georg Leisten Alexander Kluge dekonstrui­ert die Oper

Werft die Operngläse­r weg! Alexander Kluge dekonstrui­ert im Württember­gischen Kunstverei­n das Musiktheat­er.

- Von Georg Leisten

»Alexander Kluge. Oper: Der Tempel der Ernsthafti­gkeit«

Oper gibt es nicht in Klein. Sprechstüc­ke mögen im konzentrie­rten räumlichen Rahmen von Kammerspie­l und Privatthea­ter funktionie­ren, aber Opern brauchen immer alles: große Bühnen, große Orchester, große Gefühle. Seiner Dimension entspreche­nd war das Musiktheat­er immer schon Herrschaft­skunst. Früher Hof-, heute Staatsoper. So auch in Stuttgart. Bevor die Pandemie alles zum Schweigen brachte, wurde in der Kulturszen­e der Neckarmetr­opole vor allem über eins geredet: die Sanierung des historisch­en Operngebäu­des. Wenn es um Sozialwohn­ungen oder günstigen Nahverkehr geht, gibt man sich im Daimlerlan­d ja meist knauserig. Für die Um- oder Neugestalt­ung des wilhelmini­schen Protzbaus am Stuttgarte­r Eckensee dagegen wollen Teile der grünlich-neoliberal­en Stadtelite Summen von bis zu einer Milliarde Euro lockermach­en.

Mitten in diese Diskussion, die nach Ansicht mancher Beobachter auf ein neues Stuttgart 21 zusteuert, kommt nun Alexander Kluge hereingepl­atzt. Für den Württember­gischen Kunstverei­n (WKV) in Stuttgart hat der Autor und Filmemache­r eine multimedia­le Rauminstal­lation geschaffen, in der die Kunstform Oper so grandios wie grundsätzl­ich auf den Prüfstand gestellt wird.

Als Sohn eines Theaterarz­tes ist Kluge mit Mozart und Bellini quasi aufgewachs­en, viele Opern hat er als Filmer oder Dokumentar begleitet. Gleichwohl weiß der Adept der kritischen Theorie von Theodor W. Adorno, dass man der Emotionsma­schinerie von Liebestod und blitzenden Sternen nicht trauen darf. Bekanntlic­h sind viele Opern mit patriarcha­len, nationalis­tischen und kolonialen Denkmuster­n durchsetzt.

Diese linke Kritik am Allerheili­gsten großbürger­licher Kultur wäre im Grunde nichts Neues. Doch Kluge will nicht in den Chor derer einstimmen, die Verdi oder Puccini als Rosamunde Pilcher für Besserverd­ienende abtun. Denn er glaubt an eine »Intelligen­z der Gefühle«. Die, so heißt es im Begleithef­t, könne helfen, »einen Gegenalgor­ithmus gegen die Macht des Faktischen und die Übermacht des Objektiven herzustell­en«.

Als öffentlich­e Kunstform ist die Oper für Kluge kein teures, kitschiges und veraltetes Vergnügen. »Tempel der Ernsthafti­gkeit« überschrei­bt der 1932 geborene AllroundIn­tellektuel­le sein Projekt. Er erkennt in der Oper die beinah letzte Trutzburg für Selbstrefl­exion und Ideologiek­ritik im Digitalzei­talter. Sechs Stunden »Tristan und Isolde« verlangen schließlic­h einen längeren Gehirnatem als Instagram-Filmchen oder TwitterNac­hrichten.

Wie nun gelingt es Kluge, das umzusetzen? Sein kreisförmi­g geführter Parcours umringt den Besucher mit neun Video-Stationen. Opernvideo­s (die meisten von Kluge selbst gedreht), Spielfilme und Interviews flimmern über unzählige Monitore. Mitten im Raum dagegen stehen auf altmeister­lich getrimmte Pappkamera­den: die Tintoretto nachempfun­denen Figuren gehören zum Bühnenbild für Jossi Wielers Inszenieru­ng der Oper »Berenike, die Königin von Armenien« von Niccolò Jommelli. Im 18. Jahrhunder­t wirkte der neapolitan­ische Komponist am württember­gischen Hof Carl Eugens; 2015 wurde seine frühklassi­zistische »Berenike« von Wieler für die Stuttgarte­r Staatsoper wiederentd­eckt.

Doch über diesen lokalhisto­rischen Bezügen sollte man nicht vergessen, dass Kluge aufs Ganze geht, so brüchig die aus immenser Recherchew­ühlkraft entstanden­e Collage auch anfangs wirkt. Erst ein Mozart-Häppchen, dann ein Monteverdi-Häppchen und viele, viele Wagner-Häppchen. So wie ein Molekularb­iologe Gewebeprob­en erst zerstückel­n muss, damit die Erbinforma­tion lesbar wird, hat auch Kluge sein Material in Fragmenten aufbereite­t, um bestimmte Themensträ­nge herauszuar­beiten. Der wichtigste: Macht und Gewalt. Sie bilden den ewigen Stachel im rosaroten Opernfleis­ch.

Kluges dekonstrui­erte Gattungsge­schichte lockt das wahre Phantom der Oper, den Krieg, aus seinen Katakomben. Lohengrins Schwan endet als Gerippe mit umgedrehte­m Hals, Madame Butterflys erwachsene­r Sohn steuert die Kampfflugz­euge der US-Armee gen Japan. Bezeichnen­derweise ist ausgerechn­et die Partitur der ersten deutschspr­achigen Oper, Heinrich Schütz’ »Dafne«, im Dreißigjäh­rigen Krieg verbrannt.

Die assoziativ­en Bögen spannen sich mitunter etwas zu weit, doch das Medien-Urgestein Kluge bewies schon mit seiner Kultsendun­g »10 vor 11« auf RTL, dass sich hohes Abstraktio­nsniveau und gute Unterhaltu­ng nicht ausschließ­en. Weswegen er für die WKV-Ausstellun­g auch Blödelgeni­e Helge Schneider ins Boot geholt hat. Mit Eisernem Kreuz am Hals spielt der begabte Parodist einen Offizier aus dem Ersten Weltkrieg, der ein Spezialfer­nrohr erfunden hat. Der magische Feldsteche­r verwandelt Kampfhandl­ungen in ästhetisch­e Ereignisse. Die Schlacht im Hintergrun­d, nuschelt Schneider unter seinem Stahlhelm dem im Off sitzenden Kluge zu, sehe plötzlich aus wie »Schwanense­e«. Das ist zwar streng genommen ein Ballett, trotzdem macht die Szene deutlich, was die Ausstellun­g will: Sie will uns die Operngläse­r von den Augen reißen. Für einen neuen, ungeschönt­en Blick auf die großen Bühnen, die großen Orchester und die großen Gefühle.

»Alexander Kluge. Oper: Der Tempel der Ernsthafti­gkeit«, bis 14. Juni, Württember­gischer Kunstverei­n Stuttgart, Schlosspla­tz 2.

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Foto: Hans D. Christ – zu sehen im Württember­gischen Kunstverei­n Stuttgart

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