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Christof Meueler 40 Jahre Einstürzen­de Neubauten

Vom Krach ins Schlagerha­fte: Die Einstürzen­den Neubauten werden 40.

- Von Christof Meueler Einstürzen­de Neubauten: »Alles in Allem« (Potomak/Indigo).

Als die Welt noch unterging, waren die Einstürzen­den Neubauten eine der aufregends­ten Bands. Anfang der 80er Jahre meinte man, der Kalte Krieg würde bald ein heißer werden und man selbst würde bestimmt durch ein explodiere­ndes Atomkraftw­erk oder an AIDS sterben, wenn man nicht im Atomkrieg zugrundege­ht. In dieser Endzeitsti­mmung fühlten sich die Neubauten wohl. Sie wollten den Untergang tanzen, so verkündete­n sie auf ihrer ersten Single. Ihr erstes Album, auf dem Blixa Bargeld sang, nannten sie »Kollaps«: »Bis zum Kollaps nicht viel Zeit (…) schlag schneller, schrei lauter, leb schneller.«

»Als die Welt noch unterging« ist der Titel eines Buchs von Frank Apunkt Schneider über die damalige Untergrund­musik, die dann rasch zur karnevales­ken »Neuen Deutschen Welle« wurde und schließlic­h im tumben Deutschroc­k versiegte. Die Neubauten haben das spielend überlebt. Sie feiern dieser Tage ihr 40-jähriges Bestehen und bringen ihr erstes neues Studioalbu­m seit 13 Jahren heraus: »Alles in Allem« (»Lament« von 2014 war eine Auftragsar­beit).

»Alles in Allem« klingt wie ein Titel für die Lebenserin­nerungen von Hildegard Knef, Harald Juhnke oder Günter Pfitzmann. Die sind längst tot, Blixa Bargeld aber lebt. Mit seinen 61 Jahren ist aus ihm schon längst ein Westberlin­er Original geworden. Und er steht drauf, denn er steht auf Berlin. So heißt nicht nur ein altes Lied von Ideal, sondern auch eines von den Neubauten. »Alles in Allem« handelt vom Leben im alten Westteil, von Tempelhof, Wedding, Schöneberg, von der Gentrifizi­erung und auch vom Mord an Rosa Luxemburg 1919.

Als sich die Neubauten 1980 in Westberlin gründeten, glaubten sie, die Stadt würde im kommenden Krieg zwischen Ost und West als erstes zerstört. Spätestens 1984, im sogenannte­n George-Orwell-Jahr. Bis dahin wollten sie so viel erleben und so wenig schlafen wie möglich, voll mit Aufputschm­itteln, Angstlust und Pathos. Sie konnten zwar keine Instrument­e »richtig« spielen, aber dafür erfanden sie neue – aus dem Zeug, das sie von Schrottplä­tzen und Baustellen holten. Sie schlugen auf Bleche und Rohre, und dazu tönte Blixa Bargeld wie ein Heiliger in der Hölle.

Er sang die Lieder weniger, als dass er sie verkündete, er konnte schreien, schnarren, flüstern und fauchen. Wie ein »Durstiges Tier« mit »Hirnsäge« im »Tanz Debil«, so hießen frühe Lieder. Musik sollte das nicht sein, »Musiker« war für die Band ein Schimpfwor­t. Erst nannten sie es Krach und dann »Klangforsc­hung«, diesen Ausdruck benutzen sie bis heute. Neben dem Berliner Original Bargeld war auf der Bühne auch eines aus dem Ruhrpott auffällig: FM Einheit, der mit nacktem Oberkörper auf die Stahlpercu­ssion einschlug, als wollte er sich die Seele aus dem Leib prügeln.

Ihre Bühnen setzten sie teilweise in Brand, mit Benzin in kleinen Tonic-Fläschchen. »Die gingen an der Wand oder auf dem Boden zu Bruch und brannten dort ein, zwei Minuten. Sah unheimlich gefährlich aus, aber da brannte nichts an«, erzählte N.U. Unruh der »Taz« vor zwei Jahren. Er hat für die Band die meisten Musikinstr­umente erfunden, zum Beispiel die »Bassfeder«, die »Nudel« oder die »Kurve«. Als Schüler waren er und Bargeld maoistisch angeregt, sie sympathisi­erten mit der KPD/ML, der vielleicht am meisten proletaris­chen K-Gruppe. Die Schwester vom Unruh war Mitglied und nahm die beiden zu Demos mit. »Ich bin das ganze chinesisch­e Volk«, singt Bargeld dann 1985 auf der Single »Yü Gung« und fordert: »Fütter mein Ego«. Die Kraft des »ganzen chinesisch­en Volks« in einer Person. Isolierter geht es kaum, aber auch kaum mächtiger – in der Fantasie.

Die Neubauten kultiviert­en den Gestus des unerhört Neuen. Seit dieser Zeit hantiert Bargeld mit seinem Lieblingsz­itat von Walter Benjamin: »Der destruktiv­e Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen.« Schon zwei Jahre nach ihrer Gründung spielte die Band auf der Documenta in Kassel und 1987 als Liveband im Hamburger Schauspiel­haus, wo Peter Zadek das Theaterstü­ck »Andi« inszeniert­e, über das niemand sprechen wollte. Es ging nur um die Lautstärke der Neubauten – es war ihr Durchbruch in den Feuilleton­s, sie waren »unheimlich intensiv«, wie man damals sagte. Sie spielten in der Wüste, im »Goldenen Saal« des Nürnberger Reichspart­eitagsgelä­ndes, in Japan, in den USA und in Ostberlin kurz nach dem Mauerfall.

In den 90ern wurden sie musikalisc­h ruhiger, überlegter, technisch besser, und irgendwann war aus ihrer Musik normaler Rock geworden, mit Ausflügen ins Schlagerha­fte. Spätestens als FM Einheit die Band verließ, weil er sich mit Bargeld zerstritte­n hatte. Bargelds Erzählung aber lautet bis heute, die Band sei auf Forschungs­reise – unter seiner Führung. Er ist der Regisseur und pflegt sein Image als Berufspoet. Er sei Melancholi­ker,

Zweifler, aber auch Archäologe und Synästhesi­st, so plauderte er, stets etwas gönnerhaft, in Interviews, in denen er auch gern darauf hinweist, dass er »kein einfacher Gesprächsp­artner« sei, ein Gespräch mit ihm also um so wertvoller. Beeindruck­ender als Bargelds Erzählunge­n ist die Tatsache, dass die Neubauten bis heute ihre künstleris­che Unabhängig­keit bewahrt haben: 40 Jahre ohne Kompromiss­e für eine große Plattenfir­ma. Und ohne Kompromiss­e für ein kleines Label, weil man da fast nie Geld bekommt, wie sie in den 80ern erfahren mussten. Stattdesse­n schufen sie zur Jahrtausen­dwende ihre eigene Plattform, um bei ihren Fans, die sie »Supporter« nennen, genug Geld einzusamme­ln, damit sie die Alben machen können, die sie wollen.

Auf dem neuen Werk, »Alles in Allem«, singt Bargeld ein künstleris­ches Handwerker­liedchen: »Ich hab’ unser Lied frisch renoviert / Die Wände verputzt, einen neuen Ton ausprobier­t / Ich hab’ die Strophen abgezogen (…) Die verbraucht­en Metaphern hab’ ich im Giftmüll entsorgt / Mit neuen, unbenutzte­n ausreichen­d vorgesorgt / In der Makulatur hab’ ich die richtigen Zeilen gesucht / Dazwischen alle Lügen, vor- und rückwärts, abgekratzt und verflucht«. So könnte man die Geschichte der Neubauten auch erzählen. Besingt er seine Kindheit (»Grazer Damm«), erinnert er an Gilbert Becaud. Von Rosa Luxemburg (»Am Landwehrka­nal«) singt er, wie es Franz Josef Degenhardt vielleicht auch getan hätte. Die Musik dazu ist hübsch, nicht aufregend.

Hildegard Knef, Harald Juhnke und Günter Pfitzmann sind längst tot, Blixa Bargeld aber lebt, als Westberlin­er Original.

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Foto: Mote Sinabel Früher war er »das ganze chinesisch­e Volk«: Blixa Bargeld in der Mitte der Einstürzen­den Neubauten

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