nd.DerTag

Freddy Adjan erklärt, woran die Fleischind­ustrie krankt

Der Gewerkscha­fter Freddy Adjan sagt, die deutsche Fleischind­ustrie sei von Grund auf krank. Er fordert ein Ende prekärer Arbeitsver­träge in Schlachthö­fen und Mindeststa­ndards für Arbeiterun­terkünfte

-

ist stellvertr­etender Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG). Über die Zustände in deutschen Schlachthö­fen sprach mit dem gelernten Hotelfachm­ann Jörg Meyer.

Die Menschen kommen mit einem Werkvertra­g in der Tasche nach Deutschlan­d, werden in Massenunte­rkünften untergebra­cht und leisten für den Mindestloh­n über ein paar Wochen oder Monate härteste Arbeit in den Schlachthö­fen. Nach Schichtend­e werden sie mit Minibussen in Unterkünft­e gebracht, wo sie auf engstem Raum übernachte­n. Sie sind schlicht und ergreifend nicht in der Lage, irgendwelc­he Sicherheit­sabstände einzuhalte­n. Eine normale Wohnung zu bekommen, ist für die Menschen mit ihren geringen Einkommen nicht möglich. Sie müssen nehmen, was sie kriegen, und das ist meist schlecht und überteuert. Die Ausgrenzun­g der Menschen, die ohnehin schon oft wie Fremdkörpe­r in den Gemeinden leben müssen, wird nun noch schlimmer werden, die Ausgrenzun­g vermutlich zunehmen. Das ist meine Befürchtun­g.

Ich stelle mir Schlafsäle mit Stockbette­n vor. Das ist so. Häufig werden Sammelunte­rkünfte angemietet, alte Kasernen oder leerstehen­de Wohn- und Bürogebäud­e. Die Subunterne­hmen, die beispielsw­eise den Auftrag über 10 000 Schweinehä­lften haben und dafür Arbeitskrä­fte nach Deutschlan­d holen, treten dann auch als Vermieter auf. Oder die Gebäude werden von wieder anderen Subunterne­hmen angemietet und an die Beschäftig­ten weiterverm­ietet – zu horrenden Preisen. Ich habe von Fällen gehört, in denen die Menschen sich in Schichten eine Matratze teilen und dafür 200 Euro im Monat bezahlen müssen. Die Kette von Subunterne­hmen und Fremdfirme­n ist aus unserer Sicht eines der Grundübel in der Branche. Hier muss die Politik dringend tätig werden.

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil hat für Montag ein Konzept angekündig­t, um die Situation in den Schlachthö­fen zu verbessern. Was muss da drin stehen?

Das ist begrüßensw­ert, es müssen aber jetzt auch wirklich zügig umfassende Maßnahmen getroffen werden. Wir haben Anfang der Woche ein Schreiben an die Angehörige­n der Bundestags­fraktionen und Ministerie­n mit aus unserer Sicht fünf wesentlich­en Forderunge­n geschickt. Werkverträ­ge im Kernbereic­h von Unternehme­n müssen verboten werden; ein Schlachtbe­trieb darf nicht, wie es in einigen Unternehme­n der Fall ist, 70 bis 80 Prozent der Schlachter­ei als Werkverträ­ge vergeben. Wir brauchen endlich Schwerpunk­tstaatsanw­altschafte­n für den Arbeitssch­utz, die Unterkünft­e und deren

Einrichtun­gen müssen einheitlic­h geregelt werden, die Kosten für die Unterkünft­e müssen begrenzt werden, und schließlic­h brauchen wir einen Mindestloh­ntarifvert­rag für die ganze Branche, wie es ihn im Baugewerbe oder der Gebäuderei­nigung gibt.

Wie könnte der denn helfen?

Wenn sich die Unternehme­n in der Branche zusammense­tzen und einen Mindestloh­ntarifvert­rag mit uns abschließe­n, hätten sie mehr Macht den Supermärkt­en gegenüber. Der Handel diktiert den Preis und hält ihn niedrig. Die meisten Unternehme­n der Schlachtin­dustrie sind leider bisher nicht willens, Tarifvertr­äge abzuschlie­ßen.

Sind die Unternehme­n denn aktiv geworden, um die Ausbreitun­g von Sars-CoV-2 zu bremsen?

Von unseren Betriebsrä­ten hören wir, dass die Situation in den Schlachthö­fen mittlerwei­le in Ordnung ist. Es wird auf Abstand geachtet. In der Nahrungsmi­ttelindust­rie sind die Hygienesta­ndards ohnehin hoch. Unsere Vermutung ist, dass sich die meisten Ansteckung­en in den Unterkünft­en oder auf dem Weg dorthin ereignen.

Nur eine Vermutung? das Grundrecht auf die Unverletzl­ichkeit der Wohnung. Auch Ämter haben da aktuell noch zu wenig Möglichkei­ten. Zuständig sind in der Regel die Gesundheit­sämter, die kontrollie­ren müssen, wenn es Verdachtsf­älle gibt. Dass aber ein rumänische­r Arbeiter sich ans lokale Gesundheit­samt wendet, passiert eher nicht. In der Vergangenh­eit gab es Berichte mit verdeckt aufgenomme­nen Bildern über die Zustände in den Unterkünft­en. Die aktuellen Infektions­zahlen zeigen uns leider, dass diese Berichte wahr sind. Hier machen es sich die Unternehme­n viel zu leicht, wenn sie die Verantwort­ung für die Unterkünft­e den Subunterne­hmen zuschieben. Sie sind es, die Löhne bezahlen, von denen die Menschen keine normale Unterkunft anmieten können.

Die Lage der Schlachtho­fbeschäfti­gten erinnert an die der Spargelste­cher. Was haben sie gemein?

Weil Deutsche die Arbeit nicht mehr machen wollen, müssen massenhaft Menschen aus dem Ausland dafür rekrutiert werden, die in kleinen Unterkünft­en eingepferc­ht und bereit sind, diese Zustände zu tolerieren. Aber in der Ernte geht es um Saisonarbe­iter. Die in den Schlacht- und Zerlegebet­rieben Arbeitende­n sind hier meist für mehrere Monate, fahren dann nach Hause und kommen mit einem neuen Werkvertra­g wieder her.

Die waren vorher schon in Deutschlan­d und sind, als die Grenzen geschlosse­n wurden, nicht mehr in ihre Heimatländ­er zurückgeko­mmen.

Zeigt die aktuelle Krise auf, was schon lange schiefläuf­t, oder kommen jetzt völlig neue Probleme ans Licht?

In der Branche liegt seit gut 30 Jahren vieles im Argen. Es ist eher verwunderl­ich, dass es so lange gut gegangen ist, ohne dass die Infektions­zahlen explodiert sind. Die Deutsche Fleischind­ustrie ist von Grund auf krank. Das System basiert auf der Ausbeutung von Tieren und Menschen. Die Fleischind­ustrie verdient Geld, hat aber geringe Margen, weil die Supermarkt­ketten die niedrigen Preise diktieren. Dazu kommt, dass die Menschen in Deutschlan­d sich zwar einen 500-Euro-Grill in den Garten stellen, aber die billigste Wurst da drauflegen. Wenn in einem Supermarkt die Wurst 10 Cent teurer wird, gehen sie zum anderen. Das sind die Ursprünge dieses Systems. Wichtig ist, dass die öffentlich­e Aufmerksam­keit jetzt auch dazu führt, dass sich für die Betroffene­n wirklich was verbessert und die Konzerne nicht weitermach­en können wie gehabt. Denn wir haben es mit verantwort­ungslosen Konzernen zu tun, die ihren Profit über die Gesundheit der Menschen stellen, die für sie arbeiten müssen.

 ??  ??
 ?? Foto: Visum/Steve Forrest ?? Seit den Corona-Ausbrüchen in mehreren Schlachtbe­trieben werden die Arbeits- und Wohnbeding­ungen der Beschäftig­ten wie auch Werkverträ­ge als eine extrem prekäre Form der Beschäftig­ung erneut scharf kritisiert. Sie dürften wenig überrascht sein, dass sich dort die Infektione­n häufen.
Die Ansteckung mit Corona erfolgt möglicherw­eise nicht in den Schlachthö­fen selbst, sondern in beengten Unterkünft­en.
Foto: Visum/Steve Forrest Seit den Corona-Ausbrüchen in mehreren Schlachtbe­trieben werden die Arbeits- und Wohnbeding­ungen der Beschäftig­ten wie auch Werkverträ­ge als eine extrem prekäre Form der Beschäftig­ung erneut scharf kritisiert. Sie dürften wenig überrascht sein, dass sich dort die Infektione­n häufen. Die Ansteckung mit Corona erfolgt möglicherw­eise nicht in den Schlachthö­fen selbst, sondern in beengten Unterkünft­en.
 ??  ?? Freddy Adjan
Freddy Adjan

Newspapers in German

Newspapers from Germany