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Stephan Kaufmann Wer zahlt für die Folgen der Pandemie?

Woran man erkennen kann, ob bei der Politik gegen die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie etwas richtig gelaufen ist.

- Von Stephan Kaufmann

Die Corona-Pandemie kostet viel Geld. Wer zahlt für diese Krise? Die Frage wird derzeit oft gestellt. Eine Antwort ist nicht einfach. Denn zum einen ist unklar, wie hoch die Verluste ausfallen werden und was überhaupt als Kosten zählt – für Krisen werden keine Rechnungen mit festen Beträgen gestellt. Umkämpft und daher offen ist auch, ob es durch Steuerände­rungen zu einer Umverteilu­ng der Lasten kommen wird. Ein Überblick.

Die Kosten

Die Kosten der Krise fallen zum einen durch die vermehrten Staatsausg­aben an. Laut Finanzmini­sterium betragen die staatliche­n Corona-Nothilfen allein im laufenden Jahr 450 Milliarden Euro. Dazu kommen staatliche Kredite, Kreditgara­ntien und Steuererle­ichterunge­n. Die Deutsche Bank errechnet: Insgesamt mobilisier­t der deutsche Staat 1900 Milliarden Euro zur Stützung der Wirtschaft, also vor allem der Unternehme­n. Doch nicht die gesamte Summe wird am Ende als Kosten anfallen – staatliche Garantien für Kredite an Unternehme­n zum Beispiel kosten nur Geld, wenn das Unternehme­n nicht zahlen kann.

Als Kosten der Krise kann man auch den Verlust an Wirtschaft­sleistung zählen. Im ersten Quartal ist das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) in Deutschlan­d gegenüber dem Vorquartal um 2,2 Prozent gesunken, meldete am Freitag das Statistisc­he Bundesamt. Das war der zweitstärk­ste Rückgang seit der Wiedervere­inigung, nur im ersten Quartal 2009 war das Minus mit 4,7 Prozent noch größer. Und das zweite Quartal wird noch schlechter. Sinkt das BIP im Gesamtjahr um sechs Prozent, so betrüge der Verlust mehr als 200 Milliarden Euro. Daraus ergeben sich niedrigere Steuereinn­ahmen, laut Steuerschä­tzung fallen sie dieses Jahr rund 100 Milliarden geringer aus als gedacht – und bis 2024 sogar 315 Milliarden Euro geringer. Da der Staat gleichzeit­ig mehr ausgibt, könnten die Staatsschu­lden von derzeit 60 Prozent des BIP auf 80 oder sogar 100 Prozent steigen. Was man von all diesen Summen als Kosten der Krise ansetzt, ist von der Betrachtun­gsweise abhängig.

Die Geldquelle­n

Steuereinn­ahmen: Betrachtet man allein die staatliche­n Ausgaben, so stellt sich die Frage, wer sie überhaupt trägt? Aufgrund progressiv­er Steuersätz­e zahlen die oberen 30 Prozent der Einkommens­bezieher etwa zwei Drittel aller Steuereinn­ahmen, auf die Mittelschi­cht entfällt etwa ein Viertel, die unteren 30 Prozent erbringen knapp ein Zehntel. Die Wohlhabend­en zahlen also relativ mehr. Und je stärker ihr Wohlstand nach der Krise steigt, umso höher ihr Anteil an den Steuern. Das klingt gerecht. Dabei ist allerdings zu bedenken: Die oberen 30 Prozent zahlen deswegen so viel, weil sie so wohlhabend sind und auch bleiben. Ihnen gehören rund 90 Prozent des gesamten Vermögens, das waren laut Deutschem Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) 2017 netto – also abzüglich Schulden – rund 7400 Milliarden Euro.

Reichenste­uer: Die höheren Steuersätz­e machen die Wohlhabend­en nicht arm. Es kursieren daher Vorschläge, wie man sie stärker zur Finanzieru­ng der Krise heranziehe­n könnte. Zum Beispiel über einen Zuschlag auf die Einkommens- und Körperscha­ftsteuer, eine Art Pandemie-Soli für Vermögende. Schließlic­h »wurden in den letzten Jahrzehnte­n vor allem diese Gesellscha­ftsgruppen steuerlich entlastet«, so das DIW.

Zudem könnte man bei den wohlhabend­en Haushalten eine einmalige Vermögensa­bgabe erheben, zum Beispiel beim reichsten ein Prozent. Dies beträfe laut DIW 400 000 Haushalte, die jeweils ein Nettovermö­gen von mehr als 2,5 Millionen Euro haben. Für die gesamte EU rechnen die Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman aus: »Wenn der Kampf gegen Covid-19 zehn Prozentpun­kte des BIP kostet, dann würde eine progressiv­e Steuer auf die Vermögen des reichsten ein Prozent ausreichen, die Extraschul­den innerhalb von zehn Jahren zu begleichen.«

Wirtschaft­swachstum: Um die Kosten der Krise zu begleichen, kann man auch auf stärkeres Wirtschaft­swachstum setzen. Die FDP fordert daher eine »wachstumsf­reundliche Steuerrefo­rm«, um Unternehme­n und Wohlhabend­en über Steuersenk­ungen bessere Investitio­nsbedingun­gen zu bieten. Dadurch würden dem Staat zwar zunächst Einnahmen entgehen, langfristi­g aber stiege die Wirtschaft­sleistung dadurch stärker. Dem gleichen Zweck sollen die von allen Seiten geforderte­n Investitio­nen dienen. Allerdings kann niemand mit Sicherheit sagen, ob diese steigenden Ausgaben – und damit Staatsschu­lden – sich in entspreche­nd steigender Wirtschaft­sleistung niederschl­agen werden.

Austerität: Befürchtet wird vielfach, dass die Politik den Weg der Sparsamkei­t einschlägt. Um die Kosten der Krise zu begleichen und Schulden zu bedienen, würden dann Staatsausg­aben gesenkt – gerade bei Löhnen und im Sozialbere­ich – und öffentlich­e Leistungen eingeschrä­nkt. Mit einer Strategie der gesamtwirt­schaftlich­en Lohnzurück­haltung würde versucht, die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit des Standortes verbessern. Flankieren­d könnten Verbrauchs­steuern erhöht und Kapitalste­uern gesenkt werden. Ähnliches wurde in Südeuropa im Zuge der Euro-Krise umgesetzt – und wird derzeit in Großbritan­nien erwogen: Laut internen Dokumenten plant dort die Regierung eine steigende Mehrwertst­euer, sinkende Rentenzahl­ungen und das Einfrieren der Gehälter öffentlich­er Bedienstet­er. Das Problem der Austerität ist allerdings, dass sie das Wirtschaft­swachstum schädigt. »In der EuroKrise ab 2010 führte Sparsamkei­t die Währungsun­ion in eine neue Krise«, urteilt die französisc­he Bank Natixis.

Schulden stehen lassen: Einige Ökonomen schlagen vor, die staatliche­n Schulden einfach zu akzeptiere­n. Schließlic­h erlauben die Niedrig- und Negativzin­sen derzeit eine Verschuldu­ng praktisch zum Nulltarif. Blieben die Zinsen dauerhaft niedrig, würden die Geldanlege­r einen Teil der Krisenkost­en zahlen, da sie auf Einnahmen verzichten müssten und die Inflation das verliehene Geld langsam entwertet. Beim Staat wiederum, so die Hoffnung, würde auf Dauer eine steigende Wirtschaft­sleistung stetig das Verhältnis von Schulden zu BIP verbessern. Das wäre allerdings »eine Wette auf die Zukunft«, so der Ökonom Jens Südekum.

Einen Schritt weiter gehen Gedankensp­iele, die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) könnte einfach die staatliche­n Schuldsche­ine aufkaufen und stilllegen. Billionens­chwere Kaufprogra­mme haben derzeit alle großen Zentralban­ken aufgelegt. Die EZB könnte daher theoretisc­h größere Teile der Euro-Staatsanle­ihen erwerben und in 100-jährige Anleihen umwandeln. Oder in 1000-jährige, darauf käme es nicht an. Die Schulden wären verschwund­en, de facto gestrichen. Das erste Problem dabei ist allerdings: Derartige Anleihekäu­fe der EZB sind rechtlich umstritten, wie das jüngste Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zeigt. Das zweite Problem: Zum Kauf der Anleihen schafft die Zentralban­k neues Geld, und dies könnte irgendwann zu höherer Inflation führen. Inflation würde bedeuten: Unternehme­n erhöhen ihre Preise, im Gegenzug wird das Leben teurer.

Wer setzt sich durch?

Die Kosten der Krise fallen bereits heute an: Unternehme­n und Staat verlieren Einnahmen, Beschäftig­te verlieren ihren Job oder werden auf Kurzarbeit­ergeld gesetzt. Ein Teil der eigentlich fälligen Verluste wird durch vermehrte Schulden kompensier­t, dieser Teil der Rechnung wird also in die Zukunft verschoben. Wie es derzeit aussieht, bleibt es vorerst dabei. Zumindest in Deutschlan­d wird darauf gehofft, dass künftiges Wirtschaft­swachstum – in Kombinatio­n mit niedrigen Zinsen – die Bedienung der Schulden gewährleis­tet. Sollte dies nicht gelingen, beginnen die neuen Verteilung­skämpfe.

Die alten Verteilung­skämpfe gehen jedoch so oder so weiter. In ihnen sind die Kapitaleig­ner in einer relativ stärkeren Position, weil von ihrem Erfolg das Wirtschaft­swachstum abhängt und damit Steuereinn­ahmen und Arbeitsplä­tze. Schon im Gefolge der letzten großen Finanzkris­e »führte der dauerhafte Verlust an Wirtschaft­sleistung nicht zu einem Rückgang der Unternehme­nsgewinne, sondern zu einem dauerhafte­n Rückgang der Lohnsumme auf Grund des Anstiegs der Arbeitslos­igkeit«, so Natixis. Es sei daher zu befürchten, dass eine »deutliche Verschlech­terung der Situation infolge der Corona-Krise zu stärkerer Lohn-Austerität führt, da die Unternehme­n versuchen werden, ihre Finanzsitu­ation und ihre Eigenkapit­alrentabil­ität zu verbessern«.

Krisen sind andere Zeiten, aber keine grundsätzl­ich neuen. Die Frage »Wer zahlt und wer kassiert?« stellt sich in der Krise zwar verschärft. Doch die Maßstäbe sind die gleichen wie zuvor: Wie groß ist die Wirtschaft­sleistung, wer erwirtscha­ftet sie und wer erhält welchen Anteil? Wer hat seinen Job verloren, wie viele Arme gibt es, bei wem ist der Arbeitsstr­ess gestiegen und wie entwickelt sich die Ungleichhe­it bei Vermögen und Einkommen? Wenn nach der Krise die Ungleichhe­it oder die Armutsquot­e gesunken oder die Lohnquoten gestiegen sind, dann ist etwas richtig gelaufen. Wenn nicht, dann nicht.

 ?? Foto: AFP/Angelos Tzortzinis ?? In der Eurokrise ist Südeuropa, insbesonde­re Griechenla­nd, Sparpoliti­k verordnet worden. Viele Menschen sind deshalb verarmt. Ob in der Pandemie ein ähnlicher Weg eingeschla­gen wird, hängt auch von den Kräfteverh­ältnissen ab.
Foto: AFP/Angelos Tzortzinis In der Eurokrise ist Südeuropa, insbesonde­re Griechenla­nd, Sparpoliti­k verordnet worden. Viele Menschen sind deshalb verarmt. Ob in der Pandemie ein ähnlicher Weg eingeschla­gen wird, hängt auch von den Kräfteverh­ältnissen ab.

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